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Montag, September 16, 2024
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    Naziaufmärsche gegen CSDs: Nicht auf das System verlassen

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    Die aufkeimende faschistische Jugendbewegung in Deutschland scheint einen neuen Hauptfeind im Visier zu haben: Die jährlichen CSD-Paraden. Besonders die erschreckenden Bilder aus Bautzen vom vergangenen Wochenende haben aufgerüttelt. Doch für unseren Schutz dürfen wir uns nicht hinter SPD, Allianz und Polizei verstecken, denn wahre Befreiung wird uns nur revolutionäre Selbstorganisierung schaffen. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.

    „Zünd sie an, zünd sie an“ schallt es am Samstag durch den Bautzener Bahnhof – gemeint war eine Regenbogenfahne. Rund 680 Faschist:innen aus verschiedenen Städten haben sich an jenem Tag in der sächsischen Kreisstadt zusammengefunden, um unter dem Motto „Gegen Gender-Propaganda und Identitätsverwirrung“ gegen den angekündigten Christopher Street Day aufzumarschieren.

    Auf Bildern und Videos sind hunderte schwarz vermummte, zum Großteil jugendliche Faschist:innen zu sehen. Mit Deutschland- und Kaiserreichsfahnen und „Nazi-Kiez“-Parolen erinnern die Bilder an die pogromartige Stimmung der 90er-Jahre, als Migrant:innen in Deutschland von einer Welle des faschistischen Terrors überzogen wurden: Geflüchtetenunterkünfte und Häuser mit migrantischen Bewohner:innen in Solingen, Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen wurden in Brand gesteckt, darüber hinaus gehörten Angriffe auf Linke und alternativ Aussehende zum düsteren Alltag – besonders in Ostdeutschland.

    Der Faschismus erhebt sein Haupt

    Hetze und Angriffe auf CSDs sind keine Neuheiten. Das zeigen uns die Attacken und Morde auf LGBTI+-Personen der letzten Jahre immer wieder. Erst im vorletzten Jahr wurde Malte C., ein trans Mann, nach dem CSD in Münster von einem Mann zusammengeschlagen und erlag später seinen Verletzungen. Auch kam es immer wieder zu Pöbeleien und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen CSD-Teilnehmer:innen und Faschist:innen.

    Doch überregional mobilisierte faschistische Aufmärsche, wie wir sie am Samstag in Bautzen gesehen haben, stellen eine neue Qualität innerhalb der faschistischen Bewegung dar. Diese erfährt angesichts der sich häufenden Krisen – sowohl auf weltpolitischer Ebene als auch innerhalb der Parteienlandschaft selbst – ihren größten Aufschwung seit Langem.

    Die Regierungsparteien greifen zu härteren Mitteln, um die Krisen dieses Systems auf den Rücken von uns Arbeiter:innen abzuwälzen, während die AfD sich als Opposition ausgibt, Wähler:innenstimmen ansammelt und gleichzeitig noch viel härtere Maßnahmen fordert. Die erschreckenden Wahlerfolge der AfD in den Europa- und Kommunalwahlen zeigen letztendlich eine bedrohlichere Entwicklung auf. Und zwar, dass sich die faschistische Bewegung in Deutschland wieder auf dem Vormarsch befindet.

    Der Aufstieg des Faschismus kann nur revolutionär gestoppt werden!

    Diese spiegelt sich nämlich nicht nur in mehr Sitzen für die AfD in irgendwelchen Parlamenten wider. Der Faschismus wird auf allen Ebenen wieder salonfähig gemacht – durch rassistische Medienhetze, die Verschärfung von Asylgesetzen, nationalistische Kriegspropaganda, die zur Verteidigung der Demokratie und des Vaterlandes aufruft oder die Ernennung von ehemaligen Nazi-Generälen zu offiziellen Vorbildern der Bundeswehr.

    Die Gefahr der Anti-CSD-Aufmärsche

    Was diese Aufmärsche jedoch besonders gefährlich macht, ist ihr Potential: Erstens eine größere Bewegung loszutreten. Kurz nach dem CSD in Bautzen haben verschiedene faschistische Organisationen Aufrufe geteilt, die Paraden in anderen Städten wie Magdeburg oder Leipzig, sonst als „linke Hochburg“ bekannt, zu stören. Öffnet man TikTok, Instagram oder X (ehemals Twitter) dominieren rechte Trends die sozialen Medien. In der Anti-CSD-Bewegung finden rechts politisierte Jugendliche mittlerweile einen ersten direkten Kontakt mit organisierten Strukturen der Faschist:innen.

    Zweitens könnte sie der wachsenden faschistischen Jugendbewegung in Deutschland einen gewissen Anknüpfungspunkt bieten und als verbindendes Element zwischen faschistischen Jugendorganisationen dienen. Schon in Bautzen mobilisierten unter anderem die Jungen Nationalisten, die Freien Sachsen, die Nationalrevolutionäre Jugend, Teile der Identitären Bewegung oder auch die im Sekundentakt aufploppenden Vereinigungen unter dem Namen Deutsche Jugend Voran. Dass sich diese in der Zukunft ideologisch festigen oder gar vereinheitlichen könnten, ist keineswegs ausgeschlossen.

    Wer wird uns (nicht) befreien?

    Nach all dem stellt sich aber die Frage, wie wir uns als LGBTI+ nun gegen diese Angriffe wehren können. Denn natürlich passieren diese nicht nur während des Pride Month oder der CSD-Paraden. Die Unterdrückung von LGBTI+ geschieht jeden einzelnen Tag. Das kann auch gar nicht anders sein, denn immerhin ist die Unterdrückung von uns LGBTI+ Bestandteil dieses Systems.

    Die klare geschlechtliche Rollenverteilung, das binäre Geschlechtersystem, soziale Ausgrenzung und die auf CSDs oft verurteilte „Intoleranz“ existieren in keinem luftleeren Raum. Sie sind alle Resultate der kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft, in der wir leben sowie der grundsätzlichen Funktion, die Familie und Sexualität dort einnehmen. Die bürgerliche Kleinfamilie als vorherrschendes Familienbild, bestehend aus Mann, Frau und Kind, lässt keinen Platz für LGBTI+-Personen.

    Genau diese bürgerliche Kleinfamilie wollen die Faschist:innen verteidigen, wenn sie auf der Straße stehen: „Homosexualität sehe ich auch als Problem, Frau und Mann gehören zusammen, nicht Frau und Frau oder Mann und Mann“, so ein Faschist auf der Demo in Bautzen.

    Doch weder eine SPD, deutsche Konzerne wie die Allianz oder DHL und schon gar nicht Bundeswehr oder Polizei – allesamt Kräfte, die die Pride-Aufmärsche mit ihrer regenbogenkapitalistischen Propaganda zumüllen – werden uns von dieser Unterdrückung befreien können oder dem Faschismus als konsequente Kraft entgegentreten. Sie alle sind nämlich fester Bestandteil des kapitalistischen Systems. Deutsche Konzerne beuten proletarische LGBTI+ ebenso aus, wie den Rest der Arbeiter:innenklasse.

    Die bürgerlichen Parteien wiederum wollen die LGBTI+-Bewegung mit kleinen Zugeständnissen wie dem „Selbstbestimmungsgesetz” ruhig halten, lassen sich aber die Option offen, unser Geschlecht kurzerhand wieder abzuerkennen, sollte es zu einem Kriegsfall kommen. Und die regelmäßige Schikane und Gewalt durch die Polizei war ja gerade der Auslöser für die anfangs noch kämpferische und revolutionäre LGBTI+-Bewegung, die später in den ersten Christopher Street Days mündete und heute jeglichen antikapitalistischen Charakter verloren hat.

    Pride-Monat 2024: Klassenkampf statt Regenbogen-Kapitalismus

    Dementsprechend sind solche Naziaufmärsche auch keine „Zumutung für die Demokratie“, wie Alexander Moritz im Deutschlandfunk behauptet. Vielmehr ist es doch gerade diese „liberale Demokratie“, die den Nährboden für den Faschismus bietet, indem sie ihnen Sitze im Parlament, staatliche Gelder, Posten in Staat, Geheimdienst, Militär und Politik verleiht und dadurch überhaupt die Grundlage für eine starke, organisierte faschistische Bewegung schafft.

    Revolutionäre und antifaschistische LGBTI+-Bewegung statt CSD der Herrschenden

    Die heutigen CSDs sind schon lange nicht mehr „unsere“ CSDs, sondern die der Herrschenden und als solche auch nicht zurückzuerobern. Sie sind Party- und Werbeparaden für deutsche Konzerne und Parteien und haben mit der revolutionären Überwindung unserer Unterdrückung nichts mehr am Hut.

    Unsere Befreiung werden wir also nicht mit einer Teilnahme an den gängigen Pride-Paraden erreichen. Dafür müssen wir uns selbst organisieren, unabhängig von Staat, bürgerlichen Parteien oder Konzernen, und an dem Aufbau einer revolutionären und proletarischen LGBTI+-Bewegung arbeiten, welche die Überwindung des kapitalistischen und patriarchalen Systems als Ganzes zum Ziel hat.

    Das kämpferische Erbe von Stonewall verteidigen!

    Gerade die faschistischen Aufmärsche zeigen aber zugleich, dass wir die CSDs heutzutage nicht einfach ignorieren können: Noch immer stellen sie den ersten Anlaufpunkt für viele LGBTI+-Jugendliche dar und sind oft auch der Ort, wo sich junge Leute zum ersten Mal politisch mit der Unterdrückung von Sexualitäten und Geschlechtern beschäftigen.

    Außerdem sind sie noch immer wieder Angriffen durch Faschist:innen ausgesetzt – und dabei wird Bautzen nicht das letzte Mal bleiben. Umso notwendiger also, dass wir mit unseren revolutionären Perspektiven als die einzig konsequente Kraft gegen LGBTI+-Unterdrückung und Faschismus vor Ort sind und eine wirkliche Alternative denjenigen bieten können, die sie ebenfalls suchen.

    • Seit 2023 Autor für Perspektive Online. Schreibt gerne über die Militarisierung des deutschen Imperialismus und den Widerstand dagegen.Denn: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“

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