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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Argentinien: Wo ist Santiago Maldonado?

Der 28-Jährige Aktivist ist nach einer gewaltsamen Räumung einer Mapuche-Gemeinde durch die argentinische Gendarmerie spurlos verschwunden. Sein Verschwinden wird zum Politikum und bringt den Konflikt zwischen dem argentinischen Staat und den Mapuche erstmals in die breite Öffentlichkeit.

Erst vor wenigen Monaten ist Santiago Maldonado von Buenos Aires nach El Bolsón, in der Provinz Rio Negro, gezogen. Er arbeitet als Tätowierer auf alternativen Märkten und als er von den Protesten der Mapuche hörte, machte er sich sofort auf dem Weg nach Cushamen, wo er am 31. Juli ankommt, um seine Solidarität mit den Forderungen der Mapuche zu bekunden. Die Gemeinde Pu Lof fordert die Freilassung ihres Lonko (Anführer) Facundo Jones Huala und die Rückgabe ihrer angestammten Gebiete, die den Mapuche in einem Vernichtungsfeldzug der argentinischen Armee im 19. Jahrhundert geraubt wurden. Nach der sogenannten Wüstenkampagne teilten sich der Staat, die Oligarchen und ausländische Investoren das Land unter sich auf. Heute gehören allein dem Global Player United Colors of Benetton über ihre Filiale Tierras del Sud mehr als 900.000 Hektar Land.

Als Antwort auf den Protest fand am 1. August eine gewaltsame Räumung gegen die Mapuche-Gemeinde Pu Lof statt. Die Polizisten brannten ein Haus nieder, zerstörten mehrere Gegenstände und machten Jagd auf die Protestierenden. Die Räumung wurde von dem Richter des Bundesstaates Chubut Guido Otranto angeordnet. Die einzigen Zeugen, die Santiago zuletzt sahen, sind einige Mapuche-Aktivisten. Als sie beobachteten, wie die Gendarmerie anrückte, überquerten sie den Fluss Chubut, um einer Verhaftung zu entgehen. Santiago Maldonado wollte seinen Rucksack holen und den Mapuche folgen, allerdings traute er sich nicht allein den Fluss zu überqueren und versteckte sich im Gebüsch. Dort hätte die Gendarmerie ihn gefunden, ihn geschlagen und in einen Truck verfrachtet. Anschließend sei er in einen Pickup geladen und weggebracht worden. Seitdem ist Santiago spurlos verschwunden. Die Darstellung der Mapuche wird durch das Auffinden eines Halstuches Santiagos und das Anschlagen von Spürhunden am besagten Ort untermauert.

Seit mehreren Monaten wird die Gemeinde Pu Lof von der argentinischen Polizei brutal unterdrückt. Bereits am 10. Januar 2017 fand eine gewaltsame Räumung statt, in der etliche Mapuche, darunter Frauen und Kinder, zum Teil durch Gummi- und Bleigeschosse schwer verletzt wurden. Der Vorfall und das Verschwinden von Santiago, reihen sich somit in einer Serie von Repressionsmaßnahmen gegen die Mapuche ein.

Das Verschwinden von Santiago alarmierte mehrere Menschenrechtsgruppen in Argentinien, unter anderem auch die Abuelas de Plaza de Mayo, die am Freitag zu einer Kundgebung aufriefen, um Santiagos Rückkehr zu fordern. Ziel der Großmütter der Plaza de Mayo ist es, die durch die Militärjunta zur Adoption freigegebenen Kindern von Oppositionellen, die heimlich verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, wieder den eigentlichen Familien zurückzugeben. Das grausame Schicksal von bis zu 30.000 Detenidos Desaparecidos, das die Militärdiktatur zu verantworten hat, ist noch immer im kollektiven Gedächtnis der argentinischen Gesellschaft verankert.

„Wer hätte gedacht, dass es heute noch Verschwundene geben könnte“, rief die Kandidatin auf einem Senatssitz und ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner ihren Anhängern zu. Das Verschwinden von Santiago wird in den Vorwahlen für den Kongress zum Politikum. Während das politische Umfeld um Präsident Mauricio Macri nicht an ein Verschwinden glaubt und die Stellungnahme des Richters Ontrato und der Ministerin für Sicherheit Patricia Bullrich unterstützen, wonach gar nicht sicher sei, dass Santiago überhaupt am Ort des Geschehens gewesen sei, fordert die Unidad Ciudana, dass Santiago lebend zurückgebracht wird. Mitterweile hat sich auch die UNO eingeschaltet und fordert von der argentinischen Regierung eine lückenlose Aufklärung des Falles Santiago Maldonado. Dass die Macri-Regierung aber alles andere als an einer Aufklärung interessiert ist und den Fall unter dem Teppich kehren will, ließ der Bruder des Verschwundenen wissen: „Es fehlt nur noch, dass sie behaupten, ich hätte Santiago verschleppt“, sagte er empört in der Kundgebung.

Auch Facundo Jones Huala meldet sich aus dem Gefängnis zu Wort, wo er seit Wochen festgehalten wird: „Das Verschwinden von Santiago, zeigt in welchen politischen Zeiten wir leben. Wir erleben ein Klima des Staatsterrorismus“ und ergänzt, „obwohl wir in der Kirchner-Zeit auch politisch verfolgt wurden, ist die Verfolgung (unter Macri) viel brutaler geworden“. Chile hat einen Auslieferungsantrag an Argentinien gestellt, wo Facundo Huala 18 Jahre Haft drohen.

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