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Samstag, Juli 6, 2024
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    Protestcamps gegen den Krieg in Palästina

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    Eine neue Welle von Studierenden-Protesten in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf rollt durch deutsche Universitäten. Rektor:innen und Polizist:innen zerschlagen die errichteten Protestcamps zwar oft recht schnell. Aber tausende Studierende und Lehrende beweisen seit einigen Wochen, dass sie bereit sind, für ihre Forderungen dagegen viel in die Waagschale zu werfen. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

    Zahllose Zelte auf den Grünflächen der Universitäten, aufgehängte Transparente, welche die Losungen der Proteste tragen und immer wieder um sich schlagende Polizist:innen, die Zelte zerstören, Transparente herunterreißen und Aktivist:innen aus den Camps heraus schleifen – seit April regt sich in Städten auf der ganzen Welt die „student intifada”. Weil die Angriffe der israelischen Armee gegen palästinensische Zivilist:innen in Gaza und Rafah weiterhin von vielen Staaten wie den USA und auch Deutschland unterstützt werden, wenden sich immer mehr Studierende, solidarische Professor:innen und Arbeiter:innen an den Universitäten mit ihren Campus-Besetzungen gegen ihre Regierungen, Uni-Leitungen und die Kriegstreiber:innen.

    Besonders ist, dass die Dynamik nicht wie bei vielen anderen Protesten auf einen Ort beschränkt blieb, sondern recht schnell einen globalen Charakter annahm. Denn über soziale Medien wie TikTok verbreiteten sich Kurzvideos und Live-Streams aus den ersten Protestcamps in den USA, allen voran aus dem Camp an der Columbia University in New York, schnell weiter und animierten Studierende in anderen Ländern, eigene Uni-Besetzungen zu organisieren.

    International: Repression führt zu Radikalisierung

    Dass die Welle der Proteste ausgerechnet in den USA ihren Ursprung fand, ist kein Zufall. Tatsächlich ist die Palästina-solidarische Bewegung in den USA – immerhin nach wie vor der Hauptunterstützer Israels und seiner zionistischen Kolonialpolitik – traditionell stark ausgeprägt.

    Um die Proteste zu unterbinden und eine Welle von Uni-Besetzungen gar nicht erst entstehen zu lassen, reagierten die Behörden in den USA, aber auch in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland in den meisten Fällen mit offener Gewalt: Camps wurden geräumt und Studierende massenhaft festgenommen. Vielerorts ließen sich die Studierenden aber auch durch Räumungen und Verhaftungen nicht davon abbringen, weiter zu demonstrieren: Indem Aktivist:innen ganze Gebäude besetzten, Barrikaden bauten und sich teilweise auch gegen angreifende Polizist:innen zur Wehr setzen, konnten einige Camps – zumindest zeitweise – gegen die Repression gehalten werden. Vielerorts solidarisierten sich Angestellte der Universitäten und auch Professor:innen mit den Studierenden.

    Auch in Deutschland wächst die Solidarität mit Palästina

    Ebenfalls in Deutschland reiht sich die Polizeigewalt gegen die Palästina-Camps, zum Beispiel an der Freien Universität Berlin oder in Leipzig, ein in eine – vor allem seit dem letzten Herbst – immer weiter anwachsende Liste von Repressionsschlägen gegen die Palästina-solidarische Bewegung insgesamt. Allein in den letzten sechs Monaten wurden die Organisationen Samidoun und Palästina Solidarität Duisburg verboten, und es erfolgten Hausdurchsuchungen bei der Frauenorganisation Zora. Demonstrationen wurden teilweise über mehrere Wochen hinweg komplett verboten, selbst der DGB setzte auf seinen Märschen zum 1. Mai gemeinsam mit der Polizei ein Verbot von Bekundungen in Solidarität mit Palästina durch. Auch wenn die Bereitschaft, die Camps gegen die Angriffe der Polizei zu verteidigen, in Deutschland noch weitaus geringer ist als zum Beispiel in den USA, so zeigt sich doch auch hierzulande, dass die Studierenden dieser Repression trotzen und nicht länger bereit sind, die von den Herrschenden diktierte Unterstützung der israelischen Politik stillschweigend hinzunehmen.

    Palästina-solidarische Studierende und Lehrende waren in den letzten Jahren immer wieder Verleumdungen und Angriffen ausgesetzt, wurden teilweise sogar aus dem akademischen Betrieb herausgedrängt. Mit der derzeitigen Protestwelle erreichte die Solidarität mit Palästina an den Unis nun aber trotzdem eine neue Qualität, die auch den Rektor:innen und Politiker:innen nicht verborgen geblieben ist. In Reaktion auf ein, von mehreren hundert Berliner Hochschullehrer:innen unterzeichnetes, Unterstützungsschreiben für die Palästina-solidarischen Studierenden während der Räumung des Camps an der Freien Universität Berlin durch die Polizei zeigten sich Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), der  Regierende Berlin-Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Universitätspräsident Günter Ziegler allesamt bestürzt über den angeblich grassierenden Antisemitismus unter Studierenden und Angestellten.

    Studierende fordern Ende der Unterstützung Israels

    Mit der inhaltlich oft unbegründeten Gleichsetzung von Palästina-Solidarität und Antisemitismus, Hamas-Unterstützung und Islamismus versuchen Politiker:innen, Staatsschutz und Medien immer wieder, Aktivist:innen zu diskreditieren und die eigenen rigiden Maßnahmen, wie zum Beispiel Polizeigewalt gegen Protestierende, zu rechtfertigen. Doch Regierung und Repressionsapparat geht es nicht um die konsequente Bekämpfung von Antisemitismus oder den Schutz jüdischen Lebens – schließlich werden auch antizionistische Jüd:innen selbst immer wieder Opfer von Polizeigewalt, wenn sie an Palästina-Demonstrationen oder Besetzungen teilnehmen.

    Vielmehr haben die Maßnahmen des Staates zum Ziel, jegliche Solidarität mit antiimperialistischen Kämpfen zu unterbinden und den politischen Kern der Proteste zu negieren.

    Aus den Camps richten sich immerhin nicht nur Solidaritätsbekundungen an das palästinensische Volk, sondern immer wieder auch konkrete Forderungen an deutsche Behörden und die eigenen Rektor:innen. Neben einem Ende des Genozids forderten Studierendenzusammenschlüsse zum Beispiel die Offenlegung der Beziehungen von Universitäten zu Unternehmen, die den israelischen Krieg gegen das palästinensische Volk unterstützen, sowie die sofortige Aufkündigung aller dieser Verbindungen. Auch die Forderung nach der Erhaltung der „Zivilklausel”, also der freiwilligen Selbstverpflichtung einiger Universitäten, keine Forschung im Auftrag des Militärs durchzuführen, wurde vermehrt laut.

    Letztendlich können die Proteste an den deutschen Universitäten als ein weiteres Glied in der Kette von Bewegungen und Kämpfen betrachtet werden, die sich in den letzten Monaten in Deutschland formiert haben und zum Teil massenhaft die Politik der Herrschenden in Frage stellen. Gemeinsam ist den Palästina-solidarischen Camps, den Protesten gegen die AfD, den Demonstrationen von Landarbeiter:innen und Bäuer:innen oder den zahlreichen Streiks für höhere Löhne vor allem, dass sie sich auf verschiedene Art und Weise gegen die zerstörerischen Symptome des kapitalistischen Weltsystems richten.

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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