`
Freitag, April 26, 2024
More

    Servus Seehofer

    Teilen

    Über den anstehenden Abgang eines „Spitzenpolitikers“  – oder zumindest einem, der es auf die Spitze getrieben hat. – Ein Kommentar von Tabea Karlo

    Horst Seehofer hat angekündigt, nach dieser Legislaturperiode nicht mehr bei Wahlen anzutreten, nach rund 50 Jahren Politik soll es nun eigenen Aussagen nach auch „mal reichen“. Wie viel oder wie wenig sich dadurch verändern wird, ist denke ich eine Frage, die man danach besser beantworten kann.

    Eines kann ich euch aber verraten: ich finde nicht, dass es erst nach 50 Jahren reicht, für mich hätte es vor 50 Jahren schon gereicht. Deshalb hab ich mich entschieden, das Ende seiner politischen Karriere zu würdigen, indem ich ein kleines, aber feines Abbild von dem zeichne, was Horst Seehofer in den 50 Jahren seiner politischen Laufbahn und generell in den knapp 70 Jahren, seit er in Ingolstadt das Licht der Welt erblickte, so vollbracht hat.

    Dafür hab ich mir ein ganz cleveres System überlegt: einen besonders einschlagenden Punkt seiner Karriere pro angebrochenen Jahrzehnt in der Politik, also insgesamt fünf Mal Horst Seehofer in all seinem Glanz, und das auch noch in chronologischer Reihenfolge.

    Dabei werden ich versuchen, Seehofers Asylpolitik weitergehend außen vor zu lassen, nicht, weil ich die nicht auch total schlimm fände, eher, weil die Leute zu sehr darauf fokussiert sind anstatt zu sehen, dass ihm die Kompetenz in anderen Themen eben auch gefehlt hat.

    1987- Seehofers „Kampf gegen Aids“

    In diesem Jahr brachte der damalige Bundestagsabgeordnete der CSU Peter Gauweiler einen in der Geschichte einmaligen Maßnahmenkatalog gegen Aids vor. Unter anderem waren darin vorgesehen: Zwangstests für Prostituierte und solche, die er „Fixer“ nannte, die zur Not durch die Polizei erzwungen werden sollten.

    Hinzukommend sollten sich auch künftige Beamte testen lassen und – wie man es von der guten, alten CSU nicht anders kennt: Ausländer, die eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten wollten und Menschen, die bei „Anbahnunsgesprächen“ mit Homosexuellen beobachtet wurden.

    Dem damalige Jungspund Horst Seehofer war es aber noch nicht genug, den fragwürdigen Gesetzesentwurf zu unterstützen, er forderte zusätzlich, „Infizierte in speziellen Heimen zu konzentrieren“. Gauweilers Gesetz jedenfalls wurde als allgemein unangemessen angesehen und in der Abstimmung darüber von allen anderen Bundesländern abgelehnt. Damit blieben Seehofers Vorschläge zu „Aids-Heimen“ zum Glück nur Vorhaben.

    2013 – Seehofer völlig durch den Wind

    „Ich bin nicht bereit, als bayerischer Ministerpräsident in die Geschichte einzugehen, der für die Landschaftszerstörung unserer schönen Heimat verantwortlich war.“ So äußerte sich Horst Seehofer, nachdem er sich mit den VertreterInnen unterfränkischer Bürgerinitiativen gegen Windkraft getroffen hatte. Diese befürchteten eine „Verspargelung der Landschaft“.

    Ich will jetzt Niemanden für dumm verkaufen, aber ist damals nicht aufgefallen, was für ein Widerspruch es ist, sich für wunderschöne Landschaften, aber gegen Energien, die diese schützen sollen, auszusprechen? Einige wird es eventuell überraschen, aber für Braunkohleförderung werden ganze Urwälder abgeholzt und riesige Löcher in den Boden gegraben.

    Im Juli 2010 übrigens hatte Seehofer die unbegrenzte Laufzeitverlängerung für die damals 17 deutschen Kernkraftwerke gefordert. Inwiefern die die Landschaft verschönern bleibt, mir ein Rätsel. Mir persönlich ist eine „Verspargelung“ der Landschaft allerdings auch herzlich egal, wenn dafür eine Atomsphäre erhalten bleibt, in der Spargel überhaupt wachsen kann.

    2018 – „Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“

    Nach diesen Worten schob Seehofer zwar schnell ein „Die bei uns lebenden Muslime gehören selbstverständlich zu Deutschland.“ nach. Es bleibt jedoch offen, wie sich jemand vollständig aufgenommen in einem Land fühlen soll, dass die eigene Religion nicht als Teil eben dieses Landes sieht. In dieser Zeit wurden auch Kritiken ans Bundeskabinett laut, weil diesem kein/e Deutsche/r mit Migrationshintergrund angehöre. Darauf Seehofer: „Muss ich Arzt sein, um Gesundheitsminister werden zu können?“

    Eine Aussage, die ziemlich offen darlegt, wie wenig Interesse er tatsächlich an der Gleichberechtigung von MigrantInnen hat oder wie wenig Ahnung davon, wie viel in unserem Gesundheitswesen falsch läuft, weshalb es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn sich GesundheitsministerInnen mal zumindest mit Ärzten und Pflegekräften unterhalten würden.

    Eine andere Frage ist natürlich, wie man darauf kommt, dass das Christentum – eine Religion, die in ihrer Entstehungsgeschichte nicht weniger mit Deutschland zu tun haben könnte – so viel deutscher sein soll oder warum das besser wäre.

    2019 – Seehofer und sein 30-jähriges Netzmobileum

    Vor einigen Jahren verkündete Angela Merkel, das Internet sei für uns alle Neuland. Das mochte die junge Generation vielleicht merkwürdig finden, weil sie damit aufgewachsen ist und es so eher nicht als neu empfand, aber sie verstand zumindest, woher dieser Gedanke kam.

    Als Seehofer daran anschloss, indem er auf einer Bundespressekonferenz über digitale Kompetenz und Datensicherung sagte, er sei „schon seit den 80ern im Internet unterwegs“, traf das auf weit weniger Verständnis. Nicht weil man es dem sonst so hippen, trendigen Mann nicht zutrauen würde, sondern weil es das Internet halt erst seit dem Jahr 1989 in Deutschland gibt. Und dann gab es das eben auch nur in Universitäten. Meinetwegen kann Seehofer sich für jung geblieben halten, aber mit 40 war er schon raus aus der Uni.

    Zeitlich ungebunden – Seehofers Sexismus

    Hier könnte ich einige Ereignisse nennen, bei denen die LeserInnen sagen würden “Aaah okay, stimmt!”, ich nenne mal zwei. Das eine Mal, als Horst Seehofer behauptete, er „lasse [s]ich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen ihm Kanzlerin ist.“  Oder das andere Mal, als er mehr Staatssekretäre hatte als jede/r andere und es trotzdem nur Männer waren.

    Alles in allem wäre es wohl unfair zu behaupten, Seehofer allein wäre das Problem. Wenn man tiefer gehen wollte, müsste man erst die CSU kritisieren, dann die CDU als Schwesterpartei, die GroKo,  das Parlament und schließlich den Kapitalismus, aber so weit kommen wir heute nicht. Deshalb können wir beruhigt damit abschließen zu wissen: Seehofer ist jetzt zwar weg, aber an seine Stelle wird ganz schnell ein neuer alter Mann rücken, der nichts von den Belangen der jungen Generation oder von Frauen und LGBTQ-Menschen versteht.

     

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News