Wie sind die Ergebnisse der Bundestagswahlen zu bewerten? 16 Jahre Merkel hinterlassen eine zerklüftete Parteienlandschaft – bei der sich zugleich in der „Mitte“ ein Einheitsbrei der prokapitalistischen Systemparteien entwickelt. Die AfD bekommt nun zusätzlich 70 Millionen Steuergelder, die Linke wird durch Anbiederung zerrieben. – Eine Wahleinschätzung von Tim Losowski
Deutschland hat gewählt, wie sind die Ergebnisse der Parteien im einzelnen einzuschätzen?
Das desaströse Ergebnis der Union ist Folge der Logik des bürgerlichen Parteiensystems und eng mit der Merkel-Ära verbunden. Um sich an der Macht zu behaupten, musste Merkel 1. die Inhalte der Union aufweichen (um anderen ihre Themen zu klauen) und 2. alle halbwegs talentierten Politiker:innen absägen, die ihr hätten gefährlich werden können. Daraus ist dann eine Führungskrise der Partei geworden.
So hielt sich Annegret Kramp-Karrenbauer nicht lange, Friedrich Merz war zu veraltet und auch Armin Laschet konnte nicht überzeugen – auch wegen seines Flutkatastrophenlachers, was ihm doch viele übel genommen haben. Eine mögliche Alternative Ursula von der Leyen hat den für den deutschen Imperialismus sehr wichtigen Platz der Kommissionspräsidentin übernommen. Die Konkurrenz zur CSU, die den Wahlkampf immer wieder recht offen sabotiert hat (v.a. durch Söder), kommt dazu.
Die SPD siegte derweil (knapp) mit einer Doppelstrategie. Zum einen haben sie mit Olaf Scholz einen offensichtlich rechten Sozialdemokraten in die Spitzenposition gebracht, der sich als Finanzminister offen hinter das deutsche Kapital stellte. Er verkörperte die Kontinuität und Stabilität des deutschen Imperialismus Merkelscher Prägung. In einer Umfrage erklärten fast 48% „ohne Scholz würde ich meine Partei nicht wählen“. Damit ist es ihnen gelungen über eine Millionen Stimmen von der CDU zu holen. Zum anderen hat er auch „links“ gepunktet. Wenn die Linke „13 Euro Mindestlohn“ plakatiert und die SPD „12 Euro“, liegt es nahe, die SPD zu wählen, damit das auch umgesetzt wird.
Die Grünen hatten sich zuerst als die blitzblanke Sauberpartei mit einer perfekt inszenierten Wahlkampfstart präsentiert nur um später einräumen zu müssen, dass ihre Superkandidatin Analena Baerbock genau so geschummelt hat, wie alle anderen bürgerlichen Politiker:innen auch. Dennoch konnten die Grünen den Klimawandel zu einem der zentralen Wahlthemen machen und da einfach – wie soll man es anders sagen – mit ihrer „grünen Farbe“ punkten. Denn inhaltlich weitergehender waren die Forderungen der Linkspartei.
Die Linke konnte jedoch in einer multiplen Krise des Kapitalismus durch weitgehende Abwesenheit in sozialen Kämpfen oder den Medien gar nicht punkten. Sie hat sich zudem kurz vor der Wahl nochmal rasanter nach rechts entwickelt, um sich Grünen und SPD anzubiedern – und wurde immer weniger unterscheidbar. Dafür hat sie die Quittung erhalten. Zum anderen ist es ihr auch nicht gelungen die Debatte um Sarah Wagenkecht – mit der sogar die AfD warb – zu einem Ende zu bringen und so blieb die Partei bis zum Ende so zerstritten, dass Teile der Partei noch nicht mal die eigenen Plakate mit Wagenknecht aufhängen wollte. Die Linke wird unter den Bedingungen des parlamentarischen Einheitsbreis (eigentlich kann jede mit jedem) zerrieben – erst recht wenn sie sich selbst auf die Rolle reduziert, alles was SPD und Grüne aushandeln mitzumachen. Bei den linken Kleinparteien konnte die DKP hat ihre Zweitstimmen im Vergleich zu 2017 von 11.558 auf 15.158 steigern, die MLPD verlor im Vergleich zu 2017 etwa 25% der Stimmen (29.785 auf 17.994 Zweitstimmen).
Wie die Linkspartei ihre Antikriegsposition für Rot-Rot-Grün aufgibt
Die FDP konnte derweil zum einen bei den wirtschaftsliberalen Unternehmer:innen punkten, indem sie von einem schwachen Armin Laschet profitierten und zugleich auch mit einer schmissigen Werbekampagne ungewöhnlich gut bei Erstwähler:innen ankommen. Dort lagen sie mit 21% nur knapp hinter den Grünen (23%). In mehreren Talkrunden am Wahlabend gaben sich Grüne und FDP bereits Signale, nun als erstes mit einander sprechen zu wollen um quasi unter sich aus zu machen, ob sie nun mit der SPD („Ampel-Koalition“) oder mit der CDU („Jamaika-Koalition“) gehen wollen.
Die AfD konnte sich derweil als die faschistische Partei bei etwa 10 Prozent etablieren und dabei auch stimmen anderer rechter Parteien aufsaugen. So fuhr die NPD das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte ein. Zugleich verlor die AfD leicht, was Spitzenkandidatin Alice Weidel in Talkrunden auf absurde Art schön zu reden versuchte , dass man „abzüglich Sondereffekte“ sogar gewonnen hätte. Diese „Sondereffekte“ sehen sie im Wahlantritt „Freien Wähler“ und der Pandemie-Leugner-Partei „die Basis“, wobei letztere aus dem Stand auf immerhin 1,4% kam. Mit ihrem Wiedereinzug winken nun der AfD-nahen „Desiderius-Erasmus-Stiftung“ bis zu 70 Millionen Euro, mit der sie in Zukunft ihre Rolle als parlamentarischer Arm der faschistischen Bewegung in Deutschland weiter ausbauen wird.
AfD-nahe Stiftung könnte bald 70 Millionen vom Staat erhalten
Zuletzt dürfen auch die „Sonstigen“ in der Analyse nicht fehlen. So fällt auf, dass die Analyst:innen oft behaupten, die „Mitte“ sei gestärkt worden, der stark gestiegene Stimmanteil unter „Sonstige“ wird ignoriert. Dabei muss man die Stimmen durchaus ernst nehmen, denn viele geben den Klein-Parteien ihre Stimme obwohl sie wissen, dass aufgrund der undemokratischen 5%-Hürde diese keine Rolle spielen dürften. Das kann durchaus ebenso wie die Parteiendifferenzierung als Ausdruck der gewachsenen Verzweiflung über die Politik ausgewertet werden kann.
Wie geht es nun weiter?
Die Parteien haben in der „Elefantenrunde“ am Wahlabend angekündigt, noch vor Weihnachten eine Regierung zustande zu bringen. Uns stehen nun also 3 Monate von Intrigen, Gezerre und Gezetere vor und hinter den Kulissen bevor.
Klar ist: Ob es „Ampel“, „Jamaika“ oder doch am Ende wieder eine große Koalition wird – der „Einheitsbrei“ der kapitalistischen Mitte wird sich irgendwie einigen können. Ob tatsächlich das ein oder andere Reförmchen wie eine lange überfällige Erhöhung des Mindestslohns rumkommen wird ist offen.
Gemeinsam wird jedoch allen möglichen Koalitionen sein, dass sie nach Wegen suchen werden, die Kosten von Wirtschaft-, Corona- und Klimakrise auf den Rücken der Arbeiter:innen abzuladen um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ – also die Profite deutscher Unternehmen – nicht zu gefährden.