Die angekündigten Streiks im öffentlichen Dienst am Montag sind starker Hetze ausgesetzt. Dabei müssten die Forderungen viel weitreichender sein. – Ein Kommentar von Michael Koberstein.
Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gehen heute in die dritte, meist entscheidende Verhandlungsrunde. Die Gewerkschaft ver.di hat deshalb im Nahverkehr, an Flughäfen und Häfen zum Streik aufgerufen. Auch bei der Deutschen Bahn laufen derzeit die Tarifverhandlungen an und so tritt auch die Eisenbahner-Gewerkschaft (EVG) in den Streik.
Das Ergebnis: 350.000 Beschäftigte legten am Montag die Arbeit nieder und es kommt zu einem Stillstand im Verkehrssektor wie schon lange nicht mehr.
Gefordert werden von ver.di 10,5% mehr Gehalt und mindestens 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Dass die EVG mit 12% mehr fordert, liegt nicht daran, dass sie kämpferischer wäre, sondern dass sie in der letzten Tarifrunde noch weniger für die Beschäftigten herausgeholt hat als ver.di. Während der Reallohnverlust im Öffentlichen Dienst bei mittlerweile 11% zum letzten Tarifabschluss liegt, sind es bei der EVG sogar etwa 13% . Das bedeutet: selbst wenn sich ver.di und EVG vollständig mit ihren Forderungen durchsetzen sollten (was bezweifelt werden darf), ist die nun kommende Inflation noch gar nicht eingepreist.
Diese Forderungen bleiben also stark hinter dem zurück, was nötig wäre, um einen tatsächlichen Inflationsausgleich herzustellen, was selbst der ver.di-Vorsitzende Franz Werneke zugegeben hat. Notwendig wäre eigentlich eine Lohnerhöhung von 17% (TVÖD) und 19% (Bahn) bei einer Laufzeit von 12 Monaten, um die kommende Inflation von 5-6% in diesem Jahr ebenfalls auszugleichen. Somit kämpfen die beiden DGB-Gewerkschaften derzeit für eine faktische Senkung des Reallohns.
Medien verbreiten Panikmache der Kapitalist:innen
Die Seite der kapitalistischen Arbeitgeberverbände reagiert jedoch bereits auf diese milden Forderungen empört und veranstaltet Panikmache. Der Kommunale Arbeitgeberverband Baden-Württemberg (KAV) bezeichnete die Warnstreiks im Südwesten gar als „völlig überzogen“.
Währenddessen sprach auch Dirk Engelhardt vom Bundesverband Güterverkehr (BGL) in der Bild-Zeitung davon, dass die Gewerkschaften „gegen den Willen von Millionen Bundesbürgern“ handeln würden und warnte vor leeren Supermarkt-Regalen, weswegen er eine Aufhebung des Lkw-Fahrverbots am Sonntag forderte.
Markus Jerger vom Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) trieb es dann rhetorisch auf die Spitze, indem er behauptete, die Gewerkschaften würden die Bevölkerung „in Geiselhaft nehmen“. Stimmen aus Sicht der streikenden Arbeiter:innen sucht man in der Tagesschau hingegen vergeblich.
Wie in Frankreich soll es „nicht werden“
Unterdesssen kämpfen die Arbeiter:innen in Frankreich gegen eine Reform des Rentensystems, die unter anderem zu einere Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre führen würde. Präsident Macron hatte die lang angekündigte Reform kürzlich am Parlament vorbei durchgesetzt.
Dass Massen von Arbeiter:innen sich gegen die Angriffe auf ihre Rechte wehren und es zu Straßenschlachten kommt, möchte man in der Bild-Zeitung nicht zur Kenntnis nehmen. Die Nachrichten und Kommentare von Tagesschau, Bild und Co. vermitteln uns ein Bild der Angst und sollen einen Teil der Arbeiter:innenklasse gegen einen anderen Teil ausspielen.
Die Streiks gehen uns alle etwas an
Auch wenn es störend sein mag, wenn Busse und Bahnen nicht fahren, müssen wir uns bewusst machen, dass die Streiks absolut berechtigt sind und die Forderungen sogar zu kurz kommen. Zudem betrifft das Thema letztendlich uns alle, denn die Preissteigerungen durch Corona-Krise, Krieg etc. haben zu einer massiven Erhöhung der Lebenshaltungskosten in der ganzen Arbeiter:innenklasse geführt. Vor allem Lebensmittel sind viel teurer geworden. Und die Inflation wird so schnell kein Ende finden, eine Gesamtinflation von 5-6% sei für 2023 zu erwarten.
Die Ampel-Regierung sorgt mit kleinen Einmal-Zahlungen und Mindestlohnerhöhungen ebenfalls für keinen Inflationsausgleich, sondern nutzt unsere Steuern lieber für eine milliardenschwere Aufrüstung der Bundeswehr und handelt so im Interesse von Rheinmetall und anderen Kriegsausrüstern. Betroffen sind die Chefs der Großkonzerne, aber auch der Arbeitgeberverbände von der Krise nicht – im Gegenteil: sie haben große Extraprofite erwirtschaftet.
Von den französischen Arbeiter:innen lernen
Dass trotz der Stimmungsmache der Medien und Arbeitgeberverbände viele Arbeiter:innen die Streiks befürworten, zeigt, dass die steigenden Lebenshaltungskosten an niemandem vorbeigehen. Und die Situation in Frankreich macht deutlich, dass die lohnabhängige Bevölkerung in Frankreichebenfalls mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie hier in Deutschland. Ihre unnachgiebige Energie sollte Ansporn sein, in allen Teilen der Arbeiter:innenklasse für reale Lohnerhöhungen zu streiken und die jetzige Streikwelle weiterzutreiben.