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Montag, April 29, 2024
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    “Six Days in Fallujah” – zwar Irak-Krieg, aber sonst „unpolitisch“?

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    Zwei Jahrzehnte nach der amerikanischen Invasion und Besatzung des Irak soll ein Videospiel eine der wichtigsten Schlachten der Besatzungsgeschichte nacherzählen. Obwohl die Publisher das Gegenteil behaupten, mangelt es fast gänzlich an einer irakischen Perspektive. – Ein Kommentar von Michael Koberstein

    Für das Jahr 2009 wurde das Projekt “Six Days in Fallujah” vom Publisher “Victura” ursprünglich angekündigt und sorgte direkt für eine Kontroverse. Damals drehte sich die Debatte allerdings darum, dass es „zu früh“ sei, fünf Jahre nach der Schlacht ein Videospiel darüber zu machen. Über zehn Jahre, nachdem das Projekt eigentlich abgesägt war, ist es nun spielbar.

    Acht Jahre amerikanischer Besatzung voller Kriegsverbrechen

    Zum Hintergrund: Im Jahr 2003 begann die Invasion des Iraks mit der Lüge, dass das Land Massenvernichtungswaffen habe. Die Invasion und die darauffolgende Besatzung bis 2011 waren geprägt von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen seitens der USA. Nachdem vier amerikanische Söldner in Falludscha getötet wurden und es viel militanten Widerstand gegen die Besatzung gab, kam es zur wohl wichtigsten militärischen Auseinandersetzung im Irak-Krieg. Bei der Schlacht um die Stadt Falludscha 2004 setzte das US-Militär unter anderem weißen Phosphor gegen Zivilist:innen ein und erschoss Unbewaffnete. Letztendlich mussten sich die US-Truppen und die irakische Koalitionsarmee nach einem Monat intensiver Häuserkämpfe zurückziehen und hinterließen eine zerstörte Stadt. Der Einsatz von Phosphorwaffen hat unter anderem zu einem zehnfachen Anstieg an Krebserkrankungen in der Stadt geführt. Zivile Opferzahlen stammen dabei vor allem von Nichtregierungsorganisationen wie dem Roten Kreuz.

    Einsatz von Phosphorwaffen unwichtig fürs Spiel

    Wie gedenkt nun ein Spiel, das sich besonders auf eine realistische Darstellung beruft, dieses große Thema angemessen zu repräsentieren? Den Vorsitzenden des Publishers, Peter Tamte, scheinen diese Fragen gar nicht zu interessieren: Es sei nicht das Ziel, einen politischen Kommentar zu machen, ob der Krieg insgesamt gut oder schlecht gewesen sei. Stattdessen gehe es darum, die Geschichte der Individuen zu erzählen, die in dieser Schlacht gekämpft haben, um die menschlichen Kosten des Kriegs. Den längst offiziell bestätigten Einsatz von Phosphorwaffen wolle er nicht behandeln, da die Veteranen, mit denen er gesprochen habe, das nicht erwähnt hätten. Vor allem gehe es darum, Empathie für die amerikanischen Truppen zu schaffen, die die Aufständischen niedergeschlagen haben, und für die Zivilist:innen, die zwischen den Fronten gefangen waren. Tamte redet eher vage von den menschlichen Kosten des Kriegs. Welche menschlichen Kosten meint er? Anscheinend vor allem die der US-Soldaten.

    Der Krieg war vor allem für die amerikanischen Soldaten schlimm

    Generell scheint es nur darum zu gehen, wie sich die Invasoren bei der Schlacht gefühlt haben. Auf den Ladebildschirmen werden Zitate über die Schrecken von Krieg gezeigt – ausschließlich von US-Soldaten. Der Veteran Read Omohundro, der als Berater für das Spiel tätig war, sagte, dass es „den Soldaten nicht um Politik gehe, sondern nur darum, sich um ihre Kumpels und Freunde zu kümmern, die die Mission durchführen. Darum geht es in diesem Spiel. Nicht darum was politischen Entscheidungsträger gemacht haben, das dazu geführt hat.“ Währenddessen sind im Gameplay-Trailer die ersten arabischen Worte, die zu hören sind „Allahu Akhbar“ bevor die Schießerei beginnt – was für das westliche Publikum vor allem Assoziationen mit islamistischen Terroristen erweckt. Der Publisher bestätigte bereits, dass die Aufständischen nicht spielbar sein würden. Immerhin gibt es zwischenzeitlich Einspieler von Interviews mit irakischen Zivilist:innen, aber das war es dann auch. Als sei der imperialistische Eroberungskrieg etwas Überwältigendes und Undurchschaubares, bei dem sowohl die Besatzer, als auch die Zivilist:innen irgendwie Opfer seien.

    Der Irak-Krieg und die Besatzung waren ein imperialistischer Eroberungsfeldzug um Ressourcen und strategische Einflussgebiete. Nichts daran ist „unpolitisch“, nichts daran kann man „neutral“ als einen komplizierten Konflikt darstellen, der für alle Beteiligten irgendwie schrecklich war. Letztendlich wird mit dem Spiel unter pseudo-kritischem Gewandt imperialistische Kriegsführung kommerzialisiert.

    • Perspektive-Autor seit 2023 und Kommunist aus dem Südwesten. Interessiert sich für soziale Kämpfe und imperialistische Außenpolitik

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