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Donnerstag, Juni 27, 2024
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    Immer mehr Einsamkeit im Kapitalismus

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    Laut einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung sind besonders Jugendliche zunehmend von Einsamkeit betroffen. Der „allgemeine Krisenmodus“ wirke sich auf die mentale Gesundheit aus. Patriarchat, Migration und Armut verstärken die Einsamkeit.

    Früher wurde Einsamkeit hierzulande als etwas betrachtet, dem sich eher ältere Menschen ausgesetzt sehen. Doch besonders seit der Corona-Pandemie rückt die mentale Gesundheit Jugendlicher stärker in den Fokus. Dabei geht es bei „Einsamkeit“ vor allem um das subjektive Empfinden der Quantität und Qualität der eignen sozialen Interaktionen.

    Die Studie unterteilt zusätzlich in zwei Arten von Einsamkeit: emotionaler (Tiefe) und sozialer (Breite). Diese beiden Arten von Einsamkeit werden dann in die Abstufungen nicht einsam, moderat einsam, stark einsam eingeteilt. Befragt wurden 2.532 Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren im Zeitraum vom 13. bis zum 29. März 2024.

    Geschlecht, Herkunft und Reichtum bestimmen Einsamkeit

    Die Statistiken zeigen, dass fast die Hälfte (46%) aller jungen Menschen moderat bis stark einsam ist. Dabei zeigen sich auch Differenzen bei verschiedenen Gruppierungen. Mehr Frauen (48%, davon 11% stark) sind von Einsamkeit betroffen als Männer (43%, davon 9% stark), was den gesellschaftlichen Einfluss des Patriarchats nahelegt. Auf eine gesonderte Darstellung der Einsamkeit von jungen Menschen mit diverser Geschlechtsidentität wurde aufgrund der zu geringer Fallzahlen (N = 19) verzichtet.

    Auch Menschen mit Migrationshintergrund (55%, davon 13% stark) waren deutlich einsamer als Menschen ohne Migrationshintergrund (40%, davon 8% stark). Dies deutet auf die Signifikanz von Faktoren wie Rassismus und Chancengleichheit hin.

    Und: Je geringer der Schulabschluss, desto größer die Einsamkeit, denn die Einsamkeit von jungen Menschen mit Haupt- oder Volksschulabschluss lag bei überdurchschnittlich hohen 62% (davon 15% stark). Eine ähnliche Tendenz zeigt sich auch bei der Berufstätigkeit, wo Arbeitslose deutlich einsamer waren als Menschen, die Teil- oder Vollzeit arbeiteten oder sich in Studium oder Ausbildung befanden. Deutlich lassen sich hier sozio-ökonomische Faktoren ablesen. Demnach liegt ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Basis und persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten, also eine Klassenfrage, nahe.

    Eine Erklärung für die Differenzen zwischen den Geschlechtern, dem Migrationshintergrund oder der Klassenzugehörigkeit liefert die Studie nicht. Auf Faktoren wie das Übernehmen von Haushaltsarbeit durch Frauen, die gleichzeitig arbeiten gehen und sich um Kindererziehung und Pflege von Angehörigen kümmern, Migrant:innen, die systematisch diskriminiert werden oder proletarische Jugendliche aus den unteren Schichten, die sich weniger Freizeitaktivitäten leisten können, wird nicht eingegangen.

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    Der Grund: „allgemeiner Krisenmodus“

    Die Zahlen sind zwar niedriger als in vergleichbaren Studien der letzten Jahre, bleiben aber weiterhin hoch. Die Bertelsmann-Studie schließt daraus, dass nicht alleine die soziale Isolation während der Corona-Pandemie der Grund sein kann.

    Auch die Frage nach den Ursachen hierfür lässt die Studie unbeantwortet. Sie verweist auf andere Studien, die häufigere Wechsel und Beendigungen von Arbeitsstellen und Beziehungen, veränderte Umgangsformen und einen „allgemeinen Krisenmodus“ verantwortlich machen. Was sich hinter diesem allgemeinen Krisenmodus verbirgt, also ob und inwiefern z.B. die Wirtschaftskrise, die Umweltkrise oder die Kriege weltweit darunter zählen, bleibt jedoch unklar.

    Jugend wird zunehmend besorgter

    Einsamkeit gefährde die Demokratie

    Die Relevanz fürs System sieht auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Einsamkeit sei ein „unterschätztes Phänomen“, weil „eine Gefahr für die Demokratie“. Gegenüber der Redaktion der Funke-Mediengruppe sagte sie: „Wer Vertrauen in die Gesellschaft verliert, verliert auch Vertrauen in die Demokratie, politische Teilhabe nimmt ab, genauso wie die Bereitschaft wählen zu gehen“.

    Doch was gedenkt die Regierung gegen die ansteigende Einsamkeit zu tun? Paus stellte im ARD-Morgenmagazin ihren Plan vor, wonach 70 Millionen vom Ministerium für Maßnahmen gegen Einsamkeit bereitgestellt werden sollen. Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt 2024 wurden über 50 Milliarden für Aufrüstung aus dem Verteidigungshaushalt plus ca. 20 Mrd. aus dem Sondervermögen bereitgestellt. Wie viel tatsächlich in die Bekämpfung von Einsamkeit reingesteckt wird, bleibt abzuwarten bis zur Vorstellung des neuen Bundeshaushaltsplan am 3. Juli. Weitere Kürzungen von Sozialleistungen wie Bürgergeld sind dabei zu erwarten.

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