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Sonntag, April 28, 2024
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    Oppenheimer: Der Erfinder der Atombombe als zerrissener Held

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    Im Anbetracht des internationalen Wettrüstens ist das Filmporträt zu Julius R. Oppenheimer von bedrückender Aktualität. Eine echte Kritik an der modernen, unmenschlichen Kriegsführung stellt der Film aber nicht dar. – Eine Rezension von Olga Goldmann

    Der neueste Antiheld von Christopher Nolan: Julius Robert Oppenheimer alias der „Vater der Atombombe“. Dargestellt wird er als innerlich zerrissenes Genie, das Visionen eines verborgenen Universums plagten. Nolans dreistündige Verfilmung basiert auf der Oppenheimer-Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin und behandelt den Werdegang Oppenheimers, der die geheime militärische Forschungseinrichtung mit dem Decknamen “Manhattan-Projekt”  in Los Alamos leitete, in der Wissenschaftler während des Zweiten Weltkriegs in den USA die Atombombe entwickelten. International gefeiert wird der Film insbesondere dafür, dass er den Physiker, der die Welt veränderte, als jemanden darstellt, der sich durch seine Entdeckung wandelte.

    Der Film beginnt mit einem Zitat aus der griechischen Mythologie: Prometheus brachte den Menschen das Feuer. Dafür bestraften die Götter ihn mit lebenslangem Leid. Prometheus ist in den griechischen Heldensagen kein Mensch, sondern gehört den gottgleichen Titanen an. Oppenheimer – so impliziert dieser Vergleich – ragt über seine Mitmenschen hinaus: Er ist brillanter, seiner Zeit weit voraus und deshalb weithin unverstanden. Der Prometheus-Vergleich scheitert kläglich an der Tatsache, dass die Atombombe keineswegs mit dem Feuer, das sich vielseitig einsetzen lässt und das menschliche Überleben sichert, zu vergleichen ist. Die Atombombe ist eine Vernichtungswaffe. Ihre Erschaffung hat nichts Heroisches an sich und dient nicht der ganzen Menschheit, sondern den Herrschenden der mächtigsten Länder dazu, anderen ihren Willen aufzuzwingen.

    Nolans Film zeigt Oppenheimer als ‘Frankenstein’ des Atomzeitalters: ein Mann von unvorstellbarer Dimension, der die Verantwortung, die Welt vor den Nazis zu retten, auf den Schultern trägt. Schneller, höher, weiter, sind die Akkorde, die das visuelle und auditive Kino-Spektakel untermauern. Von den grenzenlosen Möglichkeiten der Wissenschaft fasziniert, scheint Nolans Oppenheimer erst zu spät erkannt zu haben, dass seine Schöpfung tatsächlich die Fähigkeit zur Zerstörung hat. Immer wieder beleuchtet der Regisseur einen Oppenheimer, der wie ein naives Kind die nukleare Vernichtung möglich machte und schließlich davon überrascht ist, Verantwortung für seine Entdeckung übernehmen zu müssen. Dabei bleibt es fragwürdig, ob Oppenheimer wirklich so blauäugig gewesen ist, oder ob er nicht vielmehr seine wissenschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellte, um sich einen Platz in der Menschheitsgeschichte zu sichern. Angesichts des internationalen Ringens um die Vaterschaft über die Atombombe, dem ein Beharren auf Wettbewerb, Aggression und Selbstbehauptung zugrunde lag, wäre solch ein Verhalten durchaus vorstellbar.

    Die patriarchalen Strukturen des Manhattan-Projekts werden im Film durchaus dargestellt, aber nicht wirklich thematisiert. Nolan, der anscheinend viel Zeit darauf verwendet hat, der Figur Oppenheimers gerecht zu werden, gestaltet die brillanten und vielschichtigen Frauen in Oppenheimers Leben als blasse Versionen ihrer selbst. Nur Katherine, Oppenheimers Ehefrau, schafft es als nuancierter Charakter, über die Seitenlinie hervorzutreten. Größtenteils betrachtet Nolan Oppenheimers Frauen als hysterische, unberechenbare Grazien mit Sexappeal, die sich für den Wissenschaftler aufopfern und von ihm gerettet werden müssen.

    Als Ritter in weißer Rüstung tut Oppenheimer das durchaus, wenn ihm danach ist, schenkt den Frauen außerhalb seines Bettes sonst aber wenig Beachtung. Der Film würde den “Bechdel-Test” also nicht bestehen. Um das zu erreichen, müsste er nämlich eine Szene enthalten, in der sich zwei namentlich bekannte Frauen über irgendetwas anderes als einen Mann unterhalten. Trotz der Vielzahl an Frauen, die in der Männer-Enklave des Manhattan-Projekt-Komplexes wichtige Rollen übernahmen, schafft Nolans Film das nicht.

    Der Film zeichnet einen Mann, der versuchte, sich davon zu überzeugen, er hätte keinen Einfluss auf sein Schicksal, sich jedoch gleichzeitig als Märtyrer und Prophet versteht. Das wird vor allem klar, wenn Sprachgenie-Oppenheimer beginnt, beim Sex aus der Bhagavad Gita vorzulesen – einem spirituellen Gedicht, das zu den zentralen Schriften des Hinduismus gehört. Er liest: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“ Im Mittelpunkt der Bhagavad Gita steht ein Dialog, der vier Schlüssellehren vermittelt: Eine davon ist Moksha, der Endzustand der völligen Befreiung und des inneren Friedens. Dieser absolute Frieden war es, so Nolan, wonach Oppenheimer nach den Bombenanschlägen auf die japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki suchte. Im Film wird die Zerrissenheit Oppenheimers immer wieder betont, bleibt aber schlussendlich ungewiss. Nach den Bombenanschlägen weigert sich Oppenheimer, an der Entwicklung der Wasserstoffbombe – einer noch tödlicheren Vernichtungswaffe – mitzuarbeiten und wird zum Befürworter der internationalen nuklearen Rüstungskontrolle.

    Diese Haltung sowie seine Nähe zu Mitgliedern der Kommunistischen Partei machten ihn zur Zielscheibe der Antikommunismus-Welle, die der US-Republikaner Joseph McCarthy ins Rollen gebracht hatte. Trotzdem Oppenheimer sich vehement vom Kommunismus distanzierte, wurde ihm 1954 seine Sicherheitsberechtigung entzogen. War Oppenheimers Wandlung zum Sprachrohr der Vernunft im Umgang mit Nuklearwaffen also tatsächlich ein Zeichen seiner Reue? Man darf nicht vergessen, dass ihn keiner zwang, seine großen intellektuellen Fähigkeiten und sein ausgeprägtes Verständnis der Quantenphysik für den Bau einer Vernichtungswaffe – das teuerste Experiment seiner Zeit – zu nutzen. Oppenheimer war amerikanischer Patriot. Vor allem hatte er Ambitionen.

    Unerwähnt bleiben in Nolans Film die Ureinwohner Amerikas, denen durch das Manhattan-Projekt verboten wurde, die heiligen Stätten ihrer Vorfahren zu besuchen, da das Militär Hunderte von Quadratkilometern für die wissenschaftlichen Labore und industriellen Produktionsanlagen in Los Alamos benötigte. Auch heute sind das ehemalige Land und die traditionelle Lebensweise der amerikanischen Ureinwohner durch Angst vor den langfristigen Auswirkungen des Atomforschungsprojekts auf ihre Gesundheit zerrüttet. Die Menschen wurden als entbehrlich angesehen. Die Umwelt wurde im Namen der Weltmacht geopfert.

    Während Nolan die intellektuellen Spannungen der Epoche spürbar werden lässt, weigert sich der Filmmacher jedoch, die Bombenanschläge auf Hiroshima und Nagasaki zu zeigen, bei denen schätzungsweise 100.000 bis über 200.000 Menschen ermordet wurden. Man sieht jedoch, wie Oppenheimer die aufsteigende Pilzwolke der ersten Testbombe mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Siegesgewissheit betrachtet. Er hat erreicht, was er erreichen wollte. Er hat vollbracht, was kein anderer vor ihm geschafft hat.

    In späteren Interviews beharrt Oppenheimer auf die Notwendigkeit, die Atombombe zu bauen. Die Worte „wir mussten“ fallen immer wieder. Oppenheimer, selbst Jude, baut die Atombombe im Glauben an ein Wettrennen mit den Nazis und in der Hoffnung darauf, dass die Einsicht in ihr Vernichtungspotenzial ein Zeitalter des Friedens bedeuten würde. Dass dies nicht gelungen ist, ist in Anbetracht der heutigen Lage offensichtlich: Die Atombombe hat nicht das Ende aller Kriege herbeigeführt, sondern den Beginn eines neuen Kriegszeitalters, in dem nicht-nukleare Kriege weiterhin bestehen und der Einsatz atomarer Waffen möglich ist.

    Heute nimmt das atomare Wettrüsten zwischen den imperialistischen Großmächten mit den USA und Russland an der Spitze immer eklatantere Dimensionen an. Alle Atommächte rüsten ihre Atomwaffen durch Modernisierungsmaßnahmen der Sprengköpfe und Waffensysteme massiv auf. Obwohl Deutschland keine Atomwaffen besitzt, beteiligt es sich dennoch an der explodierenden militärischen Hochrüstung und stimmt entsprechend seiner militärischen und politischen Integration in die imperialistischen Bündnisse NATO und EU grundlegend in die antirussische Propaganda ein – zumindest verbal und durch Drittmittel.

    In Interviews zum Film warnt Christopher Nolan  vor dem unkontrollierten Einsatz der Künstlichen Intelligenz. Nichts gegen mächtige Werkzeuge, „aber der Mensch, der sie benutzt, muss die Verantwortung dafür übernehmen“, so Nolan. Wenn Nolans Film als Warnung gelten soll, dann scheitert er mit dieser Aussage. Denn wem gehören diese „mächtigen Werkzeuge“? Sicher befinden sie sich nicht in den Händen der Arbeiter:innen und werden nicht zur Befreiung der unterdrückten Mehrheit der Bevölkerung genutzt, sondern dienen einzig und allein den Imperialisten.

    Nach drei Stunden verlässt man der Film und weiß nicht, woran Oppenheimer selbst geglaubt hat. Der Physiker bleibt auf ewig unnahbar. Ein gleißendes Licht der Explosion, das man nur hinter einer Plexiglasscheibe ansehen kann und doch nicht wirklich versteht.

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