Das Video hat es in sich: ein Beamter schießt mit Pfefferspray großflächig direkt auf die Gesichter einer Gruppe von Antifaschist:innen. Diese sitzen gerade passiv untergehakt auf dem Boden, um gegen eine Nazi-Demo zu demonstrieren – von ihnen geht keinerlei Aggression aus. Der Einsatzleiter wurde bereits zu einer Geldstrafe verurteilt. Zwei Betroffene klagten daraufhin gegen das Land Hessen, das Verwaltungsgericht in Kassel hat diese Klage jedoch nun zurückgewiesen. – Ein Interview mit dem Kläger Lucas Maier.
Im Juli 2019 warst du mit einer Gruppe Antifaschist:innen von einem eskalierenden Polizeieinsatz betroffen. Was war der Auslöser für euren entschlossenen Protest? Unter welchen Bedingungen fand die Demonstration der Faschist:innen statt?
Unser Protest ereignete sich am 20. Juli 2019. Kurz zuvor, am 2. Juli, war Walther Lübcke getötet worden. Der damalige Regierungspräsident von Kassel wurde von dem Faschisten S. Ernst auf seiner Terrasse erschossen, wie später ein Gericht feststellte. Für den 20. Juli, übrigens auch der 75. Jahrestag des gescheiterten Hitlerattentates durch Staufenberg, hatte die rechtsextreme Kleinstpartei „die rechte“ einen Marsch durch Kassel angekündigt.
Leiter dieser Demonstration war der bekannte Neonazi Ch. Worch. Anfänglich sollte der Marsch auch am Regierungspräsidium von Kassel, dem ehemaligen Arbeitsplatz von Lübcke, vorbeilaufen, was im Vorhinein durch ein Gericht unterbunden wurde. Am Tag selbst waren daraufhin laut Medienberichten rund 20.000 Menschen in Kassel auf der Straße, um gegen Faschismus zu demonstrieren. Ich und einige andere Antifaschist:innen wollten an diesem Tag ebenfalls ein möglichst starkes Zeichen gegen Rechts setzen.
Wie war die Situation in der Stadt – hatte die Demonstration der Rechten Auswirkungen?
Die Situation in der Stadt glich bereits ab den Abendstunden des Vortags einem besetzten Gebiet. Teile der Stadt waren durch die Polizei abgeriegelt. Menschen in der Nähe der vermeintlichen Demoroute wurden auf der Straße angehalten, durchsucht und kontrolliert. Ab dem Morgen wurde dann der ÖPNV im gesamten Gebiet eingestellt. Einige Geschäfte hatten bereits Tage vor der Demo ihre Anzeigen mit Brettern verbarrikadiert. Um es kurz zu machen: Ja, die angekündigte Demonstration der Faschisten hatte die Stadt in dieser Zeit stark verändert.
Du sagtest, ihr wolltet ein „möglichst starkes Zeichen“ setzen. Wie habt ihr das versucht?
Um ein möglichst starkes Bild unseres Protest zu erzeugen, haben wir uns kollektiv dazu entschieden, unseren Protest bis auf die Demoroute der Faschist:innen zu tragen. Anders als es das Land Hessen bzw. die Polizei Nordhessen vor Gericht darstellte, mussten wir hierfür weder Absperrungen überwinden, noch eine Polizeikette durchbrechen oder ähnliches. Wir sind aus einem Hauseingang auf die Straße gelaufen und haben uns dort hingesetzt. Nach meinem Empfinden gibt es keine deeskalierendere Form an diesem aufmerksamkeitsträchtigen Ort zu protestieren.
Wie reagierte die Polizei auf euren spontanen Protest?
Wie man auch auf den Videoaufnahmen gut erkennen kann, ging die Polizei ziemlich direkt mit Pfeffer, Schmerzgriffen und Schlägen gegen uns vor. Dabei hat sie uns weder ausreichend aufgefordert zu gehen, noch Schmerzgriffe angekündigt oder ähnliches. Das diese gewaltsame Ausschreitung der Frankfurter Hundertschaft jeglicher Verhältnismäßigkeit entbehrt, scheint für mich unstrittig, gerade wenn man die Videos kennt.
Ich persönlich war von Pfefferspray, Schmerzgriffen im Gesicht und einer sehr unschönen Fixierung mit Knie im Nacken betroffen. Eine andere Person hatte so viel Pfefferspray abbekommen, dass sie im Nachhinein kollabierte – eine Hilfeleistung von Seiten der Polizei war hier nicht erkennbar – alleine das ist ein Skandal.
Wie ging es dann weiter?
Mir wurden Handschellen angelegt und ich wurde abseits der restlichen Gruppe an eine Hauswand gelegt. Auf die Nachfrage, warum das mit mir gemacht wird, bekam ich die Antwort „wir wissen das auch nicht“ – soviel vielleicht zum Professionalitätsgrad, den die hessische Polizei damals an den Tag legte.
Als die Demo der Faschist:innen dann an uns vorbei zog, unterbanden eben diese „professionellen Beamt:innen“, auch auf meine Aufforderung hin nicht, dass mich augenscheinliche Demonstrationsteilnehmer im Porträt fotografierten. Eine gekennzeichnete Journalistin, die ebenfalls versuchte Fotos zu machen, wurde von den Polizist:innen abgedrängt. Die Demonstration der Faschist:innen wurde übrigens unter dem Motto „Gegen Pressehetze, Verleumdung und Maulkorbphantasien“ angemeldet.
Anschließend wurden wir durchsucht, fotografiert und mit Platzverweisen, die nur vage mündlich ausgesprochen wurden, aber für die halbe Stadt gelten sollten, entlassen. Quasi alle der beteiligten Personen waren durch das Pfefferspray verletzt worden. Einige hatten zudem Verletzungen durch Schläge und andere „Maßnahmen“ erlitten.
Im Nachhinein gab es auch einen „Anquatschversuch“ durch den Verfassungsschutz. Was ist daraus geworden?
Davon habe ich gehört, die betroffene Person hatte dies soweit ich mich erinnere, ja sehr direkt öffentlich gemacht. Von weiteren Vorfällen diesbezüglich weiß ich nichts.
Kassel: Auf Polizeigewalt folgt der Besuch durch den Geheimdienst
Der Einsatzleiter des Verfahrens ist bereits verurteilt worden. Wie ist es dazu gekommen?
In der Folge der gewaltsamen Ausschreitungen der Polizei gegenüber uns, erreichte das Video der Aktion ein gewisses Maß an Reichweite. In der Folge ergingen Anzeigen gegen eingesetzte Beamt:innen. Aber auch direkt in Kassel blieben die Übergriffe nicht ohne Folge: der Landtagsabgeordnete Felstehausen erstatte kurz nach der fraglichen Situation Anzeige bei der Polizei.
Der Polizeibeamte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt verurteilt, allerdings in einem minderschweren Fall. Ich frage mich schon, wie der Zusatz „in einem minder schweren Fall“ zustande kommen konnte. Auch bin ich mir nicht sicher, ob die Verurteilung auf den Pfeffersprayeinsatz zurück geht oder auf sein gewaltsames Verhalten gegenüber einer weiteren Antifaschistin.
Wie wurde der Pfefferspray-Einsatz im aktuellen Verfahren eingeschätzt?
Die meisten Menschen kommen zum Glück nicht häufiger in Berührung mit Pfefferspray, deswegen vielleicht kurz nochmal zur Verdeutlichung: Im Krieg ist Pfefferspray als Waffe verboten. Pfeffersprayeinsatz führte in der Vergangenheit in Deutschland mehrfach zum Tod der Betroffenen.
Dass die Polizei überhaupt Pfefferspray als Waffe besitzen darf, ist hoch umstritten, seit Jahren fordert Amnesty International diesbezüglich eine Überprüfung der deutschen Gesetzeslage. Das Pfefferspray, das die Polizei in Deutschland verwendet, ist nicht vergleichbar mit freiverkäuflichen Pfeffersprays. Die Konzentration ist um ein Vielfaches höher.
Was mir gerade nach der in Kassel verlesenen Urteilsbegründung ganz wichtig ist und womit ich auf die Frage zurückkomme: Pfefferspray ist eine Waffe, die der Polizei zumeist nicht zu ihrem gewünschten Ziel verhilft. Wessen Haut mit Pfefferspray in Kontakt kommt, hat meist lange und kontinuierliche Schmerzen über mehrere Tage und Nächte, was zu Schlafentzug und massiven Einschränkungen im alltäglichen Leben führt.
In der Urteilsbegründung hieß es (sinngemäß): „Die Demonstrant:innen hakten sich auch nach dem Pfeffersprayeinsatz noch unter“. Wer so eine Aussage trifft, um die Verhältnismäßigkeit eines Pfeffersprayeinsatzes zu begründen, hat meiner Meinung nach schlicht und ergreifend keine Ahnung, von was er/sie da spricht. Ich glaube, dass das Gericht keinerlei Vorstellung vom Ausmaß eines Pfeffersprayangriffs hat, sieht es doch verglichen mit Schlagstoff, Elektroschocker und Quartzsand-Handschuhen viel weniger martialisch aus.
Warum wurde nun deine Klage gegen das Land Hessen abgewiesen?
Das Gericht ist der Auffassung, dass ein solches Vorgehen der Polizei rechtmäßig sei – das ist kurz und knapp die Zusammenfassung des Urteils.
Uns wurde abgesprochen, eine Versammlung mit einem legitimen Anliegen gewesen zu sein – das heißt: zur Urteilsfindung wurde nicht das Versammlungsgesetz herangezogen. Unsere Klage wurde also nach dem hessischen Polizeirecht verhandelt und schlussendlich abgewiesen.
Eine entscheidende Rolle spielte im Verfahren die Entfernung zwischen der Demonstration der Faschist:innen und unserer Protestaktion. Hierzu wurden zwei Beamte gehört. Einer der Beiden war an diesem Tag an einem anderen Ort eingesetzt, der Zweite machte von seinem Schweigerecht Gebrauch. Außerdem war eine Demonstrantin hierzu geladen.
Fakt ist, das die Demonstration der Rechten sich in keinem Fall in unmittelbarer Nähe unseres Protests befand, weshalb ich es als eine Schande für die Demokratie empfinde, dass unserem Protest der Versammlungscharakter abgesprochen wurde. Würde es „anständige“ Aufzeichnungen der hessischen Polizei über den Einsatz geben, wäre diese Frage, wie viele andere, ebenfalls unstrittig.
Der Hinweis meines Anwalts darauf, dass es ja durchaus auch zu dem Tätigkeitsfeld der Polizei gehören würde, zu ermitteln, was konkret vor gefallen war, wurde damit abgetan, das die Polizei Nordhessen ja nichts mit den eingesetzten Beamt:innen zu tun hätte, da diese aus Frankfurt kamen.
Meiner Meinung nach zeigt dies exemplarisch sehr anschaulich, wie das Organ Polizei agiert, sobald es sich um Täter:innen in Uniform handelt. Dass Ermittlungen gegen Polizist:innen in Deutschland nicht stattfinden, direkt mit einer Gegenanzeige beantwortet werden oder sich im Sande verlaufen, ist dabei ja nichts Neues. Dazu gibt es seit Jahren umfassende Forschung, Studien und zu Recht die Forderung nach einer unabhängigen Ermittlungsstelle.
Was mich daran schockiert hat, ist das öffentliche Auftreten. Das zeigt meiner Meinung nach, wie verfestigt dieses Vorgehen bereits innerhalb der Polizei als Struktur ist. Wenn man sich vor Augen führt, dass gegen andere, weitaus weniger schwere Straftaten, wie bspw. Fahren ohne Fahrschein, wohl umfangreicher ermittelt wird, verliert man auf Dauer langsam, aber sicher das Vertrauen in den Rechtsstaat. So oder so bin ich der Auffassung, dass die Beamt:innen in keinem Fall verhältnismäßig agiert haben, weshalb ich uns weiterhin im Recht sehe.
Welche weiteren Schritte habt ihr nun vor?
Nach meiner Auffassung erfolgte der gewalttätige Einsatz der Polizei nicht auf Grundlage der in Deutschland geltenden Gesetze. Aus diesem Grund möchte ich das Urteil auch anfechten. Im Konkreten heißt das für uns, dass wir jetzt das Urteil nochmals im Detail prüfen und gemeinsam mit unseren Anwälten mögliche rechtliche Schritte durchsprechen. Im Anschluss wird es voraussichtlich darauf hinauslaufen, dass wir einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen werden.
Es geht mir bei dieser Klage auch gar nicht primär um persönliche Belange oder Befindlichkeiten, es geht mir darum, wie Staatsgewalt mit Protest und schlussendlich mit Bürger:innen allgemein umgeht. Häufig fehlt das nötige Beweismaterial, um solche Situationen richtig aufzuarbeiten, durch eine umfangreiche Videografie wäre das es in solchen Fällen wie hier meiner Meinung nach jedoch sehr gut möglich.
Ich bleibe dabei: Ein solches Verhalten der Polizei ist schändlich und schädlich für die Demokratie und darf nicht einfach gebilligt werden. Deshalb werde ich bis zur letzten Instanz gehen.