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Freitag, April 26, 2024
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    50 Jahre Stonewall Riots – Stonewall means fighting back!

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    In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 kam es in der Christopher Street in New York zu einer gewalttätigen Razzia des LGBTI-Szene-Lokals “Stonewall Inn”. Der mutige Widerstand der Besucher*innen gegen die Polizeibeamten und die ständige Repression markiert den Beginn eines langen und harten Befreiungskampfes, der auch heute noch wie damals weitergeführt werden muss. – Ein Kommentar von Ivan Barker

    Das Stonewall Inn als Schauplatz der Geschichte

    Es ist nicht falsch zu behaupten, die LGBTI-Community existiere schon so lange, wie es Menschen gibt. Zwar nicht in der Art und Weise, wie wir sie heute vor Augen haben, jedoch sehr wohl als Lebensrealität vieler Personen. Dass diese Lebensrealität zu einem großen Teil von Leid geprägt ist, ist ebenso ein Fakt. Versuche, dies zu ändern, gibt es wohl ebenso lange.

    Wichtige Schritte wurden jedoch ohne Frage in den 1960er Jahren getan. Wie fast überall auf der Welt litten damals queere Personen auch in den USA, wo sowohl jegliche „homosexuelle Aktivität“ illegal als auch jede Art des Ausbrechens aus klassischen Geschlechterrollen (egal ob als Trans- Person oder durch simples Tragen der „falschen“ Kleidung, die angeblich dem jeweils „anderen“ Geschlecht entsprach) unter Strafe und gesellschaftlicher Ächtung stand. Als Zufluchtsorte entstanden dort vor allem Bars und Kneipen, in denen Mitglieder der LGBTI-Community geschützte Räume fanden, in denen sie fern von Scham und Bedrohungen sie selbst sein konnten. Diese Geschäfte wurden jedoch kaum mehr toleriert als ihre Gäste. Gewalttätige Durchsuchungen, bei denen oft die Identität der Besucher*innen festgestellt und zur Diskreditierung veröffentlicht wurde, geschahen regelmäßig. Ebenfalls üblich waren Verhaftungen und Anklagen aufgrund von „anstößigem Verhalten“ (wozu Küssen, Händchen halten, bloße Anwesenheit, etc. zählten).

    So kam es also am 28. Juni in den frühen Morgenstunden im Stonewall Inn, das zudem wie viele LGBTI-Lokale zu der Zeit von der Mafia betrieben wurde, zu einer dieser fast schon zur Routine gewordenen Razzien. Doch sie sollte keine Gewöhnlichkeit bleiben: Zum ersten Mal entstand breiter und wehrhafter Widerstand der queeren Besucher*innen gegen die Polizeigewalt. Menschen, die verhaftet werden sollten, warfen mit Steinen und Flaschen, Schlägereien brachen aus und Personen aus der Umgebung schlossen sich den Protestierenden an. Eine Vorhut des Aufstandes bildeten die zahlreichen Trans-Frauen, die am meisten von der Gewalt durch die Polizeibeamten betroffen waren. Die Proteste erstreckten sich über weitere sechs Tage, an denen es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen queeren Personen und der Polizei kam.

    Befreiungskampf statt Assimilation

    Die Stonewall Riots stellten einen Wendepunkt in der gesamten LGBTI-Bewegung der USA und weiteren Ländern da. Zuvor existierten zwar bereits Organisationen, die für die Entkriminalisierung von Homosexualität eintraten, jedoch bestanden diese meist aus wohlhabenden, weißen, schwulen oder Cis Männern. Sie forderten Unterordnung und Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, in der Hoffnung durch ein „respektables“ Bild die Toleranz ihrer Unterdrücker zu erlangen. Vor allem Ärmere, Trans-Personen und People of Color wurden dabei gern den Wölfen zum Fraß vorgeworfen.

    Das Stonewall Inn war aber genau für diese Ausgestoßenen der Ausgestoßenen ein Anlaufpunkt. Hier fanden queere Obdachlose und Prostituierte ebenso wie queere People of Color einen (für damalige Verhältnisse) geschützten Raum. Deswegen ist es auch kaum verwunderlich, dass während und auch nach den Aufständen vor allem die beiden Trans-Women of Color, Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, eine bedeutende Rolle spielten. Sie gründeten wenige Wochen später die “Gay Liberation Front”, eine Organisation mit revolutionärem Anspruch, die sich für die vollständige Befreiung jeglicher queeren Menschen einsetzte, ohne den Ausschluss von Trans-Personen (wie es damals sonst oft üblich war) und somit ohne jegliche Angleichung an bestehende gesellschaftliche Definitionen oder Rollenbilder.

    Anders als bei früheren Gruppierungen ermutigten sie die Menschen, so zu sein wie sie sind, und anstatt an veralteten Konzepten festzuhalten, ein fortschrittliches Verständnis von Liebe und Identität zu schaffen. Dies drückte sich aus in Parolen wie „Gay Power“ und „Gay Pride“, die offen zeigten: Wir müssen uns nicht verstecken, wir sind stolz und wir sind stark. Mit dieser Haltung und im Gedenken an die Stonewall Riots fand am 28. Juni 1970 der erste Christopher Street Liberation Day statt, welchen wir auch heute noch als Christopher Street Day kennen. Diese „Gay Pride“-Demonstrationen verbreiteten sich schon 1971 in mehreren Ländern und werden seitdem international abgehalten.

    Das Vermächtnis einer Bewegung

    Wie sieht unsere Lebensrealität nun heute aus, 50 Jahre nach den Übergriffen der Polizeibeamten auf unsere queeren Geschwister? Gibt es solche Vorfälle nicht mehr? Können wir es uns leisten, das Gedenken an Stonewall in Form von Partys zu feiern, auf denen riesige Konzerne uns ihre regenbogenfarbenen Designer-Klamotten oder Mobilfunkverträge andrehen wollen?

    Queer zu sein bedeutet noch immer auf der ganzen Welt, extremen Gefahren und Unterdrückung ausgesetzt zu sein. Kriminalisierung durch Gesetze, Gewalt und Misshandlungen durch Polizei, Ärzt*innen und völlig fremde Menschen auf der Straße, aber auch durch die eigenen Familienmitglieder erlebt so gut wie jedes Mitglied der LGBTI-Community. Damals wie heute sind Trans-Personen und People of Color die häufigsten Opfer dieser Taten. Aufgrund von teuren medizinischen Maßnahmen, Diskriminierung bei der Job- und Wohnungssuche stellen Prostitution und Obdachlosigkeit ebenso weiterhin ein Problem für viele, vor allem junge queere Menschen dar.

    Zwar sind die Rechte, die einige von uns inzwischen besitzen, ein bedeutender Fortschritt, der von den Generationen vor uns hart erkämpft werden musste, jedoch gerade wegen dieser Kämpfe dürfen wir uns jetzt nicht auf ihren Errungenschaften ausruhen. Zum einen ist die Verteidigung des schon Erkämpften zwingend notwendig, denn wer sich nicht selbst stark macht, ist abhängig von den Abwägungen und Launen der Herrschenden, sowie anfällig für reaktionäre Ideologien, was in manchen Fällen sogar zu offen rechten Tendenzen führt (zum Beispiel sogenannte TERFs, Trans Exclusionary Radical Feminists). Zum anderen sind wir noch lange nicht an einem Punkt angelangt, an dem wir uns zufrieden geben dürfen. Denn es ging nie nur um oberflächliche Toleranz, um ein paar Regenbogenfahnen vor dem Rathaus, um überteuerte Produkte in bunten Farben. Solange wir selbst in den angeblich „liberalen“ Ländern weiter ermordet, verstümmelt, verachtet und verstoßen werden, kann keine*r von uns in Frieden leben. Wir als queere Menschen müssen zusammenhalten und gemeinsam für unsere eigene Befreiung gewaltsam kämpfen!

    Remember Stonewall, start a riot!

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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