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Freitag, April 26, 2024
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    “Disarstar”, der rappende Bohémien

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    Der Deutschrapper Disarstar hat am 15. Februar sein neuestes Album veröffentlicht. „Bohémien“ ist eine ziemlich gelungene Fortsetzung früherer Arbeiten des 24-Jährigen aus dem Hamburger Kiez. Sowohl inhaltlich als auch musikalisch knüpft der Antifaschist und Antikapitalist an seine besten Leistungen an. Nur stellenweise kann er sein hohes Niveau als Künstler nicht beibehalten und steht sich selbst im Weg. – Eine politische Kritik von Pa Shan.

    Gerrit Falius alias Disarstar ist zweifellos einer der besten und produktivsten politischen Deutsch-Rapper. Seit über 9 Jahren bereichert er den Deutsch-Rap bereits mit seiner antikapitalistischen Haltung und tiefsinnigen Selbstbetrachtungen, die man in der Rap-Szene eher vermisst. Seit seiner EP „Endstation“ (2010) zeichnet ihn diese Besonderheit aus. Bis 2017 hat der linke Rapper acht weitere EPs, Mixtapes und Alben herausgebracht. 2018 arbeitete er an seinem neuesten Album, das nun als „Bohémien“ herauskam.

    Die Bohème

    Der Titel des Albums verweist plakativ auf seine Ausrichtung und ist mehr als bezeichnend. Als Bohémiens bezeichnet man künstlerisch veranlagte Bürgersöhne und -töchter, die ihrem ganzen Lebensstil und ihrer subjektiven Anschauung nach gegen alles Bürgerliche ankämpfen. Die Bohème rebelliert gegen das Karrieristen-, Kriecher- und Spießertum der gutbürgerlichen Schichten. Finanzielle Erfolge, Anbiederung an den Mainstream und Konservatismus sind diesem Milieu fremd. Ein Bruch mit den etablierten Regeln und Ideen ist typisch für Bohémiens, die meist keiner „geregelten Arbeit“ nachgehen, mit Neuerungen experimentieren und moralische Konventionen verwerfen. Ohne Zweifel fühlt sich Disarstar als Mitglied dieses Milieus.

    Antikapitalismus

    Ein großer Teil der musikalischen Inhalte von Disarstar ist sein Antikapitalismus. Empörung über die unmenschlichen Zustände in der Welt und utopische Alternativen sind immer wieder Thema. Schon in der „Endstation“- EP erklärte er offen: „Nächster Halt: Endstation/ Ich will was ändern, der Kapitalismus ist ein Jäger und die Menschen tot/ Weil auf dem Weg zum Geld keiner mehr zum Leben kommt/ Wir sind im Krieg gegen die Wahrheit, die hier jeden bombt“.

    Seither ist seine gesellschaftskritische Haltung nicht verschwunden, sondern herangereift. Zu seinen radikalsten Liedtexten gehören “Capitis Deminutio Maxima” aus dem „Kontraste“-Album (2015) sowie „Kapitalismus“ und „Kein Glück“ aus dem Album „Minus x Minus = Plus“ (2017).

    Auch im neuesten Album dominiert die Gesellschaftskritik. Zweifellos gehören die zwei Tracks „Riot“ und „Robocop“ zu einigen der besten Tracks, die Disarstar bisher geschaffen hat. Beide sind äußerst energisch. Beide machen Bock, auszurasten und Revolution zu machen, wenn die Hook immer lautstark ankündigt: „Heut’ werden Ketten gesprengt!/ Jetzt werden Ketten gesprengt!“ oder wenn in „Robocop“ der rechte Untertanengeist des gehorsamen Bullen mit den treffensten Worten beschrieben wird: „Wenn du Pech hast, dann platzt mir der Kragen/ Ich mach’, was sie sagen“.

    „Alice im Wunderland“ ist ein Disstrack gegen die AfD-Politikerin Alice Weidel. Politische Disstracks sind allgemein eine große Seltenheit, obwohl sie viel Angriffsfläche bieten. Und selten wurde Kritik an einem Parteiprogramm so konkret und zugleich melodisch ausgedrückt.

    „Nike’s x McDonald’s“ ist ein konsumkritischer Track, der leicht zu Missverständnissen führen kann, aber an dieser Stelle umso interessanter ist. Auffällig ist bei Disarstar ohnehin das gelegentliche Abgleiten von Konsumkritik in eine kaum verschleierte Sehnsucht nach Luxus und der Oberflächlichkeit, die andere Menschen als er problemlos genießen können. Nun ist er aber ein bewusster Rapper und muss eben diesen Drang in sich zurückdrängen, um dem Anspruch nach politischer Aufklärungsarbeit zu folgen. Gerade dieser innere Kampf mit sich selbst macht Disarstar nicht nur zu einem herausragenden linken Rapper, sondern auch zu einem, der weit mehr bietet als kantige Kritik ausm 800-Seiten-Wälzer in Musikform. (So klingt nämlich linker Rap meistens.)

    Musik als Psychotherapie

    Disarstars Musik ist Seelenbalsam, für ihn selbst wie für seine HörerInnen. „Rap ist Therapie für mich“, erklärte er schon 2011. Anders als der schlechte und platte Mainstream-Rap kratzt der philosophierende Rapper nicht bloß an der Oberfläche. Seine Musik kennt nicht nur Wut und Empörung gegenüber dem Kapitalismus – geschweige denn anderen Rappern gegenüber –, sondern verbindet die gesellschaftlichen mit den seelischen Zuständen der Menschen. Diese Zusammenhänge drückt er gekonnt aus. Wenn Disarstar Emotionen wie Trauer oder Liebe thematisiert, dann hat es nichts Kitschiges oder Oberflächliches. Im Gegenteil beschreibt er die Verhältnisse zwischen Menschen als kompliziertes und widersprüchliches Labyrinth, aus dem es keine geradlinigen Auswege gibt.

    Bereits „Wegfliegen“ (2010) lamentierte über die Verzweiflung und Entfremdung in der modernen Großstadt: „Diese gottverdammte Kälte wird dich umbring’/ Guck, diese Luft macht kaputt/ Und der Druck bringt Träume zum Platzen, Leute zum Hassen“. Damals, als noch 17-Jähriger, gestand er in melancholischen Liedern eigene Fehler ein. In späteren Werken wie „Therapiestunde“ (2015) und „Geteiltes Leid“ (2017) wurde diese Offenheit überzeugend weitergeführt.

    Das neue Album übertrifft die früheren nicht unbedingt. Aber Elegien wie „Hoffnung & Melancholie“ und „Wach“ stehen den traurigen Liedern von früher in nichts nach. Nicht zu vergessen sind die vielen Liebeslieder seit „Flügel“ (2011), die gefühlt immer wieder „die Eine“ besingen, die ihren verletzlichen Seelenverwandten fallen gelassen hat. „Dunkle Wolken“ und „Ich hab dich“ bestätigen diesen Eindruck auch im neuen Album. Leider stören die Features mit anderen Künstlern gelegentlich die Ausdruckskraft des Künstlers. Daran sollte er künftig gezielter arbeiten.

    Hören!

    Anstatt also den krassen Macker zu spielen, wie viele der Poser im Deutsch-Rap es tun, öffnet sich der nachdenkliche Hamburger seinen HörerInnen immer wieder. Selbst seine melancholische Liebeslyrik ist glaubwürdig und keineswegs peinlich. Als Romantiker sucht unser Ausnahmetalent nach dem Sinn und den großen Antworten. Hohle Reime wird man bei ihm vergebens suchen. Jede Punchline transportiert eine Botschaft. Dass die Botschaften nicht nur politisch aufgeladen sind, sondern dabei auch gut klingen, zeichnet Disarstars Musik aus.

    Wie bei vielen Rappern gibt es bei ihm viel Ghetto-Romantik, die aber anders als bei vielen selbsternannten Gangstern etwas Authentisches hat. Wie sollen da keine Sympathie und große Anhängerschaft aufkommen?

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    • Perspektive-Korrespondent, Chinaforscher, Filmliebhaber, Kampfsportler

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