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Zeitung für Solidarität und Widerstand

„Sagt Nein!“: Gewerkschaftsmitglieder wollen Pro-Kriegs-Antrag auf dem ver.di-Bundeskongress verhindern

Beim 6. Bundeskongress der Gewerkschaft ver.di durften unter anderem Kanzler Olaf Scholz und der rechte CDU-Bürgermeister Kai Wegner auftreten. Zu Beginn des sechstägigen Kongresses gab es aber auch eine Demonstration von ver.di-Mitgliedern, die gegen den Leitantrag zur Unterstützung der deutschen Kriegspolitik mobilisierten. – Ein Kommentar von Gillian Norman.

Gestern, am Sonntag, den 17. September begann der sechste Bundeskongress der „Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft“ ver.di in Berlin. Im „Estrel Congress Centre“ kommen noch bis Freitag rund 1.000 Delegierte zusammen und diskutieren über die Ausrichtung der Gewerkschaft in den kommenden Jahren. Der Kongress begann mit Auftritten der DGB-Chefin Yasmin Fahimi, dem regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin, Kai Wegner, und Bundeskanzler Olaf Scholz.

Pazifistische Aktionen beim Auftritt von Kanzler Scholz

Als erstes durfte CDU-Politiker Wegner auf der Bühne seine Landesregierung loben und die vielfältige Nachtkultur in Berlin hervorheben. Daneben betonte er öfters, wie wichtig die sozialpartnerschaftliche Beziehung zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmen sei: „Der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist nicht verhandelbar“, sagte Wegner, der im Wahlkampf in Berlin vor allem mit Hetze gegen Migrant:innen punktete und zurzeit einen sozialen Kahlschlag in Berlin durchsetzt.

Kürzungen in Berlin: Gesundheitsversorgung für Wohnungslose gefährdet

Die DGB-Chefin Fahimi, die Ende letzten Jahres davon sprach, dass jetzt „nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten“ sei, zählte in ihrer Rede alle möglichen Symptome des Kapitalismus auf, wie beispielsweise den riesigen Pflegenotstand oder die hohe Inflation. Die Ursachen benennen wollte sie allerdings nicht, sondern versuchte, das Offensichtliche mit Phrasen wie „hausgemachten Krisen“ zu verschleiern.

Bundeskanzler Olaf Scholz bestärkte – ähnlich wie Wegner – die sozialpartnerschaftliche Politik und sprach von gemeinsamen Zielen der „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“. Auch die Kriegspropaganda der Ampelregierung durfte natürlich nicht fehlen und so verteidigte der Kanzler allen voran die imperialistische Aufrüstungspolitik der BRD.

Die Vorsitzende des Gewerkschaftsrats, Martina Rößmann-Wolf, bedankte sich daraufhin herzlich beim Kanzler für seine Haltung zum Ukraine-Krieg, die sie mit ihm teile. Der Gewerkschaftsrat ist das höchste ehrenamtliche ver.di-Organ zwischen den Bundeskongressen.

Daneben gab es aber auch eine Handvoll ver.di-Mitglieder, die während der Rede des Kanzlers mit pazifistischen Aktionen ins Bild traten. Sie forderten Verhandlungen mit Russland statt Waffenlieferungen an die Ukraine.

Gewerkschafter:innen gegen Krieg und Militarisierung

Damit stand das Thema aber nicht das letzte Mal auf der Tagesordnung des Kongresses. Denn in den folgenden Tagen wird über den sog. „Leitantrag E 084“ zum Thema Krieg und Militarismus abgestimmt werden, den ver.di ironischerweise mit „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung“ betitelt. Darin betont die ver.di-Führung „die Rolle der Bundeswehr und die Bedeutung der Landes- und Bündnisverteidigung“, sowie eine Rüstungspolitik, die sich an den „Bedürfnissen der Streitkräfte“ orientiert.

Gegen diesen Antrag haben ver.di-Mitglieder einen Aufruf gestartet: „SAGT NEIN! Hebt Eure Hand nicht für einen erneuten Schulterschluss der Gewerkschaften mit dem deutschen Kriegskurs!“

Die organisierten Arbeiter:innen machen darauf aufmerksam, dass auch vor dem ersten Weltkrieg eine ähnliche Richtung eingeschlagen wurde und die Gewerkschaftsführungen in den verschiedenen Ländern ihre Mitglieder in den Krieg schickten. Der sogenannte „Burgfrieden“ zwischen den Führungen der Arbeiter:innenorganisationen und der Regierung wurde damals auch genutzt, um die Rechte der Arbeiter:innen einzuschränken, sie gegen die Arbeiter:innen der anderen Länder aufzuhetzen und sich gegenseitig zu erschießen.

Der Kampf gegen Krieg und Militarismus muss sich gegen jeglichen Imperialismus richten!

Am Sonntag Vormittag demonstrierten etwa 100 Menschen, darunter viele ver.di-Mitglieder, vor der Kongresshalle, in der sich die Delegierten versammelten. In einer Rede sprach ein Mitglied davon, dass es nicht gelingen werde, das „Hinterland“ während der Kriegshandlungen ruhig zu stellen, und dass es immer Widerstand geben werde. Außerdem wurden Forderungen wie „100 Milliarden für Bildung, Gesundheit und Soziales“ unüberhörbar nach außen getragen.

„Wir brauchen eine Politik, die soziale Ungleichheit beseitigt.“

Naturgemäß ist auf einem Gewerkschaftskongress auch „soziale Ungleichheit“ ein zentrales Thema. Ver.di-Chef Frank Werneke betonte deshalb in seinen Beiträgen auf dem Kongress, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gehe und es deshalb eine Politik bräuchte, die soziale Ungleichheit beseitigt. Schaut man sich jedoch die letzten Verhandlungsrunden an, sieht man, dass gerade die Gewerkschaftsbosse nicht auf der Seite der arbeitenden Bevölkerung stehen und keinesfalls konsequent für die Beseitigung von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen.

Ver.di verhandelt Reallohnsenkung im öffentlichen Dienst

Deutlich offener trat das Ganze in den letzten 2 Jahren zutage, in denen die Inflation in ungeahnte Höhen schoss. Nicht nur ver.di, sondern alle DGB-Gewerkschaften verhandelten jedoch eine Reallohn-Senkung nach der anderen und zeigten damit klar, dass auch sie letztlich nur die Handlanger der Konzerne sind. Auch wenn die Gewerkschaftsführung teilweise mit einer kämpferischen Rhetorik auftritt, dient diese letztendlich doch oft nur dazu, die Kolleg:innen in den Betrieben in die Irre zu führen und von echtem Klassenkampf für ihre Interessen abzuhalten.

Mit der Aussage, dass es eine Politik brauche, die die soziale Ungleichheit beseitigt, hat der ver.di-Chef natürlich Recht. Doch die Arbeiter:innen in den Betrieben müssen weiterhin selbst dafür sorgen und dürfen sich nicht auf ihre gut bezahlten Stellvertreter:innen wie Frank Werneke oder Yasmin Fahimi verlassen. Das Ruder müssen sie selbst in die Hand nehmen und in eine andere Richtung reißen – weg von der sozial’partnerschaftlichen‘ Politik und hin zu einem selbstbewussten Klassenkampf, der sich auch gegen die Militarisierung in Deutschland richtet.

Gillian Norman
Gillian Norman
Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

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