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Dienstag, April 30, 2024
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    Unbezahlt und wahrscheinlich auch umsonst

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    Praktika: die helfen einem doch, Lebens- und besonders “Arbeitserfahrungen zu sammeln”! Außerdem sind sie “gut für die Bewerbung” und und und…. – Das hört hört man ständig. Das wäre ja alles super schön, wenn sie für viele nicht vor allem Eins bedeuten würden: unbezahlte Arbeitskraft zu sein. – Ein Kommentar von Tabea Karlo aus der “Generation Praktikum”.

    Ich bin grade mal zwei Jahrzehnte alt, hab aber schon drei Praktika absolviert. Nicht etwa, weil ich nach dem ersten das Gefühl hatte, so viele unbezahlbare Erfahrungen gemacht zu haben, sondern weil unser Bildungssystem so aufgebaut ist.

    Falls man einen Realschulabschluss anstrebt, macht man in NRW in der neunten Klasse sein erstes Praktikum. Wechselt man dann auf ein Gymnasium, absolviert man – während die zehnte Klasse wiederholt wird – nochmal eins. Und weil ich mich dann für eine zusätzliche schulische Ausbildung entschied, bekam ich den Bonus eines vollkommen sinn- und lohnbefreiten Anerkennungspraktikums von “unschlagbaren” drei Monaten. Keines dieser Praktika wurde bezahlt.

    Wie sieht’s rechtlich aus?

    Im folgenden will ich versuchen, euch die rechtliche Basis für unbezahlte Praktika zu erläutern. Sie hat geradezu lachhaft wenig mit „Gerechtigkeit“ zu tun.

    Das tue ich zum einen um rauszustellen, wie der deutsche Staat an dieser Stelle ein Mal mehr als Instrument des Kapitals arbeitet. Er schiebt nicht nur der unbezahlten Arbeit, die teilweise noch durch Minderjährige verrichtet wird, keinen Riegel vor, sondern er ermöglicht sie gar erst durch seine Gesetze.

    Zum anderen möchte ich aufzeigen, an welchen Stellen es die Möglichkeit gibt, eine Vergütung für sein Praktikum einzufordern. In der Hoffnung, dass ein paar von euch ihre Chance nutzen, den Kapitalisten doch noch mal hier und da ein paar Euro abzuzwacken.

    Mindestlohn im Praktikum?

    In Deutschland gibt es das wunderbare Gesetz zur „Stärkung der Tarifautonomie“ oder einfach gesagt den Mindestlohn. Dieser Mindestlohn beträgt aktuell 9,19€. Bei einer 40-Stunden-Arbeitswoche entspricht das einem durchschnittlichen Monatsgehalt von etwas mehr als 1.400€ brutto.

    Das allein ist schon ein Witz, wenn man sich die realen Lebenshaltungskosten im Land ansieht. Aber noch lustiger wird es an der Stelle, an der man feststellt, dass es auch noch eine ganze Reihe Ausnahmen gibt.

    Meine persönlichen Top 3:

    1. Langzeitarbeitlose müssen erst nach sechs Monaten voll vergütet werden,
    2. für Minderjährige ist der Mindestlohn ausgesetzt und da wären wir wieder beim Thema:
    3. die meisten PraktikantInnen kriegen auch keinen, geschweige denn überhaupt Lohn.

    Einen Mindestlohn für Praktikanten wird nämlich erst Pflicht, wenn die Person, die das Praktikum antritt,

    • mindestens 18 Jahre alt ist,
    • das Praktikum länger als drei Monate andauert,
    • es ein freiwilliges und kein Pflichtpraktikum ist
    • und du das Glück hast, in keiner der Ausnahme-Branchen zu arbeiten.

    Damit wird der unbezahlte Praktikant bzw. die unbezahlte Praktikantin nicht zur Ausnahme, sondern zur Regel. Um herauszustellen, was an diesen Regelungen so schlimm ist, möchte ich das nochmal einzeln betonen: Minderjährige müssen keinen Mindestlohn bekommen.

    Damit macht man nicht nur die Bahn frei, sondern regelt es gesetzlich sogar so, dass jemand, der gerade so offiziell als Jugendlicher und nicht mehr als Kind betitelt wird, mindestens zwei bis sogar drei Wochen unbezahlt arbeiten gehen muss, bevor er/sie die Möglichkeit hat, einen Abschluss an einer deutschen Schule zu erlangen.

    Da greift dann tatsächlich der Spruch, dass einen das Praktikum auf die spätere Arbeitswelt vorbereitet – in der wird man nämlich auch ausgebeutet.

    Unbezahlte Pflichtpraktika

    Des weiteren sorgt man dafür, dass Personen, die zum Beispiel in jungen Jahren schon ausgezogen sind oder deren Familien das Geld fehlt, keine Studiengänge mehr machen können, für die man vorher ein Pflichtpraktikum absolviert haben muss. Beispielsweise Maschinenbau.

    Diese Praktika müssen nämlich nicht bezahlt werden, weil sie Pflichtpraktika für das Studium sind. Da das Studium in diesem Fall allerdings noch nicht begonnen wurde, gibt es zu diesem Zeitpunkt auch noch kein BAföG.

    Auch Pflichtpraktika während des Studiums bleiben unbezahlt. Man arbeitet also ohne Lohn, während man gleichzeitig gezwungen wird, einen Studienkredit beim deutschen Staat aufzunehmen, damit man sich die Ausbildung bzw. das Leben während des Praktikums überhaupt leisten kann.

    Ausgenommen sind außerdem alle Praktika, die bis zu drei Monate dauern. Die Begründung dafür soll sein, dass man noch keinen ordentlichen Beitrag für das Unternehmen leisten kann und dieses dann durch PraktikantInnen wirtschaftliche Defizite verzeichnen würde.

    Aus eigener Erfahrung: Man ist billige Arbeitskraft

    Lasst mich euch eines sagen: Ich hab mein zweites Praktikum in der Modebranche gemacht: T-Shirts drucken hab ich am ersten Tag gelernt, und das hab ich dann auch sieben Wochen lang gemacht.

    Aktuelleres Beispiel: Zum jetzigen Zeitpunkt befinde ich mich in einem Anerkennungspraktikum, ich arbeite also in einem Beruf, den ich seit drei Jahren gelernt habe und muss nun noch drei Monate Praktikum machen, um die Ausbildung anerkannt zu bekommen.

    Die Berufsabschlussprüfung habe ich im ersten Monat des Praktikums abgelegt. Übersetzt heißt das also, dass ich in einem Job arbeite, für den ich die Berufsabschlussprüfung schon bestanden habe, die ja bekanntlich beweisen soll, dass ich fähig bin diesen auszuüben. Und doch werde ich nicht bezahlt, weil ich angeblich nicht fähig bin, für das Unternehmen, in dem ich arbeite, Profite zu erwirtschaften?

    Kann ich Bezahlung einfordern?

    Nun zu dem Part, bei dem ich euch helfe herauszufinden, ob ihr eine Bezahlung für euer jetziges Praktikum einfordern könnt. Dafür gelten die selben Fragen wie eben: Falls ihr also über 18 Jahre alt seid, das Praktikum länger als drei Monate dauert und ihr es freiwillig macht, dann geht eurem Chef mal so richtig auf die Nerven. Der schuldet euch nämlich einen Haufen Geld.

    Solltet ihre euch nicht sicher sein, dann steht es euch auch offen, die kostenfreie Mindestlohn-Hotline von Bundesministerium für Arbeit und Soziales anzurufen. 2010 hat dieses Ministerium seine PraktikantInnen übrigens selbst auch noch nicht bezahlt, und auch 2013 zahlten nur acht von damals vierzehn Bundesministerien Gehalt und diese durchschnittlich auch nur 300€ pro VollzeitpraktikantIn.

    Pädagogik im Praktikum?

    In den meisten Firmen gibt es keine Person, die extra für PraktikantInnen zuständig ist bzw. rein für deren Einführung da ist. Sondern das ist eine Aufgabe, die den ArbeiterInnen oft noch zusätzlich von ihrem Chef aufgedrückt wird.

    Das führt dazu, dass wahrscheinlich keine der Personen, die im Praktikum mit einem arbeiten, eine pädagogische Ausbildung hat. Man bekommt also jemanden als LehrerIn gestellt, der/die das überhaupt nie gelernt hat und dazu noch ein volles Anrecht hat, dazu überhaupt keine Lust dazu zu haben. So ist es doch eine extra Leistung, die einem noch zusätzlich zu einem ohnehin zu schlecht bezahlten Job abverlangt wird.

    Und tatsächlich wird man dann auch nicht wirklich in den Beruf eingeführt. Die meiste Zeit lernt man nur den simpelsten Schritt in der Produktionskette und den macht man dann wochenlang. Beim Fotografen ist es das Bearbeiten von Passfotos, in der Designfirma das Anlegen diverser Dateien für den Kunden und in einer Modefirma das Drucken von T-Shirts.

    Es geht nicht darum, dass ich verlange, mir in drei, sieben oder zwölf Wochen alles mögliche beizubringen. Aber ich hätte mich gefreut, zumindest irgendetwas zu lernen!

    Und das kann nur gewährleistet sein, wenn Jugendliche oder PraktikantInnen generell nicht als billige Arbeitskraft betrachtet werden sondern als das was sie: Lernende, die es in erster Linie auszubilden gilt in einer neuen Tätigkeit. Menschen, für die man Zeit, Ruhe und Geduld braucht und die es verdient haben, dass ihre Anstrengungen geschätzt werden.

    Das sollte natürlich im Allgemeinen für jede arbeitende Person gelten, egal ob jung oder alt, doch es ist nicht das erste Mal, dass wir feststellen müssen, dass es damit im Kapitalismus seine Schwierigkeiten gibt.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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