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Samstag, April 27, 2024
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    Interview: Wie indigene Gemeinschaften in Mexiko für Land und Klima kämpfen

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    Das Schanzenfest in Hamburg fand dieses Jahr unter dem Motto „Für ein Klima der Revolte. Indigene Kämpfe verteidigen“ statt. In diesem Rahmen führte Esther Zaim für Perspektive Online ein Interview mit Amaydali vom “Congreso Nacional Indígena” und Pedro von “Frayba” über ihre Kämpfe.

    Am vergangenen Samstag fand in Hamburg wieder das alljährlich organisierte und unangemeldete Schanzenfest statt. Während der Stadtteil bereits seit Jahrzehnten durch die Gentrifizierung und Kommerzialisierung des Quartiers starke Umbrüche erleidet und einkommensschwache Haushalte immer weiter verdrängt werden, sorgt das linke Potential für Sichtbarkeit.

    Unter Begleitung von Musik-Acts wurde mit Imbissständen, einem Flohmarkt und politischen Solidaritätsständen in den engen Straßen der Hamburger Sternschanze gefeiert. Das diesjährige Motto des Straßenfestes stand unter dem Aufruf „Für ein Klima der Revolte. Indigene Kämpfe verteidigen.“. Am Nachmittag auf der Hauptkundgebung des Festes sprach die aus Mexiko angereiste Sprecherin des indigenen Kongresses CNI (Congreso Nacional Indígena). Die Geschichte dieses indigenen Kongresses ist eng verknüpft mit der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional), die seit Mitte der 1990er Jahre gegen die Ausbeutung und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung durch den mexikanischen Staat und Großkapitalisten energischen Widerstand leistet.

    Wir hatten die Möglichkeit, ein Interview mit der CNI-Delegierten Amaydali der Gemeinde Chontal aus Oaxaca und mit Pedro von der mexikanischen Menschenrechtsorganisation “Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de las Casas” (kurz: Frayba) führen zu können. Ihr Besuch in Hamburg ist Teil ihrer Etappe durch Europa, die von mehreren europäischen Netzwerken solidarisch begleitet und unterstützt wird.

    Warum hat sich der Congreso Nacional Indígena gegründet und was sind seine Ziele?

    Amaydali: Der Kongress wurde am 12. Oktober 1996 mit dem Ziel der Verteidigung der Rechte der indigenen Bevölkerung Mexikos ins Leben gerufen, mit der Intention, die damit einhergehenden Kämpfe gesellschaftlich sichtbar zu machen und eine Umwälzung des bestehenden Systems anzustreben. Dabei ist der Congreso eng mit der historischen Entwicklung des EZLN verknüpft, der als Impulsgeber dieser Gründung angesehen werden kann.

    Die EZLN organisierte und deklarierte 1993 ihren bewaffneten Kampf gegen den mexikanischen Staat, um sich gegen die Vertreibung und Diskriminierung der indigenen Bevölkerungsteile zu wehren, und konnte innerhalb kurzer Zeit viele indigene Gemeinden im Süden Mexikos im Kampf gegen den Staat vereinen. Nach erbitterten Straßenkämpfen und Konfrontationen mit dem mexikanischen Militär und Paramilitärs wurden nach großen Protesten und Solidaritätsbekundungen der Zivilgesellschaft mit der militärisch angegriffenen EZLN und indigenen Bevölkerung die Kampfhandlungen eingestellt und es entstand ein Dialog zwischen Vertreter:innen der damaligen Regierung Ernesto Zedillos und Vertreter:innen der EZLN.

    Am 16. Februar 1996 in San Andrés Larráinzar im Bundesstaat Chiapas wurde schließlich das Abkommen von San Andrés beschlossen. Bei diesem Abkommen wurden die Autonomie, die soziale Anerkennung und Gleichberechtigung, der Schutz indigener Lebensräume und Naturressourcen, sowie die Wahrung der Menschenrechte der Indigenen manifestiert. Bereits kurze Zeit nach Unterzeichnung des Abkommens wurde diese Vereinbarung vom Präsidenten Ernesto Zedillo und seiner pseudo-revolutionären, neoliberalen Partei “Partido Revolucionario Institucional” (PRI) nicht mehr anerkannt, geschweige denn umgesetzt. Nach diesen Ereignissen wurde der CNI gegründet mit der Losung: „Nie wieder ein Mexiko ohne uns“.

    Der Congreso Nacional Indígena steht symbolisch auch als Haus und organisatorisches Zentrum der indigenen Gemeinden im aktiven Widerstand gegen ihre gesellschaftliche Unterdrückung und gegen die großkapitalistische Ausbeutung. Der CNI ist dabei ein Sammelbecken des solidarischen Handelns verschiedener indigener Gemeinden und auch Begegnungsstätte der Wünsche und Hoffnungen. Hier können wir ohne Zwänge reflektieren und unsere Selbstverwaltung planen und organisieren. Dies geschieht unter regem Austausch und ohne hierarchische Strukturen. Wir brechen bei unseren Zusammenkünften mit den uns von der Mehrheitsgesellschaft auferlegten Mustern und können so unsere Ursprünge leben und miteinander teilen.

    Unsere Organisation wird auch größer, und es kommen neue indigene Gemeinden dazu. Dies erfolgt oftmals durch die Umsetzung der zerstörerischen und großangelegten Infrastrukturprojekte des mexikanischen Staates durch die Lebensräume der indigenen Gemeinden. Meine Gemeinde Chontal in Oaxaca beispielsweise kontaktierte den CNI wegen der Bedrohung unseres Lebensraumes und der Gefahr unserer Vertreibung durch ein Bergbauprojekt und wurde so anhand einer demokratischen Abstimmung innerhalb der betroffenen Gemeinde zu einem Mitglied des CNI. Jede Gemeinde ist jedoch frei in ihrer Selbstverwaltung und der Entscheidungsfindung, wichtig bleibt immer der solidarische Kampf.

    Pedro: Ich möchte noch hinzufügen, dass jede Gemeinde, die dem CNI beitritt, die sieben Grundprinzipen der EZLN anerkennen muss, um diesem emanzipatorischen und gleichberechtigten Kollektiv anzugehören. Diese lauten: Dienen und nicht sich bedienen, Vertreten und nicht ersetzen, Aufbauen und nicht zerstören, Gehorchen und nicht befehlen, Vorschlagen und nicht aufzwingen, Überzeugen und nicht bezwingen, Hinab- und nicht emporsteigen.

    Wie erlebt ihr die Unterstützung und die Solidarität der mexikanischen Gesellschaft außerhalb der indigenen Gemeinden?

    Pedro: Ich bin Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums Frayba in Chiapas und möchte diese Frage gerne mit einem historischen Beispiel beantworten. Bereits in den 1990er Jahren, als die EZLN und deren indigenen Vertreter:innen am Verhandlungstisch mit der mexikanischen Regierung saßen, konnten sie sich auf die Solidarität der Zivilbevölkerung und der nichtindigenen Bevölkerung verlassen. Bei dem Abkommen von San Andrés konnten wir den Zuspruch und die Unterstützung mexikanischer Intellektueller und vieler sozialer Gruppen erfahren. Im CNI sind aktuell 68 indigene Gemeinden vertreten, welche klar für Selbstbestimmung und um Befreiung, wie auch um ein antikapitalistisches und antipatriarchales System kämpfen. Dies vereint die Gesellschaft sehr und so haben wir in unseren Reihen viele solidarische alternative und linke Unterstützer:innen nichtindigener Abstammung, die ideologisch den selben Kampf gegen das kapitalistische System und dessen Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen führen.

    Wie ist die jetzige Beziehung des CNI zur aktuellen mexikanischen Regierung unter dem Linksreformisten Andrés Manuel López Obrador (kurz: AMLO) zu bewerten?

    Amaydali: Das Verhältnis und die Kommunikation zur jetzigen Regierung AMLOs ist keineswegs positiv zu bewerten. Vielmehr wird die CNI von der Regierung weitestgehend ignoriert, wie auch Rechte von indigenen Gruppen mit Füßen getreten werden. Die Konflikte und Angriffe, die es bereits bei den Vorgängerregierungen gab, herrschen unverändert weiter. Wir können sogar sagen, dass die staatliche Aggression und Repression noch weiter erstarkt. Jeden Tag gibt es Attacken gegen indigene Menschen aufgrund ihrer Ethnie.

    Pedro: Es liegt auch klar auf der Hand, dass die politischen Absichten und Handlungsweisen des vermeintlich linken Andrés Manuel López Obrador und seiner Partei eine Fortsetzung der neoliberalen Politik der vergangenen Regierungen darstellt. AMLO versucht ganz nach kapitalistischer Profitmaximierung den wirtschaftlichen und infrastrukturellen Ausbau des Südens Mexikos voranzutreiben, die dortige indigene Bevölkerung zu vertreiben und ihr Land zu rauben. Es wird in diesem Kontext auch immer der Vorwand der Armutsbekämpfung seitens der Regierung eingebracht,  sie entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als große, nachhaltige und unwiederbringlich umweltzerstörerischer Eingriff ins dortige Ökosystem.

    In diesem Kontext gibt es drei Großprojekte in den südlich, von Indigen besiedelten Regionen: Zum einen wird dort zurzeit eine 1.525 Kilometer lange Eisenbahnstrecke namens ‘Tren Maya’ durch den Urwald und durch ökologische Schutzgebiete der Bundesstaaten Tabasco, Chiapas, Campeche, Quintana Roo und Yucatán gebaut, um den Tourismus, wie auch den Ausbau von Industriestandorten und den Güterverkehr weiter auszubauen.

    Das zweite ähnliche Projekt ist die aktuell laufende Realisierung des ‘Corredor Interoceánico del Istmo de Tehuantepec’, also der Bau einer Bahntrasse zwischen dem Pazifik und dem atlantischen Ozean, zwecks der Ausweitung des Streckennetzes von Personen- und Güterverkehr. Von diesem Infrastrukturprojekt ist Amaydalis Gemeinde direkt und schwerwiegend betroffen.

    Das letzte maßgebliche Großprojekt der Region betrifft ein energiewirtschaftliches Vorhaben des mexikanischen Großkapitals mit dem Namen ‘Proyecto Integral Morelos’, das beabsichtigt, zwei Wärmekraftwerke – betrieben mit fossilen Brennstoffen – in der kleinen indigenen Ortschaft Huexca, im Bundestaat Estado Libre y Soberano de Morelos zu errichten. Darüber hinaus ist die Erweiterung des Erdgaspipeline-Netzes durch die Region beabsichtigt, wie auch die weitere Konstruktion von Hochspannungsleitungen und Aquädukten durch indigenes Territorium und das dortige, empfindliche Ökosystem. Dies hat unmittelbar die Vertreibung und Entrechtung der indigenen Bevölkerung zur Konsequenz und ist auch staatlich so beabsichtigt, da der wirtschaftliche Ausbau nicht im ökologischen und nachhaltigem Sinne der indigenen Gemeinden und auch nicht zu ihren Gunsten erfolgt, sondern lediglich den Interessen der neoliberalen Wirtschafts- und Regierungsakteur:innen dienen soll.

    Eine indigene Partizipation wird vehement ausgeblendet und unterdrückt. Genau hier entsteht der Konfliktpunkt mit der Regierung seit Gründung des CNI.

    Auch wenn das offizielle und von 24 lateinamerikanischen Staaten unterzeichnete Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern von 1989 existiert, verweigerten alle mexikanischen Regierungen dessen Legitimation.

    Amaydali: Eine Vertreibung von unserem Land und Boden bedeutet auch die Vernichtung unseres indigenen Ursprungs und unserer kulturellen Identität. Das ist die vergangene, wie auch gegenwärtige Vorgehensweise des mexikanischen Staats, die neben dem Militär und seiner Polizei seine paramilitärischen Gruppierungen und die organisierte Kriminalität als verlängerte Arme und ausführende Kräfte zur Ausmerzung indigenen Lebens instrumentalisiert.

    Pedro: Das Gefüge der staatlichen Ausbeutung und Entrechtung ist bildhaft ein Dreieck von Staat, Paramilitärs und organisierter Kriminalität und Wirtschaftskonzernen mit dem Ziel der Ausbeutung der Naturressourcen. In Chiapas wird das von der EZLN befreite und zurück erkämpfte Gebiet der indigenen Gruppen immer wieder staatlich angegriffen und mit staatlich initiierten öffentlichen Kampagnen als aufständisch und illegal denunziert. In der zapatistischen Gemeinschaft Moisés y Gandhi erleben wir zurzeit eine tiefgreifende Repression, Kriminalisierung und Verhaftungswelle zapatistischer und indigener Aktivist:innen und Mitglieder des CNI, wie z.B. der Zapatistas Manuel Gomez und Jose Diaz. Wir fordern ihre umgehende Freilassung und kämpfen auch für die Rechte und Befreiung nichtzapatistischer, indigener Gemeinden außerhalb Chiapas.

    Wie ist der Kontakt und die solidarische Vernetzung der CNI mit der indigenen Bevölkerung in den restlichen lateinamerikanischen Staaten?

    Amaydali und Pedro: Wir stehen seit langem in engen Kontakt mit den Mapuche aus Chile aber auch mit diversen indigenen Gemeinden aus Ecuador, Guatemala und auch den USA und zeigen uns mit ihren Kämpfen solidarisch. Es gibt sogar eine Kommunikation und einen Austausch mit der indigenen Bevölkerung in Australien. Wir nehmen den 12. Oktober auch als symbolischen Gedenktag für die aggressive europäische Invasion in indigene Lebensräume und die damit einhergehende, Jahrhunderte andauernde Unterdrückung und Ausbeutung indigenen Lebens. Wir feiern an diesem Tag auch unsere Vielfalt und unseren ungebrochenen Widerstandswillen. Wir appellieren daher besonders an diesem Tag, international für die Rechte der Indigenen zu demonstrieren und den Protest auf die Straße zu tragen.

    Wie ist die feministische Organisation und Entwicklung innerhalb indigener Strukturen?

    Amaydali: In meiner Gemeinde in Chontal wurden die politischen und befreiungskämpferischen Aktivitäten eine sehr lange Zeit von patriarchalen Strukturen dominiert. Das hat sich im Laufe der letzten Jahre durch die nachdrücklichen Partizipationsbestrebungen von Frauen stark geändert. Es gab und gibt natürlich einen starken feministischen Emanzipationskampf gegen noch immer herrschende machistische Gesellschaftsmuster. Durch die neugewonnene, selbstbestimmte Haltung der Frauen können wir eine positive Änderung innerhalb der Gemeinden beobachten. Unser Kampf überwirft festgefahrene Herrschaftsmuster und Gefüge und sendet ein fortschrittliches und emanzipatorisches Signal an die gesamte mexikanische Gesellschaft.

    Welche Botschaft und Bitte habt ihr an linke Bewegungen in Europa? Wie gestaltet sich in diesem Zusammenhang die bisherige Solidarität und tatsächliche Unterstützung?

    Pedro: Die Kämpfe gegen die globale kapitalistische und patriarchale Weltordnung verbindet und eint uns auf erster Ebene. Soziale Bewegungen von unten, die neoliberale und vermeintlich progressive Regierungsformen, wie auch wirtschaftliche Bestrebungen der Ausbeutung und Profitmaximierung bekämpfen, verstehen und solidarisieren sich international mit unserem Kampf. Es hallt ein soziales Echo des Widerstands durch die Welt und lässt global begreifen, dass – ausgelöst durch den Kapitalismus – der Planet kurz vor einem zivilisatorischen wie klimatischen Kollaps steht. Diese Krise ist nicht durch Reformen zu überwinden, sondern durch Zerschlagung des Kapitalismus. Was uns verbindet, ist der Kampf für das Leben! Die Wut, das Leiden und der Schmerz haben ein größeres empathisches Gewicht als eine rein ideologische Begrifflichkeit und die dringende Notwendigkeit, alternative Lebensformen aufzubauen, um das bestehende System zu überwinden. Die Erklärung für das Leben von 2021 ‘Por La Vida’ der EZLN summiert diese Bestrebungen und Ideale und wurde von vielen Organisationen und Kollektiven unterzeichnet und beschreibt den Einklang des radikalen internationalen Kampfes. Eine andere Welt ist möglich!

    Amaydali: Um ein materielles und greifbares Beispiel an Unterstützung zu nennen, haben wir uns als CNI und Gemeinde Chontal sehr über die Spende von Laptops, Radio-Equipment und finanzieller Zuwendungen für eine fachliche Aus- und Weiterbildung in Mexiko-Stadt durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung gefreut, die uns ermöglicht hat, unser selbstverwaltetes, kommunales Radioprogramm aufzubauen und umzusetzen.

    Wir bedanken uns für dieses Interview in tiefster Solidarität mit den compañeras und compañeros aus Mexiko!

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