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Sonntag, April 28, 2024
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    Faschistischer Putsch in Chile vor 50 Jahren – was wir für heute daraus lernen können

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    Am 11. September 1973 stürzte General Augusto Pinochet mit Unterstützung der USA die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende. Dieser hatte zuvor versucht, Chile auf “friedlichen” Wege zum Sozialismus zu führen. Was wir auch heute noch aus der chilenischen Erfahrung lernen können. Ein Kommentar von Rudolf Routhier.

    Vor 50 Jahren war es, als ob eine feindliche Armee in die Hauptstadt Santiago de Chile einmarschiert wäre. Der berühmte Präsidentenpalast “La Moneda” war von Truppen umzingelt und unter Beschuss. Dort hielten nur noch wenige Menschen die Stellung. Ein Mann schritt nacheinander zu jedem von ihnen, umarmte sie und sagte: “Danke für alles Genossen. Danke für alles.”. Nachdem er sich bei allen verabschiedet hatte, hob er die Waffe, die ihm einst Fidel Castro geschenkt hatte, und erschoss sich. Seine letzten Worte waren: “Allende ergibt sich nicht!”.

    So beschrieb sein Bodyguard die letzten Momente im Leben von Salvador Allende. Mit ihm starb die Hoffnung von Millionen auf eine Revolution ohne Blutvergießen. Auf seinen Tod folgte ein Massaker an seinen Anhänger:innen, Zehntausende wurden in Konzentrationslager gesperrt und zu Tode gefoltert. Was mit dem Traum eines “demokratischen Sozialismus” begonnen hatte, endete in einer faschistischen Diktatur.

    Knapp drei Jahre zuvor hatte Allende durch eine Koalition seiner Sozialistischen Partei mit der Kommunistischen Partei Chiles den rechten Präsidentschaftskandidaten Jorge Alessandri mit 36 Prozent der Stimmen im Wahlkampf geschlagen. Obwohl seine Koalition die Mehrheit der Armen, der Arbeiter:innen und Bäuer:innen Chiles hinter sich wusste, erreichte sie jedoch nicht die absolute Mehrheit. Vom Parlament wurde Allende erst nach großen Zugeständnissen an die rechte “Christlich Demokratische Partei” als Präsident anerkannt.

    Doch für Allende verlief bis dahin alles nach Plan. Obwohl er sich als Marxist verstand, wollte er keine Revolution. Er wollte sich innerhalb der Beschränkungen der parlamentarischen Republik zum Präsidenten wählen lassen und von dieser Position aus sein Programm aus Reformen und Verstaatlichungen durchsetzen, die er als “Chilenischen Weg zum Sozialismus” beschrieb.

    Unterstützt wurde er dabei von der Kommunistischen Partei, die damals bereits den von der revisionistischen Sowjetführung vorgegebenen “friedlichen Weg zum Sozialismus” vertrat, nicht jedoch vom linken Flügel seiner eigenen Partei, die stattdessen die bewaffnete Revolution forderte.

    Reformen bis zum Sozialismus?

    Eine Zeit lang schien es jedoch so, als ob sich Allendes Weg als der richtige herausstellen würde. Chiles Bevölkerung profitierte enorm von seinen Reformen. Die Schwerindustrie und Großunternehmen wurden verstaatlicht, eine Agrarreform wurde gestartet, der Analphabetismus bekämpft und ein Sozialstaat mit kostenlosem Gesundheits und Bildungssystem aufgebaut.

    Es wurde neuer Wohnraum geschaffen, die Löhne stiegen um über 22 Prozent. Auch die Lage der Frauen besserte sich merklich, beispielsweise durch den Aufbau von kostenlosen Kindertagesstätten oder öffentlichen Wäschereien, was vielen Frauen zum ersten Mal eine Berufstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte.

    Das verschaffte Allende jedoch auch schnell mächtige Feinde. Nicht nur die Reichen Chiles sondern auch die USA gehörten zu den Verlierern der neuen Politik. Für Jahrzehnte hatten US-amerikanische Kupferunternehmen die Minen Chiles und die Arbeiter:innen dort ausgebeutet. Diese waren jetzt verstaatlicht worden. Für die USA war klar: Allende muss weg. Der Einfluss US-amerikanischer Geheimdienste in Südamerika war groß, und so fanden sie schnell Unterstützer:innen.

    Im Juni 1973 versuchte die faschistische “Patria y Libertad” erstmals den Putsch. Als dieser nicht gelang, fand die Konterrevolution ihren Mann in General Pinochet. Er stürzte die demokratisch gewählte Regierung und regierte das Land für fast zwanzig Jahre als faschistischer Militärdiktator. Unter ihm wurden Allendes Reformen nicht nur allesamt zurückgenommen. Unter Anleitung amerikanischer Ökonomen wurde Chile zum Versuchskaninchen für das, was später als “Neoliberalismus” bekannt werden sollte: Es wurde massiv von unten nach oben umverteilt. Von den Folgen hat sich das Land bis heute nicht erholt.

    Ihr Staat kann nie unserer werden

    Auch 50 Jahre später zeigt uns der Militärputsch in Chile noch immer eines der deutlichsten Beispiele für das wahre Gesicht der bürgerlichen Demokratie. In dem Moment, in dem die Bevölkerung nicht mehr die vom Kapitalismus erlaubten Optionen wählt, wird sie immer gnadenlos überrannt und es wird so lange gemordet, bis wieder gefahrlos “Demokratie” gemacht werden kann. Jede wirkliche Opposition ist dann ja tot.

    Oder mit den Worten des damaligen US-Außenministers und Kriegsverbrechers Henry Kissinger: “Ich sehe nicht ein, warum wir untätig zusehen sollen, wie ein Land wegen der Verantwortungslosigkeit seines eigenen Volkes kommunistisch wird.” Doch nicht nur die USA, auch die BRD, Großbritannien und unzählige weitere Verteidiger der “Demokratie” unterhielten gute Beziehungen zum Pinochet-Regime.

    Doch letztlich war Allendes Versuch, den Sozialismus innerhalb des bürgerlichen Parlamentarismus aufzubauen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die alten Machtstrukturen blieben unangetastet, die Herrschaft der Kapitalist:innen wurde gedämpft, nicht beendet.

    Anstatt die Arbeiter:innen zu bewaffnen, verließ sich Allende auf Polizei und Militär. Das gleiche Militär, das später putschte. Anstatt die Bevölkerung nach sozialistischen Prinzipien in Räten zu organisieren, blieb das alte System der parlamentarischen Stellvertreter:innen erhalten. Als die Konterrevolution schließlich zuschlug, waren die Bevölkerung und Allendes Partei größtenteils unvorbereitet, unbewaffnet und schutzlos. Spätestens da zeigte sich: Egal wie friedlich die Revolution auch sein mag, die Konterrevolution ist immer gewaltsam.

    • Perspektive-Autor seit Sommer 2022. Schwerpunkte sind rechter Terror und die Revolution in Rojava. Kommt aus dem Ruhrpott und ließt gerne über die Geschichte der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

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