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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Baugewerbe: größter Streik seit 17 Jahren!

2002 streikten die Arbeiter:innen im Baugewerbe das letzte Mal einheitlich für höhere Löhne. Nun ist es wieder so weit. Die Kapitalist:innen der Bauindustrie und die DGB-Gewerkschaft stehen unter Druck. Kommt es gar zum unbefristeten Streik? – Ein Kommentar von Finn Krumbach und Ahmad Al-Balah.

Etwa 930.000 Arbeiter:innen sind in Deutschland im Bausektor tätig. Im März 2024 lief der Tarifvertrag aus, der 2021 geschlossen wurde. Seitdem steht ein neuer Tarifvertrag an. Die Arbeiter:innen müssen im Zuge dessen alle paar Jahre gegen die Kapitalverbände kämpfen, damit ihr neuer Tarif die in der Zwischenzeit gestiegenen Lebenserhaltungskosten so gut wie möglich ausgleicht. Allerdings dürfen nicht die Arbeiter:innen selbst, sondern lediglich die größte Gewerkschaft in der Branche diesen Tarif aushandeln – so will es das Gesetz in der BRD.

IG-BAU forderte eine pauschale Lohnerhöhung um 500 Euro.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ist mit gut 221.519 (159.453 männlichen, 62.066 weiblichen) Mitgliedern (Stand: 2022) die fünftgrößte Einzelgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. In Berlin und Brüssel unterhält sie politische Verbindungsbüros. Sowohl der amtierende Vorsitzende als auch sein Vorgänger waren SPD-Parteimitglieder.

In drei Verhandlungsrunden zwischen der Gewerkschaft und Kapitalverbänden wurde keine Einigung erreicht. Ein Schlichterspruch sah 250 Euro mehr Lohn vor und eine erneute Lohnerhöhung nach elf Monaten für eine Laufzeit von 24 Monaten. Im Mai wurde auch diese Abschwächung der eigentlichen Forderung vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) und dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) abgelehnt, auch wenn sonstige Kapitalverbände größtenteils für die Schlichtung stimmten. Der Vorsitzende der IG-BAU reagierte ungehalten auf diese Abweisung durch die zwei größten Kapitalverbände der Branche. Das hatte er sich anders vorgestellt.

Bausektor im Nachteil – Zeit für (konsequenten) Arbeitskampf

Der Bausektor kennzeichnet sich durch prekäre Arbeitsbedingungen. Die Branche ist durch Outsourcing an Subunternehmen geprägt, was einerseits die Transparenz der Baugeschäfte erschwert und oftmals mittels sogenannter Werksverträge sowohl Arbeitsbedingungen als auch soziale Absicherung verschlechtert. Das ist ein einfaches Mittel für Unternehmen, an den Arbeitsbedingungen der externen, oftmals migrantischen Arbeiter:innen zu sparen. Gleichzeitig spaltet die unterschiedliche Bezahlung die Arbeiter:innenschaft oft untereinander und beeinträchtigt somit die Stärke eines andernfalls einheitlichen Arbeitskampfs aller Beschäftigten.

Der Bausektor befindet sich derzeit zudem in einer Krise: Fachkräfte fehlen, Energie- und Materialkosten sind hoch, die Zinsen für Kredite und Investitionen steigen und Aufträge bleiben aus.

Gescheiterte Schlichtungsversuche: IG BAU kündigt Streiks an

Das wirkt sich zweischneidig auf den Arbeitskampf aus: Einerseits müssen die Unternehmer:innen eher auf Forderungen eingehen, da sie sonst kaum Fachkräfte haben. Andererseits könnten sie eine einfache Ausrede liefern, um damit Entlassungen zu rechtfertigen.

In beiden Fällen muss klar sein: Die Eigentümer:innen und CEOs der großen Bauunternehmen arbeiten nicht und behalten den größten Anteil des Ertrags von Bauprojekten für sich. Die Gewerkschaften sind dafür da, die Arbeiter:innen mit einem Bruchteil des Gehalts der Bosse ruhig zu halten. Daher dürfen zu Tarifsverhandlungen auch nur Vertreter:innen von Kapitalverbänden und hohe Stellvertreter:innen der Gewerkschaften zusammenkommen, jedoch keine Arbeiter:innen.

Auffallend ist in diesem Fall hingegen, dass die Arbeiter:innen innerhalb der Gewerkschaften den Druck anscheinend so hoch halten, dass sie die IG-BAU letztlich in gewisser Weise vor sich hertreiben.

Weil die Baubranche derzeit kriselt, sagen die dortigen Kapitalist:innen lediglich 50% der geforderten Lohnerhöhung zu. Wäre die IG-BAU normalerweise auf ein Schlichtverfahren eingegangen, kann sie es sich hier nicht leisten. Zu groß ist der Druck der eigenen Mitglieder, zu stark der Arbeitskampf von unten.

Die IG-BAU weiß, dass 250 € Lohnerhöhung für ihre Mitglieder inakzeptabel wäre. Daher ruft sie zum Warnstreik auf und bleibt auf ihrer ursprünglichen Forderung von 500 € für alle Lohngruppen bestehen. Obgleich die DGB-Gewerkschaften sonst eher sozialpartnerschaftlich mit den Kapitalist:innen verhandeln und den Arbeitskampf eher mäßigen, würde die IG-BAU sich in diesem Fall vor den Gewerkschaftsmitgliedern als eine Gewerkschaft in Partnerschaft mit dem Kapital entlarven, nähme sie die viel zu geringe Gehaltserhöhung an.

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Erste Warnstreiks vielerorts – Wie geht es weiter?

Seit genau einer Woche finden deswegen in mehreren Städten Deutschlands erste Warnstreiks statt. Über 12.500 Menschen beteiligten sich laut Angaben von IG-BAU daran. Es ist der erste bundesweite Streik im Bau seit 2002,  und selbst regionale Streiks gab es seit 2007 keine mehr.

Diese Woche soll der Streik vor allem die Infrastruktur treffen. In ganz Deutschland sollen unter anderem Straßen-, Schienen- und Brückenbaustellen stillgelegt werden. Beispielsweise wird an einer Autobahnbaustelle der A4 die Arbeit für 48 Stunden niedergelegt. Streiks in Form der Verzögerungen in der Fertigstellung von Bauprojekten sind ein bewährtes Druckmittel, um die Kapitalverbände zum Einlenken zu bewegen.

Diese sind jetzt gefordert, Zugeständnisse zu machen, die über dem Schlichtungsvorschlag liegen. Bei einem Angebot, das oberhalb des Schlichterspruchs liegt, möchte die Gewerkschaft die Verhandlungen wieder aufnehmen. Sollte es nicht zu einem Angebot kommen, droht die IG-Bau mit unbefristeten Streiks.

Die Gewerkschaft IG-BAU und ihr Vorsitzender von der SPD werden mit allen Mitteln versuchen, die Streiks unter Kontrolle zu behalten. Am Ende sind sich Kapitalverbände, DGB und Schlichter gemäß ihrer Sozialpartnerschaft noch immer einig geworden.

Trotz 97% Zustimmung zu unbefristetem ÖPNV-Streik: Ver.di akzeptiert Schlichtung in NRW

Doch mit den zunehmenden Krisen des kapitalistischen Systems, die auch die Baubranche längst erfasst haben, werden die Widersprüche dieser klassenversöhnerischen Partnerschaft immer deutlicher – und der Arbeitskampf breitet sich unnachgiebig aus.

 

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