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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Ukraine: Zwei Jahre Krieg und kein Ende in Sicht

Seit zwei Jahren wütet nun ein offener Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der Hunderttausende von Menschenleben gekostet und Millionen zur Flucht gezwungen hat. Er hat die geopolitische Landschaft der Welt grundlegend verändert und eine neue Ära der Militarisierung und der Vorbereitung auf einen 3. Weltkrieg eingeleitet. Als handfester Ausdruck der „Zeitenwende“ wird die Bundeswehr mit der Übung „Quadriga“ ihre größte offene Truppenverlegung seit Ende des Kalten Krieges durchführen. – Ein Kommentar von Daniel Fröhlich.

Am 24. Februar 2022 überquerten russische Streitkräfte nach monatelangem Säbelrasseln und verstärkten Kämpfen in der Donbass-Region die ukrainische Grenze und weiteten den seit 2014 andauernden Konflikt zu einem heißen Krieg aus. Inzwischen haben sich die Kampfhandlungen zu einem Zermürbungskrieg entwickelt, in dem unkonventionelle Methoden der Kriegsführung wie Luft- und Bodendrohnen, aber auch natürliche Faktoren wie das Wetter oder Krankheit täglich über das Schicksal von Hunderten von Soldat:innen entscheiden.

Nach dem Einmarsch Russlands strömten die westlichen Imperialisten in Scharen herbei, um ihr neokoloniales Projekt in der Ukraine zu unterstützen, das sie in den vergangenen Jahrzehnten so sorgfältig aufgebaut hatten. Neben Milliarden an Militärhilfe und Waffenlieferungen, die den Krieg zu einem Stellvertreterkonflikt im großen Stil machten, leitete der russische Einmarsch in der Ukraine auch eine neue globale Ära der Militarisierung und Aufrüstung ein, wie es sie seit der Auflösung der UdSSR nicht mehr gegeben hat. Ab Februar 2024 wird die Bundeswehr im Zusammenhang mit der NATO-Übung „Steadfast Defender“ die Teilübung „Quadriga“ durchführen. Mit rund 12.000 beteiligten Kräften wird „Quadriga 2024“ die größte Militärübung und Truppenverlegung deutscher Streitkräfte seit Jahrzehnten und auch für uns in der Öffentlichkeit sichtbar sein.

Wie ist es dazu gekommen?

Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 befand sich die heutige Russische Föderation nicht nur in einer tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Krise – die bis in die frühen 2000er Jahre andauern sollte und zur dauerhaften Verarmung der russischen Arbeiter:innenklasse führte – sondern auch in ihrer kleinsten und strategisch ungünstigsten territorialen Ausdehnung seit Jahrhunderten. Die herrschende Klasse sah sich nun mit den geographischen Besonderheiten ihres jungen Staats konfrontiert. Als größtes Land der Welt umfasst Russland eine riesige Fläche und hat damit lange Grenzen zu verteidigen. Zudem verfügt es, vor allem im über die Jahre erweiterten Grenzgebiet mit der NATO, kaum über natürliche Grenzen – etwa große Flüsse oder Bergketten. Im Gegenteil erstreckt sich über den gesamten Westen des Landes eine riesige Ebene, die erst an den Karpaten in Rumänien und der Westukraine endet.

In dieser Hinsicht war die direkte oder indirekte Kontrolle über die Ukraine mit ihren natürlichen Grenzen und Warmwasser-Häfen von Anfang an ein zentraler strategischer Beweggrund der russischen Kapitalist:innenklasse, um ihren Status als führende eurasische Macht wiederzuerlangen. Aus ähnlichen Gründen ist die Kontrolle über die Ukraine als Neokolonie auch für Staaten wie Deutschland und die USA enorm wichtig. Dabei geht es ihnen sowohl um die Eindämmung des imperialistischen Konkurrenten Russland, als auch um die Ausweitung der eigenen Macht.

Unter diesem Blickwinkel sind alle Entwicklungen der letzten 30 Jahre bezüglich der Ukraine zu begreifen – von der „Orangenen Revolution“ 2004 über den „Maidan-Putsch“ und die Annexion der Krim-Halbinsel 2014 bis hin zur russischen Invasion 2022, die den bisherigen Höhepunkt dieser Ereigniskette markiert.

Wie sieht die Lage heute aus?

Nach anfänglichen schnellen russischen Vorstößen an allen Fronten, die bis nach Charkiw, Saporischschja und Kiew reichten, gelang es der ukrainischen Armee, die Front weitgehend auf den heutigen Stand zurückzudrängen. Was vom Kreml als eine kurze „Militäraktion“ erwartet wurde, hat sich inzwischen zu einem konventionellen Stellungskrieg entwickelt. Seitdem hat sich an der Bewegung der Frontlinie nicht viel geändert. Die ukrainische Sommeroffensive hat zwar keine nennenswerten Fortschritte gebracht, und das Blatt scheint sich sogar zu Gunsten Russlands zu wenden, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass es sich um einen Abnutzungskrieg handelt. Diese Entwicklung hat bei einigen der entschiedensten Befürworter der Ukraine, wie z.B. seit den letzten Wochen in den USA, Debatten über die Fortsetzung der Waffenlieferungen ausgelöst, obwohl hier noch nichts in Stein gemeißelt ist.

Trotz alledem scheint ein schnelles Ende des Krieges nicht in Sicht zu sein. Zwar kommen immer wieder Forderungen nach Friedensverhandlungen auf, dabei ist jedoch unklar, zu welchen Bedingungen diese stattfinden könnten. Russland wird wohl versuchen, sich weitere Gebietsgewinne zu sichern, während die USA Russland solche Gewinne nicht zugestehen wollen und Deutschland die fruchtbaren und militärisch wichtigen ukrainischen Gebiete nicht aufgeben will.

Zeitenwende

Der Ausbruch des Kriegs löste weltweit geostrategische Schockwellen aus, von denen Deutschland besonders hart getroffen wurde. Während der deutsche Imperialismus bis dahin profitabel mit Russland gehandelt und sich eine weitere Annäherung offen gehalten hatte – zugleich aber militärisch unter den Fittichen der USA stand -, war er nun gezwungen, seine eigenen Strategien anzupassen. Die Zeitenwende, die von Kanzler Scholz nur wenige Tage nach dem Einmarsch Russlands ausgerufen wurde, leitete ein neues Zeitalter des deutschen Militarismus ein. Mit Propaganda-Kampagnen und milliardenschweren Budgets solle Deutschland wieder „kriegstüchtig“ gemacht werden, wenn es auch weiterhin zu den großen imperialen Akteuren gehören will.

In diesem Zusammenhang wird die Bundeswehr auch diesen Februar ihre Übung „Quadriga„, als Teil der NATO Übung „Steadfast Defender“, starten. Mehr als 12.000 Soldaten trainieren – sichtbar für uns in der Öffentlichkeit – den Kriegsfall mit Russland. Somit wird auch dies die größte Truppenübung deutscher Streitkräfte seit der Annexion der DDR sein. Dabei wird der Hauptfokus darauf liegen, schnellstmöglich Truppen an die Ostflanke der NATO, z.B. Norwegen oder Litauen, zu verlegen. Dies alles soll die praktische Konsequenz der Zeitenwende sein, wobei der deutsche Staat seiner selbsterklärten Führungsverantwortung gerecht werden wolle, so die Bundeswehr. Auf diese Weise soll nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte Arbeiter:innenklasse Deutschlands auf kommende Kriege vorbereitet werden.

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