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Freitag, April 26, 2024
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    Bundesweit Anti-Teuerungs-Demos am 22. Oktober: warum man trotz grauenhaften Aufrufs teilnehmen sollte

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    Für den 22. Oktober hat ein breites Bündnis aus Umweltgruppen, sozialdemokratischen Kampagnen-Organisationen und Gewerkschaften bundesweit zu Protesten aufgerufen. In sechs Städten finden regionale Demonstrationen statt. Auch wenn sich der Aufruf stellenweise wie Rückenwind für SPD und Grüne anhört – die Forderung, Krisengewinner:innen und Konzerne zur Kasse zu bitten, ist richtig. Und es gibt einen weiteren Grund für eine Teilnahme. – Ein Kommentar von Tim Losowsksy

    Seit Wochen bereits protestieren lokale Initiativen in verschiedenen Städten Deutschlands gegen die Preisexplosion. Sie sind höchst unterschiedlich zusammengesetzt: Zu Beginn waren es vor allem revolutionäre und sozialistische Gruppen, mittlerweile haben sich breite Bündnisse gebildet, die auch Sozialverbände oder gewerkschaftliche Strukturen umfassen.

    Letztere haben nun erstmalig zu bundesweiten Aktionen aufgerufen. Am Samstag, 22.10., soll in sechs Städten in Deutschland demonstriert werden: in Berlin, Düsseldorf, Dresden, Frankfurt am Main, Hannover und Stuttgart. Ein wichtiger Schritt. Doch der Aufruf bleibt wachsweich und an vielen Stellen auf Regierungslinie.

    Putin an allem Schuld?

    Schon der erste Satz im Aufruf unterstreicht das aktuelle Regierungsframing: „In diesem Herbst treffen uns die Folgen von Putins Angriffskrieg mit voller Wucht: Viele von uns wissen nicht, wie sie Gas- und Stromrechnung bezahlen sollen.“ Der Tenor ist klar: Die Krise kommt von außen in unsere „heile Welt“. – Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein.

    So hat die Gas- und Strompreisexplosion bereits Anfang letzten Jahres begonnen – vor der russischen Invasion in die Ukraine. Hintergrund war die anziehende Nachfrage der Weltwirtschaft, die langsam aus ihrem ersten Corona-Loch herauskam. Der Angriffskrieg Russlands hat die Lage dann noch verschärft. Und hier hat Deutschland dann eine klare Kriegs-Position eingenommen, und zwar durch eine Beteiligung an einem massiven Wirtschaftskrieg gegen Russland (und später auch durch militärische Unterstützung der Ukraine).

    #StandwithUkraine?

    Aber dieser (Wirtschafts-)Krieg ist nicht unser Krieg! Es ist ein Krieg von Imperialisten –  auf beiden Seiten. Während Russland sein Großreich ausbauen will, wollen die USA als Führungsmacht der NATO genau das verhindern und sich selbst Osteuropa als einen neokolonialen Absatzmarkt erschließen. Dafür nutzen sie die Ukraine als Schlachtfeld – mit allen Folgen.

    Es ist deshalb auch falsch, wie im Aufruf davon zu sprechen, dass man „solidarisch an der Seite der Ukraine“ stehe. An der Seite eines Oligarchen-Zöglings wie Selensky, an der Seite von Asow-Faschist:innen? Unsere Seite ist die der Arbeiter:innen in der Ukraine und in Russland, die in diesem Krieg für die Oligarchen-Interessen aller Kontrahenten verfeuert werden. Und unsere Seite ist auch die der Arbeiter:innen hier in Deutschland, die kein Interesse an diesem Krieg haben und unter ihm leiden.

    Kapitalist:innen „zur Solidarität verpflichten“?

    Nachdem die Sozialverbände und Gewerkschaften zu Beginn ihres Aufrufs die Linie des deutschen Imperialismus nach außen bestätigt und damit den Burgfrieden geschlossen haben, werden dann doch noch einige soziale Forderungen gestellt.

    So soll die Ampel „Vermögende und Krisengewinnler zur Solidarität verpflichten und endlich angemessen belasten – damit der Staat gezielt entlasten und in unsere Zukunft investieren kann.“ Tatsächlich müssen die Reichen zur Kasse gebeten werden. Aber wie soll man bitte das Kapital „zur Solidarität verpflichten“? In einer Klassengesellschaft kann es keine Solidarität zwischen Klassen geben, hier gibt es nur Interessen. Gerade einer unterzeichnenden Gewerkschaft wie ver.di müsste das doch eigentlich bewusst sein.

    Protest organisieren – um das Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern?

    Weiter erklären Greenpeace, Campact und Co, was das eigentliche Ziel ihres Protests ist: Die Ampel müsse „Solidarität“ einfordern, um die Gesellschaft „vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren”. Sie habe es „in der Hand, wie dieser Winter wird: Einer der Verzweiflung und Wut. Oder einer mit neuer Zuversicht für eine sozial gerechtere, ökologische und lebenswerte Zukunft.“

    Die Organisatoren bieten sich geradezu an als diejenigen, die Vorschläge für die Klassenversöhnung machen, als diejenigen, die am besten wissen, wie soziale Unruhen zu verhindern wären. Wollen sie damit eher sagen, dass ihre Demonstrationen dazu da sind, Dampf abzulassen, damit der Kessel nicht überkocht? Oder wird dafür mobilisiert, wirklich Druck aufzubauen, um unsere Forderungen durchzusetzen? Dafür müsste man aber manchmal wirklich einen Riss riskieren – und zwar zwischen uns auf der einen Seite und dem Kapital und seiner Regierung auf der anderen Seite.

    Rückendeckung für SPD und Grüne

    Dass die Demonstrationen aber stattdessen leichten Rückenwind für die Regierungsparteien SPD und Grüne bringen sollen, zeigt sich auch darin, dass im Aufruf zwar kritisiert wird, dass bisher „in der Ampel ein konsequenter, solidarischer Wandel blockiert“ werde – das ist aber nicht anders zu deuten als ein Angriff auf die FDP – wohingegen SPD und Grüne mehr oder weniger aus dem Visier genommen werden.

    Dazu passen auch die letztlich zahmen Forderungen: Es solle einen „Mietenstopp“ und ein „höheres Bürgergeld“ in ungenannter Höhe geben, neben einer einmaligen 500 Euro-Finanzspritze.

    Kostenloser Nahverkehr wird nicht gefordert, nur eine „bezahlbare Nachfolge für das 9-Euro-Ticket“. Zudem soll es eine „Gesamtstrategie für eine nachhaltige, bezahlbare Grundversorgung“ geben. Wie die aussehen soll und welche Rolle dabei beispielsweise der Kapitalismus spielt – dazu schweigen sich BUND, GEW oder Finanzwende aus.

    Am 22. Oktober auf die Straße!

    Doch obgleich der Aufruf grauenhaft und an vielen Stellen artig bis regierungsnah ist – eine Beteiligung an den Demonstrationen ist richtig und wichtig! Nicht nur wegen der überfälligen Forderung nach „Übergewinnsteuer für Konzerne und eine Vermögensbesteuerung für die Reichsten“.

    Es werden außerdem vermutlich die ersten wirklich größeren massenhaften Aktionen angesichts der Preisexplosionen sein. Es ist also der Ort, wo Kräfte, die wirklich konsequent gegen die Preisexplosion kämpfen wollen, nicht fehlen dürfen. In Gesprächen, dem eigenen Ausdruck auf der Demonstration, in den den Materialien, die man verteilt, gilt es dann aufzuzeigen und zu überzeugen, wie ein dauerhafter Kampf gegen die Regierungspolitik und das kapitalistische System, das die Teuerungen letztlich hervorbringt, aussehen kann.

    Nur so kann der Einfluss einer klassenkämpferischen Position innerhalb der Anti-Teuerungsbewegung gestärkt werden – und dann in den nächsten Wochen bei regelmäßigen Aktionen weiter auf die Straße getragen werden.

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