Seit Beginn der Pandemie findet die Lehre an vielen Universitäten ausschließlich online statt – so auch an der Universität Wuppertal. In den vergangenen Monaten haben wir immer wieder über die Aktivitäten der Student:innen dieser Uni, v.a. zum Thema „Kamerapflicht“, berichtet. – Hier ein Interview über einen besonderen Erfolg, aber auch über bestehende Herausforderungen mit Pet vom Studierendenkollektiv Wuppertal.
Viele Studierenden kennen die Problematik der „Kamerapflicht“ bereits aus ihrem eigenen Universitätsalltag. Vielleicht kannst du sie trotzdem noch einmal kurz zusammenfassen für alle, die damit nicht so viel konfrontiert sind?
Seit Beginn der Pandemie sind die meisten Universitäten fast komplett auf digitale Lehre umgestellt. Angesichts der Pandemie ist dieses Vorgehen an sich zu unterstützen, wir mussten allerdings immer wieder feststellen, dass viele Lehrende und vor allem die Leitungen der Universitäten an sich nicht genug tun, um die Lehre an die Bedingungen anzupassen.
Ein riesiges Problem ist dabei, dass Studierende oft durch ihre Lehrenden zur Nutzung der Kamera gedrängt werden, um eine vermeintlich „normale“ Unterrichtsatmosphäre zu schaffen. Für die meisten Student:innen führt dieser Zwang allerdings überhaupt nicht dazu, dass sie sich wohler oder „normaler“ fühlen. Viele möchten nicht, dass Autoritätspersonen wie Professor:innen in ihre privaten Schlafräume blicken können – den Luxus eines gesonderten Arbeits- oder Wohnzimmers haben heute nur sehr wenige.
Filter, die den Hintergrund kaschieren, funktionieren in vielen Fällen nicht. Abgesehen davon lösen sie die Problematik nicht, dass die meisten Studierenden nicht allein wohnen – auch Familienmitglieder und Mitbewohner:innen fühlen sich durch das ständige Filmen gestört. Einer der wichtigsten Punkte ist jedoch, dass Studierenden oft nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, sich eine neue Webcam zu kaufen oder ihre alte zu reparieren. Sie werden dann von Lehrenden aus den Vorlesungen entfernt und verpassen wichtigen Lehrstoff.
Vor kurzem habt ihr Online von einem „großen Erfolg“ zum Thema Kamerapflicht berichtet. Willst du vielleicht einmal erzählen, was ihr erreicht habt und wie es zu diesem Erfolg gekommen ist?
In den letzten Monaten haben wir unermüdlich zu dem Thema gearbeitet. Zu Beginn haben wir vor allem E-Mails stellvertretend für Studierende geschrieben, die sich selbst nicht getraut haben, mit ihren Lehrenden über die Situation zu besprechen bzw. sich zu beschweren. Das hat häufig dazu geführt, dass Professor:innen danach von einer „Kamerapflicht“ in ihren Seminaren abgesehen haben.
Doch schon die Anzahl der Studierenden, die sich bei uns gemeldet haben, hat gezeigt, dass man mehr tun muss. Daraufhin haben wir ausführliche Texte veröffentlicht, in denen wir Studis über ihre Rechte aufklären, betroffene Student:innen interviewten und ihre Zitate veröffentlicht haben. Wir haben Diskussionsabende veranstaltet, andere Uni-Gruppen informiert, E-Mails an Dekane, den Rektor und die Qualitätssicherung (QSL) geschrieben und uns an die Presse gewandt.
Monatelang hatte die Universitätsleitung dieses Bemühen ignoriert und von sich aus nichts gegen die Problematik getan. Doch irgendwann kam der Zeitpunkt, zu dem wir so viel dazu gearbeitet hatten, dass man uns schlichtweg nicht mehr ignorieren konnte. Daraufhin wurden wir zu einem Gespräch eingeladen mit dem Prorektor für Studium und Lehre, dem AStA, der QSL, dem Fachschaftsratsvorsitzenden und der GEW. Dort haben wir lange über das Thema diskutiert.
Im Endeffekt haben wir jetzt gemeinsam mit dem AStA ein Diskussionspapier erarbeitet, dass der Prorektor für Studium und Lehre nun mit den Dekanen der verschiedenen Fakultäten durchgehen wird. Diese werden dann mit ihren Student:innen erneut über die „Kamerapflicht“ diskutieren. Wir sehen das als großen Erfolg, der zeigt, dass unsere monatelangen Bemühungen Früchte getragen haben. In den letzten Monaten ist nie wirklich mit Dozierenden über die Probleme der erzwungenen Kameranutzung gesprochen worden – das wird jetzt nachgeholt.
#GegenKamerapflicht: Studierende der Uni Wuppertal wehren sich gegen die Kamerapflicht
Nach dem ihr so erfolgreich wart, ist das Thema für euch jetzt abgeschlossen?
Auf keinen Fall! Monatelang hat sich nichts zu diesem und zu anderen Problemen der Onlinel-Lehre getan. Wir können jetzt nicht darauf vertrauen, dass ein Diskussionspapier alles verändern wird. Wenn sich nach den Gesprächen mit den Dekanen nichts ändert, dann wird die Leitung der Universität wieder von uns hören, so lange, bis sich grundlegend etwas ändert.
Darüber hinaus arbeiten wir natürlich weiter daran, die Studierenden über ihre Rechte zu informieren, mit ihnen über die digitale Lehre zu sprechen und vor allem daran, sie zu animieren, sich mit uns gemeinsam dafür stark zu machen.
Gerade hast du noch von anderen Probleme gesprochen. Welche gibt es da zum Beispiel?
Mit der digitalen Lehre gibt es leider einige Probleme, zum Beispiel, dass die Art zu Lehren zu gering an die digitalen Möglichkeiten angepasst wurde. Viele Dozierende verwenden die gleichen Arbeitsblätter wie die letzten Jahre, einige schreiben sogar noch an die Tafel und filmen das notdürftig mit dem Handy ab. Dieses Problem kennen wir vor allem aus den naturwissenschaftlichen Fächern.
Ein weiteres Problem ist die Verfügbarkeit von technischem Equipment. Unsere Uni hat erst vor sehr kurzer Zeit neue Laptops angeschafft, um diese an Studierende zu verleihen, die sich kein eigenes Gerät leisten können. Dieser Schritt wäre vor fast einem Jahr notwendig gewesen. In dieser Zeit sind viele Studis auf der Strecke geblieben.
Mit das größte Problem sind die Präsenz-Klausuren. An der Universität Wuppertal werden in dieser Klausur-Phase 40.000 Klausuren geschrieben, davon circa 30.000 in Präsenz. Das ist unverantwortlich, und viele Studis finden das berechtigterweise absurd. In ihrer Freizeit schränken sie sich ein, treffen fast niemanden und dann verlangt die Uni, dass man bis nach Solingen fährt für eine Klausur oder mit bis zu 200 Personen in einem Raum schreibt.
Das Tragen medizinischer statt normaler Masken ist zwar erwünscht, aber es ist weder verpflichtend, noch werden diese Masken durch die Uni zur Verfügung gestellt. Trotz der Pandemie und einer Petition mit fast 2.700 Unterschriften beharrt die Universität auf den Präsenz-Klausuren und gefährdet damit aktiv die Gesundheit von Studierenden und der restlichen Bevölkerung.
Habt ihr schon Ideen, was man dagegen tun kann?
Wir haben nicht nur Ideen, sondern sind bereits aktiv: In den letzten Wochen haben wir ein breites Bündnis unter dem Motto „Bündnis für gute Onlinelehre“ gegründet. Mittlerweile haben wir ein Positionspapier mit Forderungen und Lösungsvorschlägen erarbeitet, das heute Abend veröffentlicht wird. Außerdem planen wir in Zukunft, noch mehr Studierende mit einzubeziehen, die Lust haben, sich aktiv für eine Verbesserung der Umstände an der Uni einzusetzen.