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Sonntag, April 28, 2024
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    Hebammenprotest in Grimma: “Wir sind ganz klar gegen diese Krankenhausreform!”

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    Am 19. September waren in Grimma 1.000 Menschen gegen die geplante Kreißsaalschließung auf der Straße. Perspektive war vor Ort und sprach mit Anja Täubert, die bereits seit 23 Jahren als Hebamme arbeitet. Ihr und ihren Kolleginnen wurden die Belegverträge zum April 2024 gekündigt. Erst kürzlich, am 12. September, hatte der Aufsichtsrat der Kliniken beschlossen, dass der Kreißsaal am Standort Grimma schließen muss. Der Beschluss stößt auf Widerstand. – Ein Interview

    Von eurer Instagram-Seite wissen wir, dass vor der Kündigung, die ihr im September erhalten habt, noch einiges passiert ist. Was ist die Vorgeschichte?

    Die Muldentalkliniken haben einen Standort in Grimma und Wurzen und befinden sich bereits seit zwei Jahren in einer finanziellen Schieflage. Die Pandemie haben die Kliniken wegen den ausgezahlten Corona-Hilfen noch überstanden, doch als diese Hilfen weggebrochen sind, ist es bergab gegangen. Das hat bei uns für Verunsicherung gesorgt, da die Schließung von Kreißsälen ja ein deutschlandweiter Trend ist.

    Am 3. März diesen Jahres wurde bei der Kreistagssitzung ein Sanierungspaket beschlossen, auf dessen Grundlage eine 10-Millionen-Euro-Hilfe bewilligt wurde. Dieses Sanierungspaket wurde von Herr Schuffenhauer, dem ehemaligen Geschäftsführer, erstellt. Dort war eine Kündigung der Beleghebammen für Juli 2024 vorgesehen. Jedoch wurde bei dieser Kreistagssitzung eine neue Geschäftsführerin, Julia Alexandra Schütte, eingesetzt. Ihr wurde ein „gewisser Handlungsspielraum“ im Umgang mit diesem Sanierungskonzept zugesprochen. Das wollten wir positiv für uns ausnutzen.

    Ein paar Monate später habt ihr dann aber alle eine Kündigung erhalten. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

    Die neue Geschäftsführerin hat diesen „Handlungsspielraum“ tatsächlich ausgenutzt – aber zu unserem Nachteil. Frau Schütte ist Anwältin für Arbeitsrecht und hat „umfangreiche Erfahrungen mit der Durchsetzung von Kündigungen“ und der Abwicklung von Unternehmen. Wir haben uns ihr vorgestellt – haben ihr unsere Arbeit erklärt, ihr gezeigt, was wir erreicht haben. Denn als Beleghebammen-Team gibt es uns erst seit 2018 und wir waren es, die die Geburtshilfe in Grimma durch neuen Schwung und viel Arbeit neu aufgebaut und gerettet haben!

    Frau Schütte war uns gegenüber immer wertschätzend und hat uns Hoffnung gemacht, doch im Nachhinein war das alles eine Hinhaltestrategie. Bereits im August war die erste Kündigung da. Nach einigem Drängen gab es noch einen Gesprächstermin mit ihr, doch wir sind mit unseren Vorschlägen und Ideen nicht mal zu Wort gekommen. Sie sagte direkt zum Einstieg, dass die Geburtshilfe in Wurzen aufrechterhalten werden soll, und demnach unser Standort in Grimma schließen muss. Das war alles Taktik. Frau Schütte wollte, dass alles still und leise abläuft, ganz ohne Protest.

    Was ist euer Antrieb, selbstorganisiert gegen die geplante Schließung zu kämpfen? Wie habt ihr euch organisiert?

    Als freiberufliche Beleghebammen sind wir ein eigenständiges Team, welches die Räumlichkeiten der Muldentalklinik nutzt. Wir arbeiten Seite an Seite mit den Angestellten der Klinik, zum Beispiel dem Pflege- und ärztlichen Personal. Letztlich waren wir die einzigen, die gekündigt wurden. Wir haben also nichts mehr zu verlieren und müssen im Gegensatz zu den Angestellten keine Angst mehr um unseren Arbeitsplatz haben.

    Bei der Demonstration haben aber auch sie sich angeschlossen. Es waren alle Schwestern da und auch einige vom ärztlichen Team! Und das obwohl von Seiten der Geschäftsführung viel Angst und eine große Drohkulisse aufgebaut wurde, so wurde die Notaufnahme zum Beispiel doppelt besetzt, als wenn man durch unseren Protest Krawalle zu befürchten hätte! Wir waren da mit Trillerpfeifen, Kinder und Familien!

    Habt ihr Kontakt zu den Hebammen in Wurzen oder in anderen Städten?

    Unser Kontakt nach Wurzen ist leider sehr schlecht. Durch die zwei Jahre finanzielle Schieflage der Muldentalkliniken und dem ewigen hin und her haben sich zwei Lager gebildet. Bei der jetzigen Demonstration haben wir den Wurzner Hebammen allerdings gesagt, dass wir nicht gegen sie auf die Straße gehen, sondern weil wir den Erhalt von beiden Standorten wollen! Unsere Geschäftsführung sagt über sich selber, dass sie für „Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit“ stehen würde, aber das, was die Geschäftsführung lebt und macht, ist nichts anderes als für Spaltung zu sorgen.

    Gleichzeitig sind wir aber sehr gut mit den Hebammen unserer Landkreise Leipzig und Mittelsachsen vernetzt, zweimal im Jahr veranstalten wir Hebammenstammtische. Wir haben die Schließung der Geburtenabteilungen in Oschatz und Leisnig miterlebt und sehr viele Kolleginnen haben uns bei der Demo tatkräftig unterstützt und zahlreiche Flyer verbreitet.

    Was ist euer Ziel bzw. was ist eure Perspektive?

    Unser Ziel ist es die Geburtshilfe in beiden Städten zu erhalten! Wir nehmen die deutschlandweiten Entwicklungen so nicht hin. Wir wollen eine wohnortnahe und qualitativ hochwertige 1:1 Betreuung, aber das geht nicht wenn alles zentralisiert wird!

    Du hast selber schon von einem deutschlandweiten Trend und der Zentralisierung der Gesundheitsversorgung gesprochen. Wie ordnet ihr die Kreißsaalschließung in Grimma politisch ein?

    Wir sind ganz klar gegen diese Zentralisierung und gegen die Krankenhausreform. Das führt dazu, dass eine Hebamme gleich mehrere schwangere Frauen während der Geburt betreuen muss. Wir denken es ist ein falsches Qualitätsverständnis, nur von Maximalversorgung zu sprechen, mit einer Top-Ausstattung, den besten Geräten vor Ort, die direkte Anbindung an die Frühchenstation und so weiter. Diesen pathologisierenden Umgang mit Schwangerschaft halten wir für ein Problem.

    Natürlich gibt es Notfälle und Schwangerschaften, die diese intensive Betreuung brauchen! Aber das sind Ausnahmen. Wenn wir von Qualität sprechen, dann bedeutet das für uns, dass eine Gebärende 1:1 intensiv betreut und begleitet wird! Dass Frauen interventionsarm, wohnortnah und selbstbestimmt gebären können. Gerade das ist es, was viele Probleme und Komplikationen schon verhindern kann. Deshalb sind wir für den Erhalt der Geburtshilfe in Grimma!

    Nach dem Interview erhielt die Perspektive aktuelle Informationen über das weitere Vorgehen der Geschäftsführung. Diese zeigt sich von der Demonstration und dem breiten Protest unbeeindruckt. Anstatt auf die Forderungen einzugehen, wird die Schließung des Kreißsaals verstärkt vorangetrieben und soll voraussichtlich bereits im November diesen Jahres umgesetzt werden.

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