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Montag, September 9, 2024
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    Revisionsprozess gegen AfDler Robert H. – Verstrickung zwischen Faschist:innen, Staatsschutz und Polizei

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    Am 23., 24. und 30. Juli wurde vor dem Landgericht Freiburg die Revision des Urteils gegen den AfD-Gemeinderatskandidaten Robert H. verhandelt. Das „Solidaritätsnetzwerk Freiburg” hat den Prozess vor Ort begleitet und eine antifaschistische Kampagne in der Nachbarschaft des Tatorts organisiert.

    Am Abend des 12. Juni 2021 kam es zu einem Angriff auf zwei Jugendliche und zwei Passant:innen durch den AfD-Gemeinderatskandidaten Robert H. Das Ganze ereignete sich auf einer Straße im Stadtteil Unterwiehre in Freiburg. Dort leben sowohl der AfD-Politiker als auch die Betroffenen.

    Faschistische Angriffe in Freiburg – gedeckt durch Justiz, Polizei und Medien

    Messerangriff von AfDler

    Die Jugendlichen liefen an dem Abend an H. vorbei, erkannten ihn und bezeichneten ihn als “Faschisten”. H. begann daraufhin, die beiden mit seinem Handy zu filmen. Als sich die zwei Jugendlichen dann entfernen wollten, nahm der AfDler die Verfolgung auf. Dabei kam er ihnen bedrohlich nahe, woraufhin die beiden Jugendlichen ihre Hände vor Hagermans Kamera hielten. Der Gemeinderatskandidat zückte daraufhin ein Pfefferspray und attackierte die beiden damit mehrmals aus kürzester Distanz.

    Ein älteres Ehepaar, das im selben Viertel wohnt, wurde aus ihrem Auto heraus auf das Geschehen aufmerksam und zeigte Zivilcourage: Sie boten den beiden Jugendlichen Wasser an, um zunächst ihre Augen auszuwaschen. Nachdem die – laut Zeugenaussagen „panischen“ –  Jugendlichen die Beobachter:innen dann auf den immer noch „schnell und zielstrebig“ verfolgenden Robert H. hinwiesen, stellten sie sich ihm in den Weg. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung attackierte Robert H. jetzt auch die beiden zu Hilfe gekommenen Anwohner:innen mit Pfefferspray und stach dann dem beteiligten Mann mit einem Messer in den unteren Brustkorb.

    Erster Prozess endete mit milder Geldstrafe

    Robert H. kam im Dezember 2022 in erster Instanz mit einer außerordentlich milden Strafe davon und wurde vor dem Amtsgericht Freiburg zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt. Das lag unter anderem daran, dass der Anklagepunkt des Messerangriffs seitens der Staatsanwaltschaft unberücksichtigt blieb. Somit wurden nur die Pfefferspray-Angriffe verhandelt.

    Zu der milden Strafe erklärte eine Rednerin der „Internationalen Jugend” damals bei einer Spontankundgebung nach der Urteilsverkündung: „Das Ganze ist natürlich eine Farce und zeigt uns mal wieder eindrücklich, dass Faschist:innen einen Freifahrtschein haben, während andere Menschen alleine aufgrund ihrer Armut kriminalisiert werden und beispielsweise für ein halbes Jahr in den Knast kommen, weil sie sich kein Straßenbahnticket leisten können.“

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    In dem jetzigen Verfahren sagte zudem der leitende LKA-Beamte aus, dass er ein Vertrauensverhältnis zu Robert H. aufgebaut hätte. Den Betroffenen des Messerangriffs versuchte er dagegen in ein schlechtes Licht zu stellen, da dieser bei einem Anruf des LKA-Beamten schnell wieder aufgelegt habe, nachdem ihm eröffnet wurde, dass auch gegen ihn ein Verfahren wegen versuchter Körperverletzung laufe.

    Erwähnenswert ist außerdem, dass H. von der Anwältin namens Nicole Schneiders vertreten wurde: Als Nazi-Anwältin vertrat sie im NSU-Prozess schon Ralf Wohlleben, der wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Sie selbst bezeichnet sich als unpolitisch – ihre jahrzehntelange Mitgliedschaft in diversen Neonazi-Gruppen wie der NPD legt jedoch nahe, dass sie ein hochrangiges Mitglied des Nazi-Kaders ist.

    Revisionsprozess im Juli

    Trotz des milden Urteils legte der Beklagte H. Revision ein. Der Prozess begann am 23. Juli vor dem Landgericht Freiburg und wurde vom „Solidaritätsnetzwerk Freiburg” und der „Leuchtlinie BW” begleitet. Angesetzt waren drei Verhandlungstermine, bei denen jedoch nur eine Bestätigung des Urteils, eine Minderung der Strafe oder ein Freispruch möglich waren. Gleichzeitig startete das „Solinetz Freiburg” eine Stadtteilkampagne in der Unterwiehre, um sich als Nachbar:innen solidarisch gegen faschistische Gewalt zusammenzuschließen. Vor Prozessbeginn fand zusätzlich eine Demonstration von der Freiburger Innenstadt bis in das Viertel statt.

    Am Morgen des ersten Gerichtstermins sah man vor dem Gerichtsgebäude bereits Beamt:innen des Staatsschutzes in einem angeregten Gespräch mit der Ex-NSU-Anwältin Schneiders. Auch während der Verhandlung sei die “Neutralität des Staats immer wieder in Frage zu stellen“, kommentierte Katharina Gensch vom Solidaritätsnetzwerk, die einen Infostand vor dem Gerichtsgebäude aufgebaut hatte, gegenüber Perspektive.

    Besonders auffällig war dabei die Zeugenaussage des Polizisten K., der laut eigener Angaben einen „guten Draht“ zu H. habe. Auch seine weitere Aussage inszenierte den Beschuldigten H. als Opfer der linken Szene, obwohl der Polizist auf Nachfrage zugeben musste, dass der AfDler und Querdenken-Aktivist auch in der Vergangenheit durchaus schon als Gewalttäter aufgefallen sei.

    Die Sympathie für H. seitens des Polizisten K. gipfelte dann in der Aussage, es sei „kein Wunder, dass das an dem Abend so eskaliert, wenn er [der Betroffene] sich so verhält“. Damit gab er eindeutig zu verstehen, dass er die wütende Reaktion des Opfers auf den Pfefferspray-Angriff als ausreichend rechtfertigenden Grund für die Messerattacke sah – „Von einer objektiven Einordnung war da nichts zu sehen“, sagte Katharina Gensch vom Solidaritätsnetzwerk nach dem Prozess.

    Auffallend war auch die bizarre Verteidigungsstrategie seitens der Anwältin Schneiders. Als Teil ihres Versuchs, den Angeklagten H. als schuldunfähig darzustellen, spielte sie immer wieder auf seine vorgebliche Autismus-Diagnose an. Der Täter weigerte sich allerdings, sowohl seinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, als auch, sich zu einem Gespräch mit einem Sachverständigen bereit zu erklären. Die Beobachtenden des Prozesses stellen deshalb die These auf, dass all dies ein Täuschungsmanöver sei, um sein – laut Zeugenaussagen „klar[es] und kontrolliert[es]“ – Handeln während der Tat im Nachhinein als „unregulierte” Panikreaktion darzustellen.

    Auch das Schlussplädoyer des Täters selbst fügte sich harmonisch in sein stilisiertes Opferbild ein. So behauptete er, er wolle sich „ganz sicher“ nicht bei den Angegriffenen entschuldigen, denn insbesondere der Mann sei ein „aggressiver abgebrühter Schlägertyp“.

    Milde Strafe bestätigt – keine Gerechtigkeit für die Betroffenen

    Die Verteidigung forderte im Laufe des Verfahrens eine Minderung der Anzahl der Tagessätze, da das Verfahren bereits so lange laufe. Die Nebenklage forderte im Gegenzug  hingegen eine Erhöhung der Höhe der Tagessätze, da der Beschuldigte mittlerweile nicht mehr arbeitslos sei, weshalb die Höhe zuvor so gering ausfiel. Schlussendlich änderte sich an dem Urteil aus der ersten Instanz nichts und wurde von der Richterin des Landgerichts bestätigt.

    Katharina Gensch vom Solinetzwerk fasst den Prozess im Nachhinein zusammen: „Der Prozessverlauf zeigt die Verstrickung zwischen gewalttätigen Faschist:innen und dem Staat klar auf: Nicht nur H. scheint einen guten Draht zur Polizei zu haben, seine Anwältin Nicole Schneiders scheint sich ebenfalls gut mit dem Staatsschutz zu verstehen. Auch der angeblich bürgerlich-konservative und friedliebende Charakter der AfD scheint angesichts der gewählten Anwältin und des Messerangriffs auf eine älteres Ehepaar auf offener Straße mehr als fragwürdig. Gerechtigkeit für die Betroffenen bringt dieser gesamte Prozess sicher nicht.“

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