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Montag, September 9, 2024
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    Künstliche Intelligenz beim Militär: „Autonome Kriegsführung”

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    Der Einsatz von KI verändert die Kriegsführung. Besonders die Ukraine ist inzwischen zum Testlabor für autonome Waffensysteme geworden. Auch deutsche Konzerne und Start-ups mischen mit. Der Kampf um die Technologie ist heute ein zentrales Feld in der Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten. – Ein Kommentar von Thomas Stark.

    Einmal mit dem Papst an der Adria über Roboter diskutieren. Die Einladung des Oberhaupts der katholischen Kirche zum diesjährigen G7-Gipfel war für Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein besonderer Coup: Papst Bergoglio alias Franziskus referierte im Kreis der führenden imperialistischen Mächte und weiterer geladener Regierungschefs über Künstliche Intelligenz.

    Dabei ging es weniger um die Technologie als solche, sondern um ihren Einsatz und dessen Beschränkung, etwa in „autonomen” Waffensystemen. Diese würde der Papst gerne verboten sehen. Staaten, Vereinte Nationen und internationale Finanzorganisationen sollten KI regulieren und immer von Menschen kontrollieren lassen: „Die Menschenwürde hängt davon ab“, so Bergoglio.

    Autonome Kriegssysteme sind längst im Einsatz

    Die päpstlichen Mahnungen sind dabei längst von der Wirklichkeit überholt worden. Die Entwicklung KI-gesteuerter Waffensysteme befindet sich mitten in einem qualitativen Sprung hin zu immer größerer Autonomie im Einsatz. Dies betrifft insbesondere den Luftraum: Bewaffnete Drohnen können heute deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren, und die nächsten Entwicklungsschritte sind bereits in Sicht. Ist eine Drohne bislang nicht mehr steuerbar oder stürzt ab, wenn das Signal zum Piloten verloren geht, kann die nächste Softwaregeneration das System bereits selbständig zum Ziel steuern und dabei auch Störsender neutralisieren.

    Vor allem der Ukraine-Krieg hat diesen qualitativen Sprung befördert. Die Ukraine ist seit dem russischen Einmarsch 2022 zu einer Art Testlabor für die neuesten Waffentechnologien geworden. Beide Seiten schenken sich dabei nichts: Während Russland im großen Stil günstige iranische Einwegdrohnen gegen Ziele in der Ukraine einsetzt, antwortet diese mit Sprengstoffdrohnen und unbemannten Wasserfahrzeugen, wie etwa den berüchtigten „Sea Babys“ im Einsatz gegen die russische Schwarzmeerflotte.

    Die Rüstungsfirmen, welche die Systeme herstellen, erhalten in Echtzeit Rückmeldungen von der Front und nutzen diese dazu, die Hard- und Software der Waffen weiterzuentwickeln. Mitte 2023 kündigte die Ukraine an, im laufenden Jahr mehr als eine Milliarde Dollar für die Verbesserung ihrer Drohnenkampffähigkeiten auszugeben und bis zu 20.000 Drohnenpilot:innen auszubilden.

    Deutsches Start-up entwickelt Kampfroboter

    Die KI in der Kriegsführung beschränkt sich jedoch nicht auf den Luftraum und das Wasser: Inzwischen läuft auch die Forschung zu autonomen Landkampfsystemen auf Hochtouren, und Deutschland mischt bei der Entwicklung führend mit. Mitte Juni berichtete das Manager-Magazin, dass die NATO über ihren Innovationsfonds NIF das Münchener Start-up „ARX Robotics” mit 4,5 Millionen Euro finanziert.

    Dieses stellt kleine, unbemannte Kampfpanzer her. 12 solcher Roboter haben die Münchener bereits gebaut. Davon sollen einige sogar bereits in der Ukraine im Einsatz sein. Das größte Modell kann Lasten von bis zu einer halben Tonne tragen und sich mit vollem Akku bis zu 40 Kilometer durchs Gelände bewegen. Wie die Firma ARX betont, lassen sich die Systeme vielseitig einsetzen, etwa als Transport- und Minenräumgeräte. Aber auch Waffen darauf zu montieren, wäre laut CEO und Gründer Marc Wietfeld „theoretisch … natürlich möglich“.

    Auch andere deutsche Unternehmen wie „Rheinmetall” entwickeln autonome Fahrzeuge. Auf seiner Homepage wirbt der Düsseldorfer Rüstungskonzern etwa mit dem „Mission Master“, einer „Familie autonomer unbemannter Bodenfahrzeuge“. Diese könne „für Aufklärungs- und Überwachungsoperationen“, aber auch „zur taktischen Überwachung“ und „Feuerunterstützung“ eingesetzt werden. Die ARX-Systeme seien laut Chris O’Connor vom NATO Innovation Fund NIF wegen ihrer besseren Software jedoch „vielseitiger“.

    Israels führende Rolle bei Militär-KI

    Neben der Ukraine fungiert auch der Gazastreifen als Testfeld für die KI-gestützte Kriegsführung. Israel unterhält eine der weltweit größten Rüstungsindustrien und hat sich im Mai 2023 auf die Fahnen geschrieben, zur „KI-Supermacht“ werden zu wollen. Der britische Guardian hat im vergangenen Dezember aufgedeckt, dass sich das Land im Gazakrieg auf eine KI-Plattform namens „The Gospel“ („Das Evangelium“) stützt, um in der Gefechtsführung große Mengen an Echtzeitdaten zu analysieren und damit die Berechnung neuer Angriffsziele erheblich zu beschleunigen.

    Den Mehrwert für das israelische Militär hat dessen früherer Generalstabschef Aviv Kochavi auf den Punkt gebracht: „In der Vergangenheit haben wir in Gaza 50 Ziele pro Jahr produziert. Jetzt produziert diese Maschine 100 Ziele an einem einzigen Tag, von denen 50% angegriffen werden.“ Eine nicht genannte Quelle sprach gegenüber dem Guardian von einer „Fabrik für Massenmorde“, die durch den Einsatz der KI entstanden sei.

    Strategische Frage des 21. Jahrhunderts

    Der Massenmord in Gaza zeigt auf, wie KI-gestützte Waffensysteme die Kriegsführung beschleunigen. Inzwischen hat sich der Begriff des „gläsernen Gefechtsfelds“ für die Beschreibung der immer stärkeren Verbindung von klassischer und digitaler Kriegsführung durchgesetzt: „Darunter versteht man im Prinzip, dass jede kleinste Bewegung oder auch Anwesenheit sehr schnell bei jeder Tag- und Nachtzeit, bei jeder Witterung aufgeklärt wird“, erläutert Oberstleutnant Martin Winkler, der im Kommando Heer der Bundeswehr das Sachgebiet „Auswertung“ leitet.

    Zwar steht die Entwicklung militärischer KI noch immer am Anfang — ein Militärexperte verglich den Stand staatlicher Einsatzkonzepte von Drohnen kürzlich etwa mit dem von Panzern Anfang der 1920er Jahre. Die imperialistischen Staaten haben aber längst erkannt, dass die technologische Vorherrschaft bei KI künftig buchstäblich kriegsentscheidend sein wird.

    Die Diskussion um die internationale Regulierung von KI — wie sie auch der US-Außenpolitiker Henry Kissinger bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr hartnäckig aufgebracht hat — dient vor allem dazu, die Vorherrschaft der führenden imperialistischen Mächte auf diesem Gebiet aufrechtzuerhalten und anderen Staaten den Zugang zu erschweren. Die G7-Staaten verkündeten dazu beim Gipfel im sonnigen Bari nur sparsam, ihre „Zusammenarbeit vertiefen“ zu wollen, „um die Vorteile der Künstlichen Intelligenz zu nutzen und ihre Risiken zu beherrschen“.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 88 vom Juli 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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