In Westasien verändern der Iran, Saudi-Arabien und die Türkei mit der Unterstützung imperialistischer Weltmächte die Kräfteverhältnisse in der Region nach ihren Interessen. Gleichzeitig kämpfen in Palästina, Kurdistan und anderen Teilen der Region unterdrückte Völker für ihre Selbstbestimmung. Seit dem von der islamisch-fundamentalistischen Hamas angeführten Angriff auf Israel blickt die ganze Welt wieder auf diese Region. Doch immer deutlicher wird auch: Einen echten Frieden und wahre Freiheit wird nur eine regionale sozialistische Revolution bringen.
Die Bilder gingen um die Welt: Aus dem seit 16 Jahren unter Blockade stehenden palästinensischen Gaza-Streifen flogen bewaffnete Paraglider am 7. Oktober über die israelischen Grenzanlagen hinweg und durchbrachen diese mit Bulldozern an dutzenden Stellen. Bedeutender als der militärische Erfolg der Aktion war die auf diese Art und Weise gesendete Botschaft: Widerstand und Aufbegehren sind möglich, auch gegen von vielen als unumstößlich wahrgenommene Ordnungen.
Weil die großen Mächte USA, China und Russland ihrerseits ihre Kräfte neu ordnen und mit den zwischen ihnen herrschenden Spannungen beschäftigt sind, eröffnen sich derzeit vielerorts Spielräume für regionale Mächte und Bewegungen, die im Schatten der großen Akteure ihren eigenen Interessen nachgehen. Das zeigt sich besonders auch in Westasien: Während die palästinensische Freiheitsbewegung, angetrieben von iranischen und islamisch-fundamentalistischen Kräften, ihr Heil in der Offensive suchte, muss sich beispielsweise das kurdische Volk in Rojava erneut gegen neue Angriffe des türkischen Faschismus verteidigen.
Fragiler Flickenteppich
Die politische Situation in Westasien ist nicht erst seit den jüngsten Entwicklungen kompliziert. Krieg, Flucht und humanitäre Katastrophen gehören seit Jahrzehnten ebenso zu der Region wie religiöse Sektiererei und ethnische Konflikte. Ihren Ursprung haben viele der heute sichtbaren Widersprüche darin, dass die verschiedenen Gebiete immer wieder unter den imperialistischen Mächten neu aufgeteilt wurden, Grenzen und Staaten willkürlich geschaffen oder von der Karte gestrichen wurden. Als im 19. Jahrhundert das industrielle Wachstum in den westlichen Ländern zur Entstehung von großen, international agierenden Monopolen führte, strebten diese nach mehr Einfluss auch außerhalb der eigenen nationalen Grenzen – der Kapitalismus in seiner Entwicklungsstufe des Imperialismus bringt bis heute gesetzmäßig hervor, dass die Konkurrenz zwischen großen kapitalistischen Monopolen sich auf Ebene der Nationalstaaten in ständigen Aggressionen und Kriegen widerspiegelt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es vor allem Frankreich und Großbritannien, die ihren Einfluss in Westasien geltend machten und die Grenzverläufe ihrer Hoheitsgebiete am Verhandlungstisch mit dem Lineal auf der Karte einzeichneten. Die Ergebnisse dieser Willkür sind noch heute sichtbar: Zwar bildeten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts innerhalb dieser Grenzen Nationen wie zum Beispiel die syrische, die irakische oder auch die israelische Nation heraus. Gleichzeitig können die jeweiligen Nationalstaaten nur existieren, weil religiöse und ethnische Minderheiten unterdrückt werden.
Im Irak und in Syrien kämpfen beispielsweise Kurd:innen und Suryoye um ihre jeweilige nationale Selbstbestimmung, gegen die israelische Besatzung begehren die Palästinenser:innen seit Jahrzehnten immer wieder auf. Überall in Westasien kommt es außerdem, wie im Irak und im Jemen, zu Kriegen zwischen schiitischen und sunnitischen Fraktionen. Die religiöse Konfession dient in diesen Zusammenhängen als Legitimation für Machtkämpfe in den ohnehin fragilen Staaten.
Diese Machtkämpfe sind auch heute von imperialistischen Interessen geleitet. Nachdem im Kalten Krieg die USA und die revisionistische Sowjetunion um Einfluss in der Region rangen, agierten die USA nach dem Zerfall der UdSSR zunächst ungezügelt mit direkten Militärinterventionen wie im Irak ab 1991 und 2003. Gegenwärtig zeigt sich, dass die USA, trotz ihres neuen Hauptfokus auf Südasien und der direkten Konfrontation mit China, ihre Interessen und Bündnispartner in Westasien, allen voran Israel, nicht ohne weiteres aufgeben werden. Auch der russische Imperialismus hält, wie mit der Unterstützung von Machthaber Assad im syrischen Bürgerkrieg ab 2015, mit aller Kraft an seinem mittlerweile stark begrenzten Einfluss in der Region fest. Gleichzeitig tastet sich China mehr und mehr nach Westasien vor und erreichte im Frühjahr einen Durchbruch bei der verhandelten Aussöhnung von Saudi-Arabien und dem Iran.
Regionale Machtkämpfe
Der Iran und Saudi-Arabien sind es auch, die im Wettstreit mit der Türkei nach dem „Arabischen Frühling“ um das Jahr 2011 zunehmend ihre regionalen Hegemonialansprüche in Westasien geltend gemacht haben. Alle drei verfolgten dabei verschiedene Strategien. Die Türkei strebt unter der zur Muslimbruderschaft gehörenden AKP-Regierung danach, Vorbild- und Führungsrolle für islamisch-konservative Regierungen in ganz Westasien zu übernehmen. Das NATO-Land unterdrückt weiterhin den kurdischen Befreiungskampf und schreckte dabei auch nicht vor der Allianz mit islamisch-fundamentalistischen, faschistischen Milizen wie dem Islamischen Staat (IS) zurück.
Vor allem im syrischen Bürgerkrieg entwickelte sich auch eine zunehmende Rivalität zwischen der Türkei und dem Iran. Dem Iran gelang es letztlich besser, das Vakuum im syrischen ‚failed state‘ auszunutzen, um den eigenen Machtbereich zu stärken. Ähnlich wie die Türkei strebt der Iran seit der Machtergreifung des schiitischen Fundamentalismus 1979 eine Führung der arabischen Welt von außen an. Mit der Hisbollah-Miliz im Libanon und den Huthi-Rebellen im Südjemen unterstützt der Iran seit Jahren gefestigte Strukturen und nimmt Einfluss vom Mittelmeer bis hin zum Golf von Aden.
In Syrien hielt die vom Iran unterstützte Assad-Regierung den von den USA unterstützten Rebellen stand. Im Jemen kämpfen die vom Iran kontrollierten Rebellen in einem Stellvertreterkrieg seit Jahren gegen die von Saudi-Arabien unterstützten Regierungstruppen. Gleichzeitig lehnt der Iran jegliche Normalisierung der Beziehungen zu Israel ab. Nicht nur durch die Unterstützung der Hisbollah und der Hamas im Kampf gegen Israel, sondern auch in den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und dem mit Israel und dem Westen verbündeten Aserbaidschan prallen iranische und israelische Interessen direkt aufeinander.
Saudi-Arabien hingegen versuchte lange im Windschatten des US-Imperialismus eine arabische Hegemonie in Westasien zu erreichen. Dazu gehört auch die Annäherung an Israel. Mit der vom Iran unterstützten palästinensischen Militäroffensive und den israelischen Vergeltungsschlägen ist die Annäherung an Israel aber vorerst gescheitert. Durchaus denkbar ist, dass Saudi-Arabien die jüngsten Kooperationen mit China, Russland und auch dem Iran fortsetzt und langsam das Lager wechselt, um mehr Spielraum für die eigenen Interessen in der Region zu erlangen.
Nur der Sozialismus wird Freiheit und Frieden schaffen
Angesichts dieser Lage und der verschiedenen Interessen der großen und kleineren imperialistischen Welt- und Regionalmächte in der Region erscheinen auch die palästinensischen Angriffe vom 7. Oktober in einem anderen Licht. Denn die eigentliche Frage ist: Werden derartige Aktionen den Völkern des Nahen Ostens tatsächliche Freiheit bringen? Das ist kaum vorstellbar. Ein eigenständiger palästinensischer kapitalistischer Staat hätte beispielsweise ohne die Abhängigkeit vom Iran oder einer anderen regionalen Schutzmacht keine Überlebenschancen. Eine palästinensische nationale Selbstbestimmung wäre aber auch unter neuer Vormundschaft nicht gewährleistet. Ähnlich gestaltet sich auch die Situation in Kurdistan: Im Kampf gegen die Türkei, Syrien, den Irak und den Iran kann sich das kurdische Volk nicht auf mächtige Stellvertreter:innen wie die USA verlassen, sondern muss sich die nationale Selbstständigkeit gegen alle imperialistischen Interessen gleichzeitig selbst erkämpfen.
Das heißt nicht, dass die Kämpfe gegen den reaktionären Zionismus oder den türkischen Faschismus für die Befreiungsbewegung keine wichtigen Schritte auf dem Weg zur Selbstbestimmung darstellten. Schließlich spalten diese reaktionären Ideologien, genauso wie andere islamisch-fundamentalistische Ideologien und faschistische Tendenzen, die Bevölkerungen in Westasien und verhindern einen vereinheitlichten Kampf. Objektiv haben alle unterdrückten Menschen in Westasien einen gemeinsamen Feind, nämlich die vom ewigen Streben nach Profit getriebenen Kapitalist:innen in allen imperialistischen Staaten, die in Westasien nach wie vor billige Arbeitskraft abschöpfen und Rohstoffe plündern, sowie alle Staatsoberhäupter, die die kapitalistische Produktionsweise in Westasien stützen.
Die einzige Perspektive für Frieden und Freiheit in Westasien wäre folgerichtig eine regionale sozialistische Revolution, in der die Unterdrückten der Region gemeinsam die kapitalistischen Staaten stürzen und sich von der imperialistischen Fremdbestimmung loslösen. Dass die Kämpfe der unterdrückten Völker verbunden sind, wird von kommunistischen Kräften immer wieder herausgestellt. So kämpfen derzeit in Kurdistan kommunistische Kräfte wie die MLKP für die Selbstbestimmung des kurdischen Volkes, aber auch für die Überführung des nationalen Befreiungskampfes in eine sozialistische regionale Revolution.
Dass der kurdische Befreiungskampf, vor allem in Verbindung mit der Frauenrevolution und Arbeiter:innenaufständen, die Staaten in Westasien ins Wanken bringen kann, zeigten eindrücklich bereits die revolutionären Proteste im Iran vor einem Jahr nach der Ermordung von Jina Amini. Ist das revolutionäre Feuer einmal entfacht, werden die Funken genau dann auf andere Staaten übergreifen, wenn auch dort revolutionäre Kräfte das Bewusstsein für den geeinten Kampf gegen die Unterdrücker geschaffen haben. Dazu gehört zuvorderst die Erkenntnis, dass eine regionale sozialistische Revolution keine Träumerei, sondern die einzig realistische Lösung für Frieden in Westasien ist.