Bereits vor rund einem Monat trat die neue Fassung des Paragraphen zur Volksverhetzung in Kraft. In einem sogenannten „Omnibusverfahren“ wurde so die Möglichkeit, Anti-Kriegs-Proteste zu kriminalisieren, weiter ausgebaut. Jetzt soll der „Holodomor“ als Völkermord anerkannt werden. – Ein Kommentar von Fridolin Tschernig.
Am 20.10. verabschiedete der Bundestag eine Verschärfung des Paragraphen 130 des Strafgesetzbuchs zur Volksverhetzung. Am Folgetag trat die Gesetzesänderung – ohne weiteres mediales Aufsehen – in Kraft. Nach einer Rüge durch die EU, die meint, Lücken im Gesetzestext bezüglich „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ entdeckt zu haben, wurde das Gesetz in einem Eilverfahren verschärft.
Das sogenannte „Omnibusverfahren“ der Gesetzgebung in Deutschland ist eine Art Eilverfahren, bei dem in einem einzigen Änderungsantrag gleich mehrere Gesetzesänderungen untergebracht werden. Das spare Zeit und Aufwand. Als Nebeneffekt wird so eine Gesetzesänderung gewissermaßen hinter einer anderen „versteckt“.
So auch die Änderung zum Paragraphen 130 des StGbB – sie wurde einfach an Anträge zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes, des Sozialgesetzbuchs und der Gewerbeordnung angehängt.
Die Änderung des Paragraphen zur Volksverhetzung umfasst – neben einer Verlängerung der Haftstrafe für das Leugnen des Holocausts – einen neu hinzugefügten Absatz. Dieser stellt nun auch die „Billigung, Leugnung oder gröbliche Verharmlosung“ insbesondere von internationalen „Völkermorden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Völkerstrafgesetzbuch, Paragraphen 6 bis 12) „öffentlich oder in einer Versammlung“ unter Strafe. Dabei sind bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe angedacht. Die Änderung übersteigt sogar die Anforderungen der von der EU erteilten Rüge.
Bezug zum Ukraine-Krieg
Diese Verschärfung wird vor allem bei Äußerungen zum Ukraine-Krieg wichtig werden, meint die Juristin Josephine Ballon. Gerade im Zusammenspiel mit einer, jüngst diese Woche durch die Grünen initiierten Aufforderung an die Bundesregierung zur Anerkennung des „Holodomors“, also der Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1932/33 als Völkermord, könnte so der legale Rahmen für Anti-Kriegs-Proteste deutlich verkleinert werden.
Schon jetzt ist ersichtlich, wie immer wieder auch erklärte Gegner:innen des russischen Einmarschs in der Ukraine als „Putin-nah“ bezeichnet werden, sobald sie Kritik an der NATO-Politik oder Waffenlieferungen an die Ukraine äußern.
Mit der Anerkennung des Holodomors als Völkermord geht gleichzeitig eine ideologische Gleichstellung der Kollektivierungen in der Landwirtschaft der UdSSR und der imperialistischen Aggression des kapitalistischen heutigen Russlands einher.
So sieht der Grünen-Abgeordnete Robin Wagener, der Vorsitzender der fraktionsübergreifenden ukrainisch-deutschen Parlamentarier-Gruppe des Bundestags ist, eine direkte Verbindung von Stalin und Putin: Putin stehe in der grausamen und verbrecherischen Tradition Stalins.
Der langjährige Revolutionär und Parteivorsitzende der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Joseph Stalin wird in der bürgerlichen westeuropäischen Geschichtsschreibung nicht selten als alleinherrschendes und blutrünstiges Monster dargestellt – so wird ihm auch unterstellt, die Nahrungsknappheit und Hungersnot in weiten Teilen der jungen Sowjetunion in den 1930er Jahren bewusst herbeigeführt zu haben.
Bereits rund um den diesjährigen Tag der Befreiung wurden die Heldentaten der Roten Armee bei der Befreiung Europas vom Hitler-Faschismus geleugnet und historische Tatsachen bewusst so verdreht, dass Russland historisch als Hort des Faschismus und der Aggression erscheint.
Kampf gegen Geschichtsfälschung und Rehabilitierung des Faschismus!
Dieser, im Herzen anti-kommunistischen, bürgerlichen Kampagne, wird nun ein weiteres Instrument durch die Gleichsetzung der imperialistischer Aggression Putins und der sozialistischen Kollektivierungspraxis der UdSSR hinzugefügt. Das Ziel ist klar: In Deutschland soll, gerade in Zeiten weiterer, sich anbahnender inter-imperialistischer Kriege Ordnung und Ruhe herrschen. Gerade kommunistische und klassenkämpferische Stimmen sollen mit allen Mitteln ideologisch und zur Not auch strafrechtlich unterdrückt werden.
So lassen insbesondere die explizite Einschließung von Versammlungen in den Anwendungsbereich des neuen Gesetzes §130 StGB sowie die Hoheit der Behörden darüber, was letztendlich als Kriegsverbrechen oder Völkermord anerkannt wird, aufhorchen.
Während also von der Regierung immer wieder faschistische Russland-nahe Positionen als Referenzpunkt für die Anwendung des Gesetzes angegeben werden, muss ebenso damit gerechnet werden, dass das Gesetz auch gegen klassenkämpferische Organisationen zum Einsatz kommen wird.