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Dienstag, September 17, 2024
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    Die Hisbollah: Welche Rolle spielt sie in Westasien?

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    Der Krieg in Westasien kühlt nicht ab. Besonders die Gefechte zwischen Israel und der Hisbollah könnten das Pulverfass entzünden. Wie ist die schiitische Partei einzuordnen und welche Bedeutung hat sie für den palästinensischen Befreiungskampf? – Ein Kommentar von Ahmad Al-Balah.

    Die Hisbollah – übersetzt („Hisb Allah“ die „Partei Gottes“) – ist eine islamistisch-schiitische Partei und Miliz aus dem Libanon. Sie ist dort derzeit die dominierende politische Partei. Ihre Machtbasis umfasst Schiiten verschiedener Klassen und Schichten, wobei sie sich im Vergleich zu der anderen großen schiitischen Partei „Amal” radikaler gibt.

    Man kann die Hisbollah innenpolitisch damit beschreiben, dass sie sowohl Teil des Systems ist, als auch über dem politischen Parteiensystem im Libanon steht. Sie beteiligt sich von innen an dem System und fungiert zugleich als nichtstaatlicher Akteur, der seine Ziele eigenständig verfolgt – unabhängig vom offiziellen libanesischen Staat.

    Als „Staat im Staat“ kontrolliert die Hisbollah Teile des Libanon über ihre Miliz nicht nur militärisch, sondern über ihre Partei auch politisch. Die Hochburgen der Organisation liegen im Süden des Libanon, in der Bekaa-Ebene sowie in Südbeirut.

    Die Wurzeln der Hisbollah: schiitisch, militant, anti-israelisch

    Die Hisbollah entstand ab 1982 als eine aus dem Untergrund operierende paramilitärische Organisation durch den Zusammenschluss verschiedener schiitischer Gruppen beim Widerstand gegen die damalige israelische Invasion. Israel schaltete sich blutig in den Bürgerkrieg ein, um die Geschicke in die für sie günstige Richtung zu lenken.

    Der Libanon war bis in die 70er Jahre durch ein politisches Übergewicht der einheimischen christlichen Elite gekennzeichnet, die von den französischen Kolonisatoren begünstigt wurde. Das Spannungsfeld zwischen Schiiten, Christen und Sunniten mündete 1975 bis 1989 im libanesischen Bürgerkrieg.

    Zum ersten Mal versuchten die historisch marginalisierten schiitischen Muslime im Libanon, ihre wirtschaftliche und politische Macht zu behaupten. Der schiitisch geführte Iran bemerkte diese Bestrebung und sah darin eine Chance: Kurz nach der israelischen Invasion 1982 errichteten Hunderte von Beratern und Ausbildern der iranischen Auslandseinheit eine Basis im Bekaa-Tal mit dem Ziel, die im Iran 1979 stattgefundene islamische Revolution in die arabische Welt zu exportieren.

    Die Existenz der Hisbollah-Bewegung sei jedoch zu keinem Zeitpunkt vom Iran notwendigerweise „abhängig“ gewesen, stellte die CIA in einem Bericht aus dem Jahr 1985 fest. Der schiitische Fundamentalismus, der durch jahrzehntelange schiitische Entbehrungen und eine brutale israelische Besatzung angefacht wurde, habe im Libanon damals schon „feste Wurzeln“ geschlagen und „eine eigene Dynamik“ erreicht.

    Die offizielle Gründung fand 1985 statt: Die ursprüngliche politische Plattform der Hisbollah sah in der Gründung einer „Islamischen Republik” im Libanon einen zentralen Pfeiler. Auch der Kampf gegen den „westlichen Imperialismus“ und den anhaltenden Konflikt mit Israel stehen in diesem Dokument im Vordergrund.

    Im Gegensatz zu ihrer islamistischen Ideologie appellierte der Widerstand nicht nur an die schiitische Bevölkerungsmehrheit, sondern vermochte es ab den 1990er-Jahren, konfessionelle Schranken zu durchbrechen, so dass die Hisbollah heute auch von Sunniten und libanesischen Christen politisch unterstützt wird. Die Operationen der Hisbollah trugen dazu bei, dass sich Israel im Jahr 2000 aus dem Süden des Libanons wieder etwas zurückzog, was ihr viel Prestige einbrachte.

    Der Libanon heute: Optimale Bedingungen für einen Schattenstaat

    Heute ist die politische Macht im Libanon formell nach Konfessionen geteilt: Diese schreibt fest, dass Präsident:innen aus dem christlichen, Ministerpräsident:innen aus dem sunnitischen und Parlamentsvorsitzende aus dem schiitischen Lager stammen müssen. Diese feste Teilung in Konfessionen, die historisch gleichzeitig mit bürgerlichen Lagern und Familienclans zusammenhängt, begünstigt die sektenhafte, feudale und korrupte Politik der konfessionellen bürgerlichen Parteien wie auch der Hisbollah.

    Der derzeitige Ministerpräsident Nadschib Mikati ist lediglich geschäftsführend im Amt, weil jede Regierung vom Präsidenten ernannt werden muss. Einen Präsidenten hat das Land derzeit aber ebenfalls nicht. Die Amtszeit des letzten, des christlichen Maroniten Michel Aoun, ist im Oktober 2022 zu Ende gegangen. Seither können sich die verfeindeten Fraktionen des Landes auf keinen Nachfolger einigen. Der Libanon, der sich über Jahrzehnte Geld aus Frankreich und Saudi-Arabien lieh, ist seit Ende 2019 in die tiefste Wirtschaftskrise seiner Geschichte gestürzt. Das libanesische Pfund hat mehr als 95 Prozent seines Werts verloren, und fast alle Banken sind bankrott. In diesem staatlichen Kontext hat die unabhängige Hisbollah, die auf dem Schwarzmarkt agiert, relativ freies Spiel und hält die Karten in der Hand.

    Im Libanonkrieg 2006 forderte die Hisbollah Israel praktisch heraus. Die Gründe variieren zwischen palästinensischem Befreiungskampf, der Rückverlegung der israelischen Grenze und der Befreiung schiitischer Gefangener. Zu vermerken bleibt, dass die Hisbollah der israelischen Armee IDF im südlichen Bergland des Libanon militärisch die Stirn bot.

    Die Hisbollah ist heute in den meisten westlichen Ländern als Terrororganisation eingestuft und verboten (in Deutschland seit 2020) – speziell wegen der kriegerischen Agitation und Propaganda gegen Israel.

    Fundamentalistisch, pan-schiitisch, pragmatisch

    Die Hisbollah ist eine pan-schiitische Bewegung. Das heißt, sie agiert über sämtliche schiitische Ausprägungen des Islam hinweg und hat den Anspruch, all diese zu vertreten. 1985 spezifizierte die Hisbollah die ideologische Plattform ihrer Organisation: „Wir betrachten das iranische Regime als Avantgarde und neuen Kern des führenden islamischen Staats der Welt. Wir halten uns an die Befehle einer einzigen weisen und gerechten Führung und verkörpert durch den obersten iranischen Führer Ayatollah Khomeini.“

    Trotz ihres pro-iranischen Geistes versuchten die Führer der Hisbollah gleichzeitig, eine autonome inländische Bewegung zu schaffen, die zwar mit dem Iran verbündet, aber unabhängig ist und ihre eigenen Entscheidungen treffen kann. Obwohl sie sich selbst als „Teil der islamischen Nation in der Welt“ betrachtet, heißt es in der Gründungserklärung der Organisation, dass sie beabsichtige, ihr Schicksal durch ihre „eigenen Hände zu bestimmen“. Damit wurde bereits damals klar ein schiitisch-libanesischer Mitgestaltungsanspruch formuliert.

    Weisungsgebunden und doch militärisch-operativ unabhängig

    Generalsekretär und Oberbefehlshaber der Hisbollah-Milizen, Hassan Nasrallah, leitet die Operationen der Hisbollah. Zusätzlich agiert der „Jihad-Rat” als höchstes militärisches Gremium der Gruppe.

    Die Hisbollah besitzt ein eigenes Militär und agiert größtenteils unabhängig von der libanesischen Regierung oder den libanesischen Streitkräften (LAF). Im Jahr 2021 sagte Nasrallah, seine Gruppe habe 100.000 Kämpfer:innen. Zum Vergleich: Die libanesische Armee (LAF) hat ca. 80.000 Soldat:innen. Die Hisbollah ist laut herrschender Meinung der LAF militärisch überlegen. Die beiden Armeen stehen im Konkurrenzverhältnis, was jedoch eine taktische Zusammenarbeit in bestimmen Fragen nicht ausschließt. Laut der dpa verfüge die Hisbollah  über 150.000 Raketen. Die Hisbollah selbst behauptet immer wieder, alle Teile Israels treffen zu können.

    Sie war zudem bereits in diversen libanesischen Regierungen vertreten. Mehrere Gruppenfunktionäre sind derzeit Mitglieder des Parlaments.

    Die Partei betreibt im Land außerdem soziale, Bildungs-, Gesundheits- und religiöse Einrichtungen, die ihren Unterstützer:innen und Nutzer:innen ein breites Spektrum an Dienstleistungen bieten, die über die oft dürftigen Dienstleistungen der libanesischen Regierung hinausgehen. Darüber rekrutiert sie auch ihre Reserven. Die Netzwerke der Hisbollah sind in der Regel um bestimmte Familienclans herum organisiert, etwa um die Familien Musawi und Hamadi. Daran wird der feudale Charakter der Hisbollah deutlich. Die breiten karitativen Tätigkeiten zeigen, wie die Organisation quasi einem Staatsapparat entspricht. Die Parteibasis wird vor allem aus dem verarmten Proletariat, aus Bäuer:innen, großen Familienclans und dem schiitischem Klerus gebildet.

    Die Hisbollah bildet andere iranische Proxys (bewaffnete Unterstützergruppen) aus und entsendet sogar wichtiges Personal und Militäreinheiten weit über die Grenzen des Libanon hinaus. Diese Aktivitäten im Ausland – sozusagen die Außenpolitik dieser Schattenregierung haben – noch mehr als ihre Milizaktivitäten im Inland und ihre Kriege mit Israel – dazu geführt, dass Länder auf der ganzen Welt ihre Strafverfolgungs- und Geheimdienste damit beauftragen, den Aktivitäten der Hisbollah entgegenzuwirken.

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    Der iranische Botschafter in Damaskus/Syrien koordiniert dabei zwischen der Hisbollah, dem Iran und Syrien. Daher ist es auch kein Wunder, dass der israelische Angriff vor kurzem speziell dieser syrischen Einrichtung galt.

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    Diese agiert als Teil der iranischen Quds Force (QF) – der Einheit der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) im Iran, verantwortlich für Auslandseinsätze. Im Laufe der Zeit übernahm der QF-Kommandeur, General Qassem Soleimani, persönlich die Führungsposition über die Streitkräfte der Hisbollah. Mit seinem Tod änderte sich dies.

    Nach Soleimanis Tod war es Hisbollah-Oberbefehlshaber Hassan Nasrallah, der die iranischen Stellvertreter – die „Achse des Widerstands“ – aufforderte, ihre Operationen zu verstärken, um das US-Militär aus der Region zu vertreiben. Heute fungiert die Hisbollah als geschäftsführender Gesellschafter des iranischen Netzwerks aus militanten Organisationen. Die Hisbollah betont dabei ihre Handlungsunabhängigkeit und führte in der Vergangenheit immer wieder auch Operationen ohne iranisches Vorwissen durch.

    In einem Gespräch mit der Financial Times im Jahr 2015 erinnerte ein Hisbollah-Kommandant daran, dass seit 2005 auch eine Ausbildungsbeziehung mit dem Jemen existiere. Die schiitischen Huthi („Ansar Allah“, die „Helfer Gottes“) wurden dort für den Kampf gegen Saudi-Arabien und Israel ausgebildet und ausgerüstet. Ein weiterer Hisbollah-Kommandant prahlte 2016: „Wenn wir mit Syrien fertig sind, werden wir mit dem Jemen beginnen” – die Hisbollah sei bereits da.

    Bei der ballistischen Rakete auf den internationalen Flughafen von Riad/Saudi-Arabien im November 2017 habe es sich um eine „iranische Rakete, die von der Hisbollah aus dem von den Huthis im Jemen besetzten Gebiet abgefeuert wurde“, gehandelt, so der saudische Außenminister Adel al-Jubeir gegenüber CNN.

    Laut US-Geheimdienstmitarbeitern zögerte Nasrallah 2011 zunächst, Hisbollah-Truppen nach Syrien zu schicken, um das Assad-Regime zu verteidigen. Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge stimmte Nasrallah den Einsätzen erst zu, nachdem er einen persönlichen Appell des obersten iranischen Führers, Ayatollah Ali Chamenei, erhalten hatte, der deutlich machte, dass Teheran von der Hisbollah ein entschlossenes Vorgehen erwarte.

    Als Gegenleistung für den Beitrag der Hisbollah und Irans zur Erhaltung des Assad-Regimes hat Syrien der Hisbollah und iranischen Kräften erlaubt, entlang des syrischen Golan ein Netzwerk überwiegend syrischer Kräfte aufzubauen, um eine neue Front mit Israel zu eröffnen.

    Die „Hisbollahisierung” anderer Gruppen stellt hinsichtlich ihres Namens, ihrer Struktur und ihrer Loyalität einen großen Erfolg für Teheran dar, da sie dem Iran ermöglicht, seinen Kerneinfluss zu bewahren und seine Macht in anderen Staaten der Region (wie in Syrien, Jemen oder dem Irak) auszubauen.

    Finanzierung

    Schätzungen zufolge stellt der Iran der Hisbollah jährlich 700 Millionen bis 1 Milliarde US-Dollar zur Verfügung (Stand 2021). Die regionalen Aktivitäten der Hisbollah weiteten sich gerade dann aus, als die Sanktionen und der schwankende Ölpreis begannen, die Fähigkeit des Iran zu beeinträchtigen. Dies führte dazu, dass die Hisbollah verstärkt auf ihre eigenen transnationalen, kriminellen, gewinnbringenden Geschäfte zurückgriff, um ihre Aktivitäten zu finanzieren. Einige davon, wie der stark ausgeweitete regionale Handel der Hisbollah mit „Captagon” (psychoaktives Medikament mit dem Wirkstoff Fenetyllin), erweisen sich immer noch als lukrativ.

    Narco-Staat Syrien

    Die Hisbollah übernahm darüber hinaus zusätzliche Funktionen bei der Durchführung illegaler Finanzpläne, die darauf abzielten, Sanktionen zu umgehen, das IRGC-QF zu finanzieren und darüber wichtige iranische Verbündete und Stellvertreter wie das Assad-Regime, die Hamas, die Huthis, irakische Milizen und die Hisbollah selbst zu finanzieren.

    Der Finanzapparat der Hisbollah ist sehr professionell“, erklärt Michael Bauer, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Libanon. Die Hisbollah wüsste, dass sie nur dann nachhaltig Bestand haben könne, wenn sie in der Lage wäre, sich dauerhafte Finanzierungsquellen zu erschließen. Denn die braucht sie sowohl für ihre Miliz, wie auch für die politische Arbeit und um sich Gefolgschaft insbesondere im Libanon zu kaufen, sagt Bauer: „Dort ist die Organisation auch selbst im Finanzsektor aktiv und erwirtschaftet mit ihrem eigenen Finanzinstitut ‘Al Qard Al Hassan’ Einkünfte, etwa aus Überweisungen von Libanesen im Ausland, sogenannten Remittances, Geldwechsel und so weiter.“

    Die Hisbollah enthält also ökonomisch sowohl Elemente einer „Komprador-Bourgeoisie”, kriminelle Elemente als auch klassisch-bürgerliche Elemente. Zusammen mit den feudalen Anteilen lässt sich die Partei quasi als „semi-feudale Bourgeoisie” charakterisieren.

    Im Netz der Widersprüche

    Mit der pan-schiitischen Regionalmachtsvorstellung im Sinne des Iran trifft die Hisbollah auf die Bestrebungen anderer imperialistischer Staaten – allen voran Israel, sowie der „Rentier”-Staaten Saudi-Arabien und der Golfstaaten. 2016 erklärte der Golf-Kooperationsrat (GCC) die Hisbollah zur Terrorgruppe, und die Golfstaaten gingen innerhalb ihrer Grenzen hart gegen Hisbollah-Anhänger:innen und Finanziers vor. Im Jahr 2018 brach z.B. auch Marokko die diplomatischen Beziehungen zum Iran aufgrund angeblicher Verbindungen der Hisbollah zur „Polisario-Front” (Westsahara) ab.

    Dennoch entwickelte sich die Hisbollah schon in ihren Anfängen auf zwei sich oft überschneidenden, aber manchmal konkurrierenden Wegen: Sie bekennt sich gleichzeitig zu den Dekreten des iranischen Oberhaupts, des libanesischen Staates, seiner sektiererischen schiitischen Gemeinschaft und seiner schiitischen Glaubensbrüder im Ausland. Dazu gehören die Förderung des Ansehens schiitischer Gemeinschaften weltweit sowie Untergrabung arabischer Staaten mit schiitischen Minderheiten in dem Bemühen, die iranische schiitische Revolution zu exportieren.

    Zu den anderen (oft konkurrierenden) Zielen der Hisbollah gehörten der Widerstand gegen die israelische Besetzung des libanesischen Territoriums und die Anfechtung und letztlich der Versuch, die Existenz Israels zu beseitigen. Unterdessen zählt auch dazu, in Koordination mit der IRGC-QF als verlängerter Arm Irans zu fungieren. Die Konsequenzen dieser konkurrierenden ideologischen und praktischen Grundsätze wurden im Syrienkrieg (seit März 2011 andauernd) deutlich und sind heute wieder aktueller denn je.

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    Ist die Hisbollah ein verlängerter Arm des Iran?

    Der Iran verfolgt wie dargelegt eine Strategie der Hisbollahisierung zum Aufbau von Verbündeten und zur Destabilisierung verfeindeter Staaten, um sich als Regionalmacht auszuweiten. Er bedient sich dabei des religiösen, reaktionären Narrativs eines schiitischen Pan-Islamismus und einer anti-westlichen Propaganda.

    Trotzdem kann die Hisbollah nicht einfach als verlängerter Arm des Iran angesehen werden: Sie unterhält zwar eine enge strategische Allianz mit dem Iran, die so wirken könnte, als sei die Hisbollah ein reiner Vasall der iranischen Bourgeoisie. Doch die führenden Schichten der Hisbollah verfolgen eigene Interessen: Die Interessen dieser Hisbollah-Bourgeoisie sind eng an den Iran angelehnt, da sie darin die größten Aussichten auf den Ausbau des eigenen Machtbereichs sehen. Das hat sich im Fall des Libanon für sie als erfolgreich herausgestellt.

    Es stellt sich so eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Iran und der Hisbollah dar. Obgleich der Iran wirtschaftlich und militärisch der überlegene Akteur ist, ist er für seine Regionalmachtbestrebungen auf die Aktivitäten der Hisbollah angewiesen. Die Hisbollah-Bourgeoisie wiederum braucht den Iran auf absehbare Zeit, um ihren Einfluss im Libanon und darüber hinaus nachhaltig auszubauen. Derzeit befindet sie sich jedoch in einer komfortablen Lage, was die Lage im Libanon und die Stellung gegenüber Israel anbelangt.

    Beide Staaten profitieren von einer Schwächung Israels: Der Iran im regionalen Kontext um die Vormachtstellung in der Region, die Hisbollah gegenüber einem direkten verfeindeten Nachbarn.

    Will die Hisbollah den Krieg mit Israel?

    Die Hisbollah dürfte gemäß ihrer strategischen Ziele derzeit kein unmittelbares Interesse an einem Krieg mit Israel haben. Die strategischen Ziele sind die Hisbollahisierung weiterer Akteure sowie die Schwächung des Konkurrenten Israel. Demnach dürfte es für die Hisbollah erst dann einen direkten Grund für einen Krieg mit Israel geben, wenn damit bezweckt werden könnte, dass Israel signifikant geschwächt würde (während die Hisbollah selbst relativ wenig Schaden nähme) oder dann, wenn damit ein Verbündeter aufgebaut oder geschützt werden könnte.

    Für ersteres besteht kein Grund zur Annahme: Israel ist nicht geschwächt genug und die Hisbollah verfügt nicht über genügend militärische Stärke, um es derzeit mit Israel aufnehmen zu können – in dem Sinne, alleine einen Krieg zu gewinnen. Dafür sind sowohl die israelische Armee IDF als auch deren Verbündete (die USA, Deutschland, etc.) zu mächtig.

    Ein Einschreiten aufgrund einer möglichen Hisbollahisierung von Gruppen könnte dann angenommen werden, wenn auch die Hamas oder der „Islamic Jihad (PIJ)” als eine solche Gruppe verstanden werden. Dafür spricht, dass es sich dabei um islamisch-fundamentalistische Gruppen handelt, die gegen Israel kämpfen und Unterstützung aus dem Iran beziehen. Beide sehen sich z.Zt. in keiner leichten Situation im Gazastreifen.

    Allerdings sprechen zwei Dinge dagegen: Erstens ist die Situation noch nicht so aussichtslos, dass die Hisbollah unbedingt eingreifen müsste. Zweitens handelt es sich bei der Hamas und dem PIJ um sunnitische Parteien, die sich nicht der schiitischen Herrschaftsideologie des Iran unterwerfen würden. Sie gehören daher auch nicht unbedingt zur „Achse des Widerstands“. Damit sinkt die Bedeutung dieser Akteure sowohl für den Iran als auch für die Hisbollah. Die Hamas und der PIJ sind wohl eher als taktische Verbündete zu betrachten, denn als strategische. Ein Krieg wäre demnach nur notwendig, wenn droht, dass sich Israel ohne ein Eingreifen der Hisbollah in Gaza durchsetzen und seine Macht ausbauen würde.

    Hier macht sich jedoch ein zentraler Widerspruch bemerkbar: Die Hisbollah basiert auf dem militanten Kampf gegen Israel und solidarisiert sich dementsprechend mit dem von Israel unterdrückten, mehrheitlich islamisch-palästinensischen Volk. In einer Situation wie jetzt nichts zu tun, würde einen Vertrauensverlust unter den Anhängern der Parteibasis bedeuten. Das derzeitige Vorgehen der Hisbollah spricht dafür, dass sich die Gruppe in einem schwierigen Spannungsfeld befindet.

    Kommt der Krieg im Libanon?

    Ist die Hisbollah also ein Verbündeter im palästinensischen Befreiungskampf?

    Im derzeitigen Kriegsgeschehnis in Westasien offenbart sich der Hisbollah einmal mehr dieses Spannungsfeld: Während der Iran Zurückhaltung anmahnt, weil er keinen direkten Krieg gegen Israel möchte, steht die Hisbollah-Basis mit einem Bein tief im palästinensischen Freiheitskampf. Ist sie damit Verbündeter auf dem Weg zur palästinensischen Selbstbestimmung?

    Die Hisbollah ist ähnlich wie die Hamas keine fortschrittliche Organisation. Sie repräsentiert ebenso wie die Hamas ein reaktionäres bürgerliches nationales Lager – jedoch ein libanesisch-schiitisches.

    Dass die Hamas ein potenzieller strategischer Bündnispartner für die palästinensische Arbeiter:innen und Bauernklasse auf dem Weg zur nationalen Befreiung sein könnte, stammt daher, dass sich die Hamas gegen die Rolle einer Komprador-Bourgeoisie entschieden hat und die nationale Befreiungsbewegung Palästinas derzeit faktisch anführt.

    Das ist bei der Hisbollah anders: In Bezug auf die libanesische Arbeiter:innenklasse ist festzustellen, dass das libanesische Volk bereits nationale Eigenständigkeit erreicht hat (wie auch immer geartet). Die Hisbollah kann damit in den Augen des libanesischen Proletariats keine fortschrittliche Kraft im Libanon darstellen.

    Die Hisbollah verfolgt mit der Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes ihre eigenen Ziele: Sie hat ein indirektes Interesse an einer palästinensischen Nation: Eine Schwächung des israelischen Regionalmachtsbestrebungen würde der Hisbollah eine ideologische, geschäftliche sowie territoriale Ausdehnung (israelisch-libanesische Grenze) erlauben. Das heißt, auch ohne taktisches Bündnis könnte die palästinensische Arbeiter:innenklasse von den Aktivitäten der Hisbollah profitieren.

    Ob die palästinensische Arbeiter:innenklasse neben der eigenen Bourgeoisie in Form der Hamas auch auf eine fremde Bourgeoisie als Bündnispartner angewiesen wäre, ist zu verneinen. Eher ließe sich sagen, dass der palästinensische Befreiungskampf von den regionalen Widersprüchen zwischen den bürgerlichen und imperialistischen Lagern profitiert.

    Von Rojava bis zum Roten Meer – Frieden nur durch Sozialismus!

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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