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Samstag, April 27, 2024
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    Russland und Ukraine rekrutieren vermehrt Frauen für die Armee

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    Sowohl Russland als auch die Ukraine rekrutieren Frauen für den andauernden Krieg, der mit hohen menschlichen und materiellen Verlusten einhergeht.Die Frauen haben dabei nicht immer eine echte Wahl – wegen Gesetzestexten oder Perspektivlosigkeit.

    Am Montag, dem 23. Oktober 2023, berichtete das Internetportal “iStories“, dass das russische Verteidigungsministerium nun dazu übergegangen sei, gezielt Frauen für die Söldnereinheit „Redut“ zu rekrutieren. Insbesondere steht das Anwerben von Drohnenpilotinnen und Scharfschützinnen im Vordergrund.

    Den Soldatinnen wird ein Halbjahresvertrag angeboten, der ein Monatsgehalt von umgerechnet etwa 2.200 Euro umfasst. Sollten die Frauen im Dienst Verletzungen erleiden, stehen ihnen weitere 30.000 Euro zu. Im Todesfall erhalten ihre Hinterbliebenen eine Einmalzahlung von fast 50.000 Euro. Es heißt, dass die Interessentinnen innerhalb eines Monats an der Waffe ausgebildet würden.

    Diese Entwicklung ist Teil der russischen Strategie, „von den Rändern“ zu rekrutieren. Diese Strategie trat bereits beim Einzug der 300.000 Reservisten durch die Teilmobilmachung am 21. September 2022 und dem Einsatz von russischen Gefängnisinsassen in den Strafeinheiten mit dem Namen “Storm-Z-Einheiten” zutage.

    Frauen an der Waffe in der Ukraine

    Doch nicht nur in Russland weiten sich die Rekrutierungsbemühungen der Armee auch auf Frauen aus. Seit dem 1. Oktober 2023 müssen sich ukrainische Frauen mit einer medizinischen oder pharmazeutischen Ausbildung für die Wehrpflicht registrieren. Die neue Gesetzeslage betrifft alle Frauen, die ihren Abschluss nach dem 30. Dezember 2022 gemacht haben.

    Das Gesetz sollte ursprünglich im vergangenen Jahr verabschiedet werden. Aufgrund des darauffolgenden großen öffentlichen Aufschreis entschied sich das ukrainische Verteidigungsministerium jedoch dazu, den Prozess um ein Jahr zu verschieben.

    Nach 20 Monaten Krieg hat die Zahl an Freiwilligen in der Ukraine abgenommen. Wehrpflicht ist daher zur Norm geworden. Neben dem Erlass neuer verpflichtender Gesetze beeinflusst die ukrainische Regierung die öffentliche Meinung durch PR-Kampagnen im Internet. In diesen Mobilisierungsvideos werden Frauen an der Front und ihre Bereitwilligkeit, dem Land mit ihrem Leben zu dienen, als etwas Alltägliches dargestellt. Die PR-Firmen arbeiten dabei nicht nur für die Ukraine, sondern haben oft zugleich lukrative Verträge mit US-Rüstungsfirmen.

    Derzeit dienen 42.000 Frauen in ukrainischen Streitkräften. Davon bekleiden 8.000 Frauen Offizierspositionen und 5.000 dienen an der Front. Damit sind sie immer noch eine kleine Minderheit in der Armee. Die ukrainische Armee erreichte im Sommer 2022 eine Stärke von etwa 500.000 Soldat:innen, wobei es zu den seitherigen Verlusten keine genauen Zahlen gibt.

    Warum weitet sich die Rekrutierung auf Frauen aus?

    Sowohl Russland als auch die Ukraine verzeichnen seit Jahren sehr niedrige Geburtenraten. Eine Entwicklung, die durch den Krieg noch begünstigt wird. Ein Blick auf die Demografie der Ukraine verrät: 53,7 % der Bevölkerung sind weiblich. In Russland sind es 53,6 %. Neben demografischen Hürden haben beide Länder seit Beginn des Krieges erhebliche Verluste erlitten. Laut einem Bericht der New York Times seien es zusammen fast 500.000 tote und verletzte Soldaten auf beiden Seiten. Zudem sind mehrere 10.000 vor der Mobilisierung ins Ausland geflohen.

    Obwohl alle genauen Zahlen Fehlerpotenzial bergen, liegt der Schluss nahe, dass das Anwerben von Frauen in Russland und der Ukraine auf einen Personalmangel zurückzuführen ist. Die Kriegsbereitschaft sinkt auf beiden Seiten. Frauen sollen nun die Lücken in den Reihen beider Armeen wieder auffüllen und die Gründung neuer Brigaden ermöglichen.

    Westliche Expert:innen warnen davor, die neue Mobilisierungswelle als Zeichen eines nahen Kriegsendes zu werten: „Dieser Aufruf ist kein Zeichen dafür, dass Russland die Streitkräfte ausgehen“, vermutet der Militäranalyst und Mitglied des “Global Security Teams” der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, Niklas Masuhr.

    Auch die ukrainische Journalistin Kateryna Malofieieva spricht von einer „neuen Phase des Kriegs“. Die ukrainische Regierung bereite sich auf einen langen Krieg vor, sagt Malofieieva. Man versuche, sich einen Überblick über die Ressourcen zu verschaffen. Irgendwann könnten weibliche Fachkräfte eine große Rolle im Krieg spielen.

    Frauen in der Armee, ein Zeichen der Fortschrittlichkeit?

    In den westlichen Medien werden die ukrainischen Soldatinnen als Heldinnen inszeniert. Denn sie seien nicht nur Soldatinnen, sondern auch Mütter und verteidigten vorgeblich die Zukunft ihrer Kinder. Die Frauen übernähmen dabei immer mehr die „Rollen von Männern“, heißt es. Aufgrund dessen wird die ukrainische Armee oftmals als fortschrittlich und feministisch dargestellt.

    Für viele ukrainische und russische Frauen ist der Antritt des Wehrdienstes jedoch die einzige Möglichkeit, der Armut zu entkommen und der Brutalität des Krieges nicht schutzlos ausgeliefert zu sein – er stellt somit nicht unbedingt eine freie Wahl dar. Seit Beginn des Kriegs ist der Preis eines Lebens im Dienst um ein Vielfaches gestiegen. Der Lohn einer Soldatin sowie der eines Soldaten ist oft um ein Vielfaches höher als die durchschnittlichen Angebote auf dem russischen und ukrainischen Arbeitsmarkt. Die Volkswissenschaftlerin Tatiana Mikhailova bezeichnet das Schaffen finanzieller Anreize durch die Regierungen auch als „das Kaufen von Loyalität“.

    Dass ein Geschlechtergleichgewicht im Militär der wirklichen Befreiung der Frau keinen Schritt näher kommt, wird durch die Berichte von ukrainischen Soldatinnen offenkundig: sie erzählen von schlechter Ausbildung, fehlendem Material, von Diskriminierung und sexuellen Übergriffen im Dienst.

    Manche Ukrainerinnen zeigen sich zudem besorgt, da ihnen weder in der Ausbildung noch im Studium beigebracht wurde, wie man medizinische Hilfe auf dem Schlachtfeld leistet. Genau diese Aufgabe wird ihnen jedoch abverlangt. Auch sind sie teilweise besonderen Angriffen im Internet ausgesetzt, wie der Fall der ukrainischen Soldatin Elena Ivanenko verdeutlicht: sie wurde für ein Video, das sie bei einem Nervenzusammenbruch im Angesicht ihrer getöteten Kamerad:innen zeigt, verhöhnt.

    In Russland ist die Lage nicht viel anders: Auch hier hat sich die gesellschaftliche Stellung der Frauen durch den Krieg nicht verbessert. Erst vor Kurzem haben russische Erzkonservative versucht, Abtreibungen noch weiter einzuschränken, um der sinkenden Geburtenrate entgegenzuwirken.

    Ebenfalls in Deutschland wird eine „feministische Wehrhaftigkeit“ teilweise als erstrebenswert und progressiv angesehen. Die Bundeswehr versucht derzeit, gezielt mehr Frauen anzuwerben. Dadurch solle die Gesellschaft „gerechter“ werden. Obwohl die Wiedereinführung der Wehrpflicht erst einmal aufgeschoben wurde, sprechen sich einige Politiker:innen schon jetzt dafür aus, dass sie für beide Geschlechter gelten solle. So meinte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) am 28. August 2022 in einem Interview des Deutschlandfunks: „Wenn Wehrpflicht, dann auch für Frauen.“

     

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