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Freitag, Mai 17, 2024
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    Wer zahlt für die “Hochrisikospiele”?

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    Die DFL und die Stadt Bremen befinden sich im Rechtsstreit. Wer soll die Mehrkosten für Polizeieinsätze bei “Hochrisikospielen” tragen? Ein Rückblick auf den jahrelangen Streit und die aufgeworfene Frage, ob mehr Polizei zu mehr Sicherheit führt. – Ein Kommentar von Vinzent Kassel.

    Es geht wieder mal ums Geld. Diesmal ist aber nicht die Deutsche Fußball-Liga (DFL) der Bittsteller, sondern die Freie Hansestadt Bremen. Diese fordert von der DFL eine Teilhabe an den Kosten für den Mehraufwand bei „Hochrisikospielen”, und das bereits seit 2015. Bislang hat diese Summe immer der Staat übernommen, weshalb sich in dieser Entscheidung ein Präzedenzfall ankündigt. Nach neun Jahren und allen möglich durchlaufenen Instanzen steht nun ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bevor.

    Mäurer gegen die DFL

    Der Rechtsstreit zwischen der DFL und Bremen geht auf das Jahr 2015 zurück, als der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erstmalig der DFL eine Rechnung wegen eines Polizeieinsatzes ausstellte. Hierbei handelte es sich um das Bundesligaspiel SV Werder Bremen gegen den Hamburger SV. Diese Partie wurde wegen der Rivalität der beiden Fanszenen, als “Hochrisikospiel” deklariert. Dies erforderte – auf Anweisung der Polizei – eine weitaus höhere Anzahl an Polizist:innen als bei normalen Bundesliga-Begegnungen.

    Den erhöhten Kostenaufwand von 400.000 Euro forderte der Innensenator von der DFL ein. Möglich macht dies eine besondere Gebührenordnung in Bremen. Diese besagt, dass bei Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen die Veranstalter an den Einsatzkosten beteiligt werden können.

    Ein Sieg und viele Niederlagen für die DFL

    Dagegen legte die DFL im Jahr 2017 vor dem Verwaltungsgericht in Bremen erfolgreich Beschwerde ein. Diese Entscheidung wurde allerdings ein Jahr später vom Oberverwaltungsgericht Bremen wieder aufgehoben. Seitdem klagt sich die DFL erfolglos durch die Instanzen, bis 2019 die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheids vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erneut festgestellt wurde. Der Rechtsweg ist nun erschöpft.

    Einzig verbleibende Möglichkeit ist eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Eben jene hatte die DFL eingereicht und wurde am vergangenen Mittwoch in Karlsruhe angehört. Expert:innen schätzen die Chancen eines Erfolgs der DFL jedoch als gering ein. Sie gehen davon aus, dass die DFL auf Zeit spielt, um mögliche weitere Forderungen anderer Bundesländer so lange wie möglich hinauszuzögern.

    Für Innensenator Ulrich Mäurer ist klar, dass sich ein milliardenschweres Unternehmen wie die DFL an den Mehrkosten beteiligen sollte. Die kolportierten 20 bis 30 Millionen Euro, welche die Mehrbelastung ausmachen würde, wären für die DFL aus seiner Sicht leicht zu verkraften. Damit folgt er der Empfehlung der Bundes- und Landesrechnungshöfe, die schon seit Jahren die Bundesländer auffordert, die DFL beziehungsweise die Vereine an den Mehrkosten zu beteiligen.

    „Öffentliche Sicherheit ist eine staatliche Kernaufgabe“

    Die DFL hält dagegen: Ihr Hauptargument ist, dass die „die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit eine staatliche Kernaufgabe ist.“ Da das Gros der Polizeikräfte am Spieltag außerhalb der Stadien im Einsatz sei, handele es sich aus ihrer Sicht eher um die Sicherung der öffentlichen Ordnung als um die Durchführung der Veranstaltung. Deshalb sei auch der Staat für die Zahlungen verantwortlich. Außerdem habe die DFL keinen Einfluss auf die Anzahl der eingesetzten Beamt:innen.

    Sie bringen den berechtigten Aspekt ein, dass die Polizei nicht darauf aus ist, die Einsatzzeiten der Polizist:innen zu senken. Dabei sollte dies doch im Fokus stehen: nämlich wie mit den geringsten Aufwendungen eine ausreichende Sicherheit gewährleistet werden kann. Die DFL fährt fort, dass dies nur durch eine Zusammenarbeit von relevanten Fußballakteuren, Polizei und Politik geschehen könne.

    Die Polizeigewerkschaften sind in der Frage der Kostenbewältigung zwiegespalten. Während die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) rund um ihren Chefpropagandisten Rainer Wendt für eine Beteiligung der DFL ist, ist die weitaus größere Gewerkschaft der Polizei (GDP) zurückhaltend. Bisher konnte die Polizei unabhängig über die Umsetzung der Einsätze entscheiden: Eine Kostenbeteiligung der DFL könnte laut GDP auch zu einem Mitspracherecht der DFL führen.

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    Mehr Polizei führt nicht zu mehr Sicherheit

    Im Zuge des langwierigen Rechtsstreits werden die falschen Fragen gestellt. Es sollte weniger darum gehen, wer die Rechnung bezahlen muss, sondern warum diese so hoch ausfällt? Sind diese Scharen an Polizist:innen überhaupt vonnöten?

    Im Jahresbericht 2022/23 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze wurden Einsatzzeiten, Straftaten und verletzte Personen der Saison 2022/23 der letzten Saison von Corona, also der von 2018/19, gegenübergestellt. Der Bericht unterscheidet zwischen den Arbeitsstunden der Landespolizei und der Bundespolizei. Bei Spielen in den ersten drei Ligen wurden 2022/23 genau 2.418.193 Arbeitsstunden der Landespolizei geleistet – damit 9,7 Prozent mehr, als in der letzten vollständig ausgetragenen Spielzeit vor Corona 2018/19 (2.204.598 Stunden). Bei der Bundespolizei ergab sich eine noch größere Steigerung. 2.062.333 Arbeitsstunden 2022/23 stehen 1.833.099 Stunden aus der Saison 2018/19 gegenüber. Insgesamt eine Erhöhung um 12,5 Prozent.

    Im Vergleich zu den Dienstzeiten der Beamt:innen stieg die Anzahl der verletzten Personen im Ligaspielbetrieb etwas geringer an. Insgesamt verletzten sich 49 Personen mehr als in der Vor-Corona-Saison: mit 1.127 (18/19) auf 1.176 (22/23) ergibt sich ein Anstieg um 4,35 Prozent.

    Die Zahlen müssen allerdings mit Vorsicht betrachtet werden, da die Verletzungen nicht immer von Fußballfans herbeigeführt werden müssen. Als plakatives Beispiel dient der Fall während des Bundesligaspiels FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach, als ein Polizist mit seiner Waffe herumspielte und dabei drei Kolleg:innen verletzte. Darüber hinaus gibt es auch Verletzte durch Polizeigewalt, die ebenfalls in diese Statistik aufgenommen werden.

    Ähnlich gestaltet es sich mit den eingeleiteten Strafverfahren. Wobei hier gesagt werden muss, dass diese Strafverfahren nur eingeleitet wurden, was nicht bedeutet, dass die mutmaßliche Straftat auch wirklich getätigt wurde. Dies muss im Rahmen der Ermittlungen und der möglichen Prozesse erst aufgeklärt werden. Von Landes- und Bundespolizei wurden 2022/23 insgesamt 5.810 Strafanträge gestellt, das sind gut 3 Prozent mehr als 2018/19 (5.627).

    Weniger ist manchmal mehr

    Es lässt sich also leicht erkennen, dass ein größeres Polizeiaufgebot nicht direkt zu mehr Sicherheit führt. Jeder aktive Fan kennt das militante und oftmals provokante Auftreten der Sondereinheiten. Speziell das Unterstützungskommando (USK) aus Bayern ist für sein eskalierendes Verhalten berüchtigt. Durch diese Handlungsweisen werden keine Straftaten vereitelt – ganz im Gegenteil, sie provozieren eher welche. Grundlose Kontrollen, dreiste Kampfansagen und hartes Zuschlagen beziehungsweise Versprühen von Tränengas sind alles Inbegriff dieser offensiven Polizeitaktiken und das tägliche Brot der aktiven Szenen.

    Es sollte ein Umdenken stattfinden: weg von dem Gedanken, dass größere Polizeimassen das beste Mittel zur Gefahrenabwehr sind. Ein defensives Verhalten der Einsatzkräfte ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Chance zur Selbstregulierung der Kurven. Es geht nicht darum, die Utopie von Fußballspielen ohne Polizei zu träumen, sondern um die Art und Weise der Polizeieinsätze. Die dauerhafte und massive Omnipräsenz der Polizei führt nicht zu einer Steigerung des Sicherheitsgefühls.

    Die bestätigte das sozialwissenschaftliche Projekt „SiKomFan”, bei dem zahlreiche Interviews mit Fans und Mitarbeiter:innen von Fanprojekten geführt wurden. Die Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass eine Polizeipräsenz an entscheidenden Orten wichtig sei, dass aber versucht werden müsse, über differenzierte Einsatzkonzepte und bessere Kommunikation die Einsatzkräfte zu reduzieren. Ein deeskalierendes und weniger emotionales Auftreten werden hierbei genauso empfohlen, wie eine ebenbürtige Zusammenarbeit mit Fanarbeiter:innen.

    Für die nahe Zukunft bleiben solche Konzepte wohl reines Wunschdenken. Momentan geht der Trend eher in Richtung größerer Polizeiaufgebote und massiverer Repressionen. Die Europameisterschaft wirft ihre Schatten voraus. Ob bei der EM die Mehrkosten für die Polizeieinsätze auch vom Veranstalter getragen werden müssen, bleibt indes fraglich.

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