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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Rückgabe von kolonialen Raubgütern – Image-Wechsel oder ehrliche Aufarbeitung?

Deutsche Museen sind immer häufiger bereit, Raubgüter aus deutschen Kolonien zurückzugeben, wie z.B. die Ahnenköpfe der Maori oder die Benin-Bronzen. Diese Rückgabe ist zwar wichtig, aber ein „Ende der Kolonialzeit“ wird damit längst nicht eingeläutet. – Ein Kommentar von Fridolin Tschernig

Nach langen Jahren des Wartens war es am Freitag endlich so weit: In Mannheim übergab das Reiss-Engelhorn-Museum drei mumifizierte und später geraubte Maori-Köpfe an die neuseeländischen Ureinwohner. Diese sterblichen Überreste besitzen eine besondere spirituelle Bedeutung in Ritualen zum Gedenken an die indigenen Vorfahren.

Solches Raubgut fand oft über die britische Besatzung Neuseelands oder die deutsche Besatzung von Papua-Neuguinea seinen Weg nach Europa. Die ehemaligen Ausstellungsstücke aus Mannheim kamen wahrscheinlich Ende des 18. Jahrhunderts oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus Neuseeland nach Europa.

So auch andere Maori-Köpfe, die noch in Stuttgart, Göttingen oder Hildesheim auf ihre Übergabe warten. Insgesamt wird geschätzt, dass allein aus Papua-Neuguinea über 65.000 geraubte Gegenstände in Berliner Sammlungen stehen. Dabei steht der „Erwerb“ nachweislich oft im Zusammenhang mit Massakern, brutalster Unterdrückung und erbarmungsloser Ausbeutung.

Rückgabe der Güter

In den letzten Jahren gab es eine handvoll Rückgaben kolonialer Raubgüter, auch „Restitutionen“ genannt. Bekannt wurden zum Beispiel die Bitte Nigerias, die Benin-Bronzen zurück zu erhalten, außerdem die Rückgabe von persönlichem Besitz des Stammeshäuptlings Hendrik Witbooi an Namibia oder eben jetzt die Rückgabe der Maori-Köpfe an die Maori.

Diese Rückgabeprozesse dauern oftmals Jahre oder Jahrzehnte, bis die deutschen Museen einwilligen. Fünf Jahre allein hat die Einwilligung zur Rückgabe der Bibel und Peitsche von Witbooi gedauert. Andere Ersuche – wie z.B. die Rückgabe der Nofretete- Büste an Ägypten oder das Ischtar-Tor an den Irak – erhielten nie eine Einwilligung. Dafür sorgten der deutsche Staat und die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, die hinter den Berliner Museen stehen, bislang mit Erfolg.

Eine Versöhnung mit der eigenen verbrecherischen Vergangenheit?

„Ein bedeutendes Signal und wichtiger Schritt im Prozess der Versöhnung“, so nannte der grüne Ministerpräsident Baden- Württembergs, Winfried Kretschmann, 2019 den Vorgang einer Restitution. Es klingt ganz so, als ob nun „der Prozess der Versöhnung“ auf die alte und längst vergangene Kolonialzeit folgen würde. Auch im Geschichtsunterricht der Schulen wird immer noch diese Auffassung vermittelt. Es müsse uns jetzt darum gehen, diese Geschichte endlich wirklich aufzuarbeiten.

Das grundsätzliche Problem hinter diesem Märchen einer „schon längst vergangenen“ Kolonialzeit und der jetzt erfolgenden Aufarbeitung ist die Darstellung, als ob der Kolonialismus aufgehört habe, zu existieren, und dass wir ihn durch moralische Überlegungen oder Richtigstellungen überwunden hätten.

Die ehemaligen deutschen Kolonien, wie in Namibia, Papua-Neuginuea, Tanzania, Ghana, Tschad, Ruanda und vielen weiteren Regionen auf der Welt, sind noch heute nur formal unabhängig. Denn diese Länder stecken bis zum Hals und darüber hinaus in Schulden. Ihre Gläubiger: Der Internationale Währungsfond (IWF), die Weltbank und damit mächtige imperialistische Staaten, wie eben auch Deutschland.

Wie Kredite die Welt regieren

Offiziell befreiten sich diese Kolonien alle schon im letzten Jahrhundert – entweder durch gewaltvolle Befreiungskämpfe oder vorgeblich „freiwilligen“ Rückzug der Besatzungsmächte. Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Belgien, die Niederlande und weitere unterließen es an einigen Orten also fortan, Kolonialgouverneure zu stellen oder sich mit direkter militärischer Präsenz die Bevölkerung gefügig zu machen.

Allerdings verloren sie nur in sehr wenigen dieser Ex-Kolonien ihren Einfluss und ihre Macht. Sie begannen, von der offenen Unterdrückung zur versteckteren finanziellen und materiellen Abhängigkeit überzugehen: Ghana zum Beispiel ist mit knapp 50% seines Bruttonationaleinkommens (BNE), also mit circa 37 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet. Deutsche Banken halten hier den größten direkten Kreditanteil und können durch ihre Kreditbedingungen gute Produktionsbedingungen für deutsche Unternehmen sichern.

Ein weiteres Beispiel ist Namibia. Das Land ist mit 60% seines BNEs, also circa 6,5 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet. Auch hier hält Deutschland einen bedeutenden Kreditanteil, direkt nach China. Und auch hier können deutsche Unternehmen, zuvorderst im Energiesektor, große Profite heraus schlagen.

Image-Wechsel Deutschlands

Die Dominanz der imperialistischen Staaten hat seit der offenen Kolonialzeit also nicht abgenommen, nur der Charakter der Unterdrückung hat sich verändert. Die Kolonien wurden zu sogenannten „Neokolonien“. Diese werden anstatt mit direkter militärischer Gewalt hauptsächlich durch finanzielle Abhängigkeit gefügig gemacht. Und noch existieren auch weiterhin Kolonien, wie die deutsch-westeuropäische Kolonie Bosnien-Herzogowina.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Rückgaben von Kulturgütern an die Regionen und Länder, aus denen sie geraubt wurden, im ersten Augenblick als ein gewisser Fortschritt, aber im Rahmen des weltweiten Kapitalismus bleiben sie nichts anderes als ein geschickter PR-Schachzug der imperialistischen Staaten – ein nicht allzu mühevolles „Aufarbeiten“ der kolonialen „Vergangenheit“ ganz im Interesse des imperialistischen Image-Wechsels: von offener zu verdeckter Unterdrückung, von Kolonie zu Neokolonie.

 

Fridolin Tschernig
Fridolin Tschernig
Seit 2022 Autor bei Perspektive. Schreibt als Studierender aus Sachsen insbesondere internationalistisch über die Jugend, Antimilitarismus und das tagespolitische Geschehen. Vorliebe für Gesellschaftsspiele aller Art.

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