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Freitag, April 26, 2024
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    Ukraine-Krieg: Zwei mögliche russische Kriegspläne?

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    Ein kremlnaher Thinktank-Direktor sieht zwei verschiedene Positionen zu den Kriegszielen in der russischen Führung. Die Eroberung des Donbass sei dabei das absolute zu erreichende Minimum. Der Krieg gehe nun nicht mehr um die Ukraine, sondern um Russland selbst. Dort gingen derweil in den vergangenen Tagen ein militärisches Forschungsinstitut, eine Chemiefabrik und ein Raumfahrtkomplex in Flammen auf.

    Dmitry Suslov ist Direktor des “Center for Comprehensive European and International Studies” in Moskau und gilt als Geostratege mit engem Draht zur russischen Staatsführung.

    Im Interview mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera hat Suslov nun dargelegt, dass es im Kreml zwei verschiedene Positionen zu den Zielen im Ukraine-Krieg gebe und der Präsident „sich noch nicht entschieden“ habe.

    Maximalistische Position

    Eine „maximalistische“ Denkschule strebe die Eroberung der gesamten nördlichen Schwarzmeerküste durch Russland und die Schaffung eines Landkorridors bis nach Transnistrien an. Der international nicht anerkannte Staat hatte sich während des Zerfalls der Sowjetunion 1991 von der Republik Moldau abgespalten und steht seither faktisch unter russischer Kontrolle.

    Erst vor wenigen Tagen hatte ein Generalmajor der russischen Armee mit der Aussage Aufsehen erregt, dass die Eroberung einer Landverbindung vom Donbass zur Halbinsel Krim auch eine Unterstützung der prorussischen Separatisten in Transnistrien erleichtern würde. Moldau bestellte daraufhin den russischen Botschafter ein.

    Eine Eroberung der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste durch Russland würde die Ukraine von den Weltmeeren abschneiden und wäre nur als Ergebnis eines sehr langwierigen Krieges mit heftigen Kämpfen um Städte wie Odessa und Mykolajiw denkbar. Laut Suslov hätte die maximalistische Fraktion in der russischen Führung „keine Angst“ vor einem solchen Krieg und sei nicht darauf aus, eine Verständigung mit den westlichen Ländern zu erzielen.

    Anerkennung des Donbass und der Krim

    Suslov selbst zählt sich im Interview zu einer moderateren Fraktion, die vor allem einen militärischen Sieg im Donbass anstrebe. Sei dieser „unwiderruflich“ erreicht, könne Russland einen Friedensvertrag mit der Ukraine abschließen. Dieser müsse die wesentlichen russischen Forderungen zu Beginn des Krieges festschreiben, nämlich die „Neutralität, das heißt die Absage an die NATO“ und eine „Entmilitarisierung inklusive Grenzen für die strategische Zusammenarbeit mit dem Westen und für die Art und Anzahl von Waffen im Besitz der ukrainischen Armee“.

    Die Ukraine und die Vereinigten Staaten müssten außerdem die Annektion der Krim und die Unabhängigkeit des Donbass anerkennen. Der „Status der russischen Sprache“ in der Ukraine müsse geregelt und die „Parteien der extremen nationalistischen Rechten“ dort verboten werden. In diesem Fall blieben Odessa und Nikolaev im Besitz der Ukraine und die russische Armee könnte sich aus dem Gebiet Kherson nordwestlich der Krim zurückziehen.

    Krieg um Russland selbst?

    Aus Suslovs Sicht sei der Sieg Russlands im Donbass absolut unerlässlich. Russland kämpfe heute nicht mehr gegen die Ukraine, sondern in Wahrheit gegen die NATO, „die nicht nur Waffen und Munition“ liefere, sondern auch „präzise Aufklärung“: „Anders gesagt, es ist die NATO, die auf die russischen Soldaten schießt, mit ihren Waffen, die von den Ukrainern bedient werden.“ Im Krieg gehe es nun nicht mehr um die Ukraine, sondern um Russland selbst: „Auf dem Spiel steht das Überleben Russlands als Großmacht und sein Status in den internationalen Beziehungen.“ Eine Niederlage wäre daher „schlimmer als das Ende der UdSSR im Jahr 1991“.

    Zudem wachse durch den Krieg und die Zerstörung der russisch-westlichen Beziehungen infolge der unerwartet heftigen Sanktionen die Abhängigkeit Russlands von China: „Aus genau diesem Grund müssen wir im Donbass gewinnen. Wir können nicht von China abhängiger werden und gleichzeitig verlieren.“ In eine ähnliche Richtung hatte sich bereits Anfang April der frühere Putin-Berater Sergey Karaganov geäußert.

    Sabotage gegen die russische Kriegsindustrie?

    Währenddessen mehren sich die Anzeichen dafür, dass es in Russland in den vergangenen Tagen zu Sabotageakten gegen die Kriegsindustrie gekommen ist. Zunächst ist am Donnerstag in einem militärischen Forschungsinstitut in der Nähe von Moskau ein Feuer ausgebrochen. Dabei gab es nach offiziellen Angaben sieben Tote und zahlreiche Verletzte.

    Bei dem Institut handelt es sich um eine Einrichtung des russischen Verteidigungsministeriums, das an der Entwicklung der Iskander-Rakete sowie von Kontroll- und Steuerungssystemen beteiligt war. Der Raketentyp Iskander wird im Ukraine-Krieg zurzeit intensiv von russischer Seite eingesetzt. Als mutmaßliche Ursache für den Brand nannte die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass „veraltete Elektrokabel“.

    Am Vormittag desselben Tages war es auch in einer Chemiefabrik außerhalb Moskaus zu einem Großfeuer gekommen. Das Dimitrewski-Werk in Kineshima ist der größte Produzent von Lösungsmitteln für Russland und Osteuropa. Der dritte Großbrand ereignete sich schließlich im Industriekomplex von Korolyov, der als die Hauptstadt der russischen Raumfahrt gilt. Dort befinden sich zahlreiche Werke für die Produktion von Treibstoff und Komponenten für die russische Raumfahrt. Bilder von dem Brand wurden zuerst über ukrainische soziale Medien verbreitet.

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