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Freitag, April 26, 2024
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    Pulse of Europe – immer wieder Sonntags… – Kevin Hoffmann

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    Kommentar zu einer Bewegung, die nichts bewegen will.
    In den letzten Wochen und Monaten ist sie entstanden. Eine Bewegung, in Blau gehüllt, mit Sternen gekrönt. Mit hunderten Fahnen der Europäischen Union (EU) füllen sie jeden Sonntag zahlreiche Plätze in deutschen Städten. Ja, auch in den umliegenden EU-Ländern zeigen sich viele Initiativen, um für den Erhalt der EU zu demonstrieren.

    1. Wer steht hinter dieser Bewegung?

    Gegründet wurde die Bürgerinitiative “Pulse of Europe”, die mittlerweile ein eingetragener und gemeinnütziger Verein ist, im November 2016 von den Rechtsanwälten Dr. Daniel und Sabine Röder in Frankfurt. Seit Beginn des Jahres breitet sich diese Bürgerinitiative immer weiter aus. Am 2. April 2017 nahmen in 12 europäischen Ländern und in 85 Städten etwa 48.000 Menschen an den Kundgebungen der Bewegung teil. Laut eigener Angaben finanziert sich die Initiative allein aus Spenden von Privatpersonen. Wie hoch das Einkommen aus diesen Spenden ist und ob sich nicht auch zahlreiche Großspender unter den großzügigen Einzelpersonen befinden, gibt die Initiative nicht bekannt. Man bekomme jedoch kein Geld von Konzernen oder EU-Institutionen, so Dr. Röder. Das mag stimmten, doch fallen unter diese Definition von Privatpersonen ja immer noch zum Beispiel Politiker, Konzernchefs und EU-Lobbyisten – nur eben als Privatpersonen. Fakt bleibt: woher das Geld für die Bühnen, Künstler, das Büro in Frankfurt und die blau geschmückten Plätze überall in der Republik kommt, liegt nicht offen. Werbung in lokalen Radios, Zeitungen und der Tagesschau gibt es umsonst obendrauf. Welche Bürgerbewegung wünschte sich das nicht?

    2. Was sind die Ziele dieser Bewegung?

    Laut eigener Angaben ist Pulse of Europe eine Gegenbewegung zu den sich verstärkenden nationalen Tendenzen und den Wahlerfolgen rechter Parteien in Europa. Man wolle besonders zu den Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland die europäischen Werte hochhalten. Man habe „einen Großteil der Bevölkerung hinter sich, der an Europa festhalten will“. Diese „bislang schweigende Mehrheit“ wolle sie mit ihrer Bewegung anregen, „um den pro-europäischen Gedanken in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen“. Es sei nicht die Zeit für Proteste, sondern Zeit, für die Grundlagen der Wertegemeinschaft im positiven Sinne einzustehen, heißt es auf der Homepage der Initiative. Dass sie eigentlich gar nicht demonstrieren wollen, spiegelt sich auch in den “zehn Geboten” der Bewegung wider:

    1. Europa darf nicht scheitern
    2. Der Friede steht auf dem Spiel
    3. Wir sind verantwortlich
    4. Aufstehen und wählen gehen
    5. Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit sind unantastbar
    6. Die europäischen Grundfreiheiten sind nicht verhandelbar
    7. Reformen sind notwendig
    8. Misstrauen ernst nehmen
    9. Vielfalt und Gemeinsames
    10. Alle können mitmachen – und sollen es auch

    Dass es zum Teil zu Überschneidungen zwischen Teilnehmern und Organisatoren von Pulse of Europe und der rechten PEGIDA-Bewegung komme, sehe man kritisch. Dass man nirgendwo gegen etwas demonstriere, macht freilich bei den formulierten Zielen und Forderungen der Bewegung durchaus Sinn: schließlich scheint man auch nichts verändern zu wollen, Pulse of Europe verteidigt den Status quo.

    3. Warum nicht Teil dieser Bewegung werden?

    Was Pulse of Europe in der Beschreibung ihrer Ziele, auf ihren Kundgebungen und in ihren Reden nicht erwähnt, ist, wie die Realität dieses Europas, welches sie verteidigen, denn wirklich aussieht.

    Sie fordern, dass alles so bleiben solle wie es ist, lediglich einige Schönheitskorrekturen seien notwendig.

    Die EU, die sie verteidigen, ist jedoch keine Friedensinstitution. Überall auf der Welt sind die Armeen Deutschlands und der anderen EU-Länder im Kriegseinsatz. Sie zerbomben ganze Länder und die europäische Rüstungsindustrie exportiert Waffen in alle Teile der Welt, sehr oft an beide Seiten eines Konflikts.

    Die EU, die sie verteidigen, steht nicht für ein offenes und freies Europa. Die EU ist die zentrale Ebene für die Abschottung der Mitgliedsländer nach Außen. Die Festung Europa wird militärisch gegen Flüchtlinge und Migranten abgeriegelt. Jährlich sterben Tausende auf dem Weg, die Mauern, Zäune und das lückenlos überwachte Mittelmeer zu überwinden. Mit “Frontex” hat die EU ihren eigenen Grenzschutz zur Abschottung aufgebaut. Hingegen öffnet die EU die Grenzen für Konzerne und das Kapital, nicht aber für die Menschen außerhalb Europas. Selbst wenn sie ansonsten sterben müssen.

    Die EU, die sie verteidigen, steht nicht für Wohlstand. Der Wohlstand und die scheinbare ökonomische Stabilität in Deutschland sind teuer erkauft. Schauen wir allein nach Süd- und Osteuropa, sehen wir, dass die EU es nicht schafft, ihre eigenen Mitgliedsländer aus der Krise zu retten. Die EU ist das Werkzeug in den Händen ihrer stärksten wirtschaftlichen Nationen, allen voran Deutschlands, das am meisten von der Struktur der EU profitiert – in Folge der letzten ökonomischen Krise haben z.B. deutsche Konzerne große Teile der griechischen Wirtschaft zu Spottpreisen aufgekauft.

    4. Was ist die Alternative?

    Pulse of Europe sagt, heute sei nicht die Zeit der Proteste, heute sollten wir nicht gegen etwas demonstrieren. Welch eine grandiose Kapitulation vor den immer größer werdenden Problemen unserer Zeit. Sicherlich kann man mit solch einer Wohlfahrtsbewegung den rechten Parteien ein paar Prozentpunkte bei den kommenden Wahlen abnehmen. Aber mit welchem Ziel? Wie geht es weiter?

    Recht hat Pulse of Europe, wenn es darum geht, die Verunsicherung der Menschen ernst zu nehmen und sie aufzugreifen. Doch vor allem muss man den Menschen wirkliche Alternativen aufzeigen, man muss sie und sich selbst davon überzeugen, dass man etwas ändern kann und dass man dafür selbst aktiv werden muss.

    Dass Protektionismus und Nationalismus keine Alternative bei einem internationalisierten, einem globalisierten Weltmarkt sind, das wissen auch die Politiker und Strategen der kapitalistischen Konzerne und Holdings.

    Uns muss es darüber hinaus darum gehen, die Bewegungsfreiheit für alle Menschen, statt allein für das internationale Kapital zu fordern und umzusetzen. Wir müssen die Mauern zwischen den Ländern und Kontinenten einreißen, ebenso wie die nationalistischen, rassistischen und chauvinistischen Mauern in den Köpfen.

    Wir können nicht für eine Union der Banken und Konzerne einstehen. Stattdessen brauchen wir eine andere, eine neue Vision von einem solidarischen und gleichberechtigten Europa. Nur ein Europa, das die wirklichen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung, der Frauen und Jugendlichen erfüllt, wird dauerhaft Frieden, Sicherheit und Teilhabe am Wohlstand unserer Gesellschaft schaffen. In Europa und auf der Welt.

    Es ist richtig, nicht nur gegen, sondern vor allem für etwas einzustehen. Das müssen wir uns zur Aufgabe machen. Wir alle, die sich für eine bessere, eine solidarische, eine sozialistische Zukunft einsetzen wollen.

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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