AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel wurde am 10. September 2023 zum finalen ARD-Sommerinterview eingeladen. Drei Minuten nach Beginn des Interviews bezeichnete Weidel das Kriegsende von 1945 als „Niederlage des eigenen Landes“, die sie nicht feiern wolle. Trotz dieser rechtspopulistischen Aussage führte Interviewer Martin Deiß das Interview unkommentiert fort. – Ein Kommentar von Olga Goldman.
Zum Start der parlamentarischen Sommerpause nutzten der Bundeskanzler und die Parteivorsitzenden von Parlamentsparteien das ARD-Sommerinterview, unter der Moderation von Tina Hassel und ihrem Co-Moderator Matthias Deiß, als politische Werbeplattform. Besondere Aufmerksamkeit erzielte AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel mit Beiträgen, die teils provozierten, teils schlicht den NS-Faschismus in ein positives Licht rückten.
Auf Nachfrage, warum Weidel nicht wie ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla im Mai beim Empfang der russischen Botschaft in Berlin war, als dort der Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland gefeiert wurde, sagte Weidel:
„Ich habe natürlich für mich entschieden – das ist eine persönliche Entscheidung gewesen –, aus politischen Gründen daran nicht teilzunehmen. Also hier die Niederlage des eigenen Landes zu befeiern mit einer ehemaligen Besatzungsmacht, das ist etwas, wo ich für mich persönlich entschieden habe – auch mit der Fluchtgeschichte meines Vaters – daran nicht teilzunehmen.“
Weidel deutet die Geschichte im Sinne des deutschen Faschismus um, indem sie den 8. Mai 1945, den „Tag der Befreiung“, zur „Niederlage“ erklärt. Zudem bezeichnet sie den Auftritt Chrupallas als unpatriotisch und nutzt die Opfer-Narrative auf persönlicher und nationaler Ebene. Weidel führt damit denselben Ton fort, der ihre Reden für die Landtagswahl prägt, nicht zuletzt auf dem politischen Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg.
Kritik erst im Nachgang
Weidels Kommentar wurde im Anschluss stark von verschiedenen Parteiabgeordneten kritisiert. Sowohl Lisa Paus (Grüne), als auch Linken-Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl und Hennefer SPD-Bürgermeister Mario Dahm verurteilten den Ausspruch Weidels auf X (vormals Twitter).
Diskutiert wird auf moralischer Ebene über die Entscheidung Faschist:innen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die große Bühne zu bieten. Diskutiert wird über die Unausweichlichkeit eines ARD-Sommerinterviews mit der AfD, denn man könne sie nicht ausschließen, wenn man alle anderen Parteien einlädt. Diskutiert wird nicht über das völlig falsche Toleranzverständnis der ARD unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung.
Bühne für die Diskursverschiebung
Die Frage ist nicht: Wie konnte Weidel so etwas nur sagen? Die Frage ist viel mehr: Wieso lädt man die AfD zum Sommerinterview ein, ohne klares Konzept, was bei solch NS-verherrlichenden Aussagen, die bei der AfD auf der Tagesordnung stehen, geschehen muss. Es darf nicht sein, dass Interviewer Matthias Deiß hier keine Position bezieht, man sich mit einem süffisanten Gesichtsausdruck der reinsten Überheblichkeit zurücklehnt und darauf verlässt, dass die Zuschauer das Gehörte selbst einordnen. Es stellt sich die Frage, warum das Interview nicht schon in der dritten Minute aufgrund eines Verstoßes gegen die für alle Sprecher:innen im öffentlichen Raum geltenden Bedingungen unterbrochen wurde? Denn es folgten noch weitere rassistische und queer-feindliche Inhalte.
Vielmehr schien es der ARD ausreichend, die AfD lächerlich zu machen und mit der Partei und ihrer Fraktionsvorsitzenden abzurechnen, statt dem Nazi-Jargon sofort und wirksam etwas entgegenzusetzen: den Verlust einer Bühne. Aller Aufschrei nach der Tat ist wirkungslos gegen die augenblickliche Diskursverschiebung, die Normalisierung von Nazi-Ideologie, werden solche Aussagen zugelassen. Das Gedankengut der AfD sollten nicht als Kontroverse gesehen werden, gegen die es sich für den eigenen Erfolg abzugrenzen lohnt. Denn das bedeutet am Ende nur eins: mehr Werbung für die AfD.
Die AfD als Witzfiguren abzustempeln, funktioniert nicht. Das haben wir bereits an den AfD-Wahlerfolgen und Umfragehochs der letzten Monate gesehen. Wieso lernt man nicht aus Fehlern? Hofft man, ein:e AfD-Wähler:in sei durch Betrachten dieses Interviews umgestimmt worden, schwelgt man in Illusionen. Jede weitere Bühne, die man der AfD bietet, egal wie „kritisch“ sie sich gibt, bleibt eine Bühne und muss mit äußerster Vorsicht und absoluter Härte bemannt werden. Ist man dem nicht gewachsen, braucht man hinterher nicht überrascht dreinzuschauen.