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Samstag, September 21, 2024
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    Verurteilung wegen „From the River to the Sea“-Parole in Berlin

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    Am Dienstag verurteilte das Amtsgericht Tiergarten eine junge Frau für das Rufen der Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free!“. Vor dem Gericht fand zeitgleich eine Kundgebung gegen die Kriminalisierung von Palästina-Solidarität statt. Die Verurteilte geht gegen das Urteil in Berufung.

    Am Dienstag fand am Amtsgericht Tiergarten ein wichtiger Strafprozess statt. Zum ersten Mal seit Oktober 2023 entschied eine Berliner Richterin über die Strafbarkeit des Slogans „From the River to the Sea – Palestine will be free!“.

    Die Angeklagte hatte den Spruch im Rahmen einer Demonstration am Ernst-Abbe-Gymnasium gerufen. Dort wollte sie Solidarität mit einem Schüler zeigen, der wohlmöglich wegen einer Palästina-Flagge von seinem Lehrer geschlagen wurde. Nun urteilte die Richterin, dass der Ruf ein Billigen von Straftaten darstelle, und verhängte eine Geldstrafe gegen die Angeklagte.

    Die Richterin folgte damit explizit nicht der Einschätzung, dass die Parole von der Meinungsfreiheit gedeckt und somit straffrei ist. Prozessbeobachter:innen berichteten im Nachhinein, die Richterin sei voreingenommen und von den eigenen politischen Einstellungen geleitet gewesen. Einer der Verteidiger bezeichnet den Tag als „schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit“ und kündigt an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

    Kundgebung vor dem Gericht

    Unter dem Motto „Unsere Solidarität gegen ihre Repression!“ fand zeitgleich zu dem Prozess eine Kundgebung vor dem Gericht statt. Die Kundgebung organisierten die Gruppen Palestine at the Forefront und Zora. Letztere war im Dezember 2023 selber zur Zielscheibe  von Repression geworden, als 170 Berliner Polizist:innen wegen eines Flyers die Wohnungen der jungen Aktivistinnen durchsuchten.

    Berlin: 170 Beamte bei ZORA-Razzia wegen Palästina-Posts im Einsatz – Spontanprotest angekündigt

    Bereits vor dem Urteil stellten die Redner:innen auf der Kundgebung klar: „Egal, was heute entschieden wird. Wir lassen uns nicht als kriminell abstempeln. Die Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit verteidigen wir nur, indem wir uns weiter hörbar machen und uns dieser Kriminalisierung widersetzen!“.

    Auch die Angeklagte machte deutlich, dass sie weiterhin hinter dem Spruch stehe: „Diese Losung repräsentiert für mich und sicherlich für euch auch den Ruf nach Freiheit, Gleichheit und nach Gerechtigkeit“. Die Parole eröffne „eine Perspektive fernab von all den Gräueltaten, welche Palästinenser:innen seit 76 Jahren erfahren müssen, hin zu einem gemeinsamen säkularen und demokratischen Staat frei von jeglicher sozialer und religiöser Unterdrückung“.

    „From the River to the Sea: Palestine will be free!“ – bald strafbar?

    Kriminalisierung der Parole

    Der Ruf nach einem freien Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan hat eine lange Geschichte – genauso wie dessen Kriminalisierung. Das Innenministerium legte im Oktober 2023 fest, dass die Parole ein Symbol der Hamas sei. Es folgten eine Vielzahl an Ermittlungen wegen Delikten wie Volksverhetzung, Billigung von Straftaten und der Verwendung von Kennzeichen einer Terrororganisation. Auf Grundlage der Kriminalisierung des Spruches führte die Polizei Hausdurchsuchungen durch und verbot Demos sowie das Rufen des Slogans auf Demos.

    Doch es gibt auch andere Tendenzen im deutschen Justizsystem: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschied im März, dass der Slogan auf einer Demo nicht verboten werden durfte. Das Landgericht Mannheim entschied im Mai, dass die Parole straffrei sei.

    Im Juni entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg dann aber doch wieder, dass der Slogan auf einer Demo verboten werden durfte. Somit ist die Rechtslage bis heute unklar. Und immer wieder greifen Polizei und Staatsanwaltschaften auf Grund des Spruches in die Rechte von Aktivist:innen ein.

    Eine Rednerin der Gruppe Palästina Spricht macht die Absurdität dieser Kriminalisierung deutlich. Während schätzungsweise 186.000 Menschen in Gaza als Folge des Genozids tot sein könnten, „stehen wir heute vor Gericht und diskutieren über eine angeblich genozidale Parole. Eine Parole, die in Deutschland mehr negative Berichterstattung erhält, als ein Genozid, der sich tagtäglich live vor unseren Augen abspielt“. Sie fügt hinzu: „Ein Ruf nach Freiheit und Gleichheit wird zur Volksverhetzung, während Apartheid, Militärbesatzung und Völkermord bedingungslos von der deutschen Bundesregierung unterstützt werden“. Kurz nach ihrer Rede wird sie von der Polizei abgeführt und ihre Daten werden aufgenommen. Die Begründung: Sie hat den Spruch in ihrer Rede gesagt.

    Wie geht es weiter?

    Für Berlin hat nun die Richterin des Amtsgerichts ein gefährliches Urteil gefällt. Damit stellt sie sich in direkten Widerspruch zu dem höheren Landgericht Mannheim. Es gibt seit Oktober 2023 über 300 Ermittlungsverfahren in Berlin auf Grundlage der Parole. Der Slogan wird also weiterhin ein rechtlich und politisch umkämpftes Feld bleiben.

    Wie der deutsche Staat den Ruf nach einem freien Palästina kriminalisiert

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