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„Industrie 4.0“: Roboter machen das Leben einfacher – aber nur in den richtigen Händen – von Thomas Stark

Roboter und neuartige Maschinen gefährden heute jeden siebten Arbeitsplatz. Das meldete kürzlich die Tageszeitung „Neues Deutschland“ mit Blick auf das Bundesland Sachsen-Anhalt. Schon seit geraumer Zeit geistern die Schlagworte „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ durch die Medien.

Von großen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ist die Rede. Doch sind tatsächlich die Maschinen und Roboter das Problem? Oder ist es nicht vielmehr eine Gesellschaftsordnung, die nicht imstande ist, die technische Entwicklung zum Wohle der gesamten Bevölkerung einzusetzen?

Wenn ein Roboter Ihren Job schneller und besser erledigen könnte als Sie, und das kostenlos, hätten Sie immer noch Arbeit?“. Diese Frage im Klappentext des US-Bestsellers „Aufstieg der Roboter“ von Martin Ford aus dem vergangenen Jahr beantwortet sich fast von selbst: Natürlich nicht! In dem international gelobten Sachbuch schildert der Software-Unternehmer aus dem Silicon Valley die Auswirkungen der neueren technischen Entwicklungen auf die Arbeitswelt: Während heute bereits die Jobs von „Reisebüroangestellten, Datenanalysten und Rechtsanwaltsgehilfen“ bedroht seien, stünden morgen auch die von Ärzten, Taxifahrern und Programmierern in Frage.

Hintergrund ist die rasante Entwicklung der Roboter- und Computertechnik. Eindrucksvolle Beispiele hierfür sind der 3D-Druck und das „maschinelle Lernen“. Ersterer ermöglicht es, komplizierte industrielle Bauteile wie zum Beispiel die von Flugzeugmotoren am Computer zu entwerfen und direkt „auszudrucken“, das heißt einzeln und passgenau für die jeweilige Anwendung zu fertigen. Bei der Technik des „maschinellen Lernens“ handelt es sich um Computerprogramme, die in der Lage sind, aus Beispielen zu lernen und Gesetzmäßigkeiten in Datensätzen zu erkennen. Systeme wie das aus der Werbung bekannte „Watson“ von IBM können auf dieser Grundlage zum Beispiel medizinische Diagnosen aus Patientendaten ableiten.

Während der 3D-Druck unter anderem Einsparmöglichkeiten in der Logistik bietet, wenn Industrieteile in Zukunft per E-Mail verschickt werden können, drohen die intelligenten Computersysteme diejenigen Bürotätigkeiten zu verdrängen, die in irgendeiner Weise „routinemäßig“ ablaufen: Warum sollten große Anwaltskanzleien noch Fachkräfte für die Durchsicht umfangreicher Vertragswerke beschäftigen, wenn Computer dieselbe Arbeit ohne „menschliche Fehlerquote“ verrichten können? Warum sollten IT-Firmen noch menschliche Programmierer für Aufgaben einstellen, die Computer sich in Zukunft selbst beibringen können?

Die technische Entwicklung wirft also erhebliche gesellschaftliche und politische Fragen auf: Wovon sollen Beschäftigte in Zukunft leben, deren Jobs durch Roboter und Computer ersetzt werden? Soll die technische Entwicklung verlangsamt oder aufgehalten werden?

Zu dieser Debatte rund um die „Industrie 4.0“ ist zweierlei zu sagen:

Erstens ist die Erscheinung, dass technische Neuerungen Arbeitsplätze bedrohen, bei weitem nichts Neues, sondern zumindest in Deutschland für ArbeiterInnen in der Fertigung seit Jahrzehnten Realität. In der Autoindustrie gab es bereits in den achtziger Jahren die ersten sprichwörtlichen „menschenleeren Fabrikhallen“. Diese Entwicklung wird durch die „Industrie 4.0“ weitergeführt und verschärft. Besonders dramatische Folgen wird dies in Ländern wie Indien oder China nach sich ziehen, wo die Automatisierung bislang noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Europa und den USA. Relativ neu ist heute jedoch die Erscheinung, dass auch die klassischen „Weißkragenjobs“ der Angestellten weltweit massenhaft durch Maschinen ersetzt werden können.

Diese technische Möglichkeit ist zweitens aber wahrscheinlich überhaupt nicht das Problem! Es könnte im Prinzip etwas sehr Gutes sein, wenn Maschinen den Menschen die schweren, gesundheitsschädlichen oder langweiligen Tätigkeiten abnehmen. Die Arbeits- und Lebensqualität könnte dadurch für alle Arbeiterinnen und Arbeiter steigen – und das auch noch umweltfreundlicher und bei besseren Ergebnissen, z.B. in einer medizinischen Versorgung, die sich auf moderne Informationsverarbeitung stützt. Auf der Grundlage einer hochmodernen Technik könnte man die Arbeitszeit für alle verkürzen und es entstünde für jeden der Freiraum, sich weiterzubilden, sich aktiv um politische Belange zu kümmern, sich künstlerisch und wissenschaftlich zu betätigen. Wenn ein Roboter meinen Job schneller und besser erledigen könnte als ich, welche gesellschaftliche Kraft könnte dadurch freigesetzt werden, mag man sich fragen.

Zum Problem wird die technische Entwicklung für die Arbeiterinnen und Arbeiter nur deshalb, weil die Maschinen nicht der Gesellschaft gehören, sondern einigen wenigen Kapitalisten, die sie dafür benutzen, Profit zu erwirtschaften. Ein kapitalistischer Industriebetrieb kann seinen Profit steigern, wenn er ArbeiterInnen durch Maschinen ersetzt. Das weiß heute fast jedes Kind. Und genau dieses Prinzip hat die Entwicklung der Arbeitswelt in den letzten hundert Jahren bestimmt. Das Privateigentum an den Robotern, Computern und allen anderen Produktionsmitteln ist also der Grund dafür, wenn diese das Leben der arbeitenden Bevölkerung verschlechtern, anstatt es zu verbessern.

Die Perspektive für ArbeiterInnen und Angestellte liegt also nicht darin, die technische Entwicklung zu fürchten oder aufhalten zu wollen, sondern den Kapitalisten die moderne Technik wegzunehmen und in gesellschaftliches Eigentum zu verwandeln. Auf dieser Grundlage könnten sie eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufbauen, welche die oben genannten, technisch schon lange gegebenen Möglichkeiten der selbst bestimmten Lebensgestaltung Wirklichkeit werden ließe.

Thomas Stark
Thomas Stark
Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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