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Samstag, April 27, 2024
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    Annexion der DDR: Konsequenzen für die Arbeiter:innen bis heute

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    Ein aktueller Artikel des “ifo Instituts” für Wirtschaftsforschung untersucht das Lohngefälle zwischen Ost- und Westdeutschland. Demnach macht die Struktur der Wirtschaft im Osten mehr als 2/3 des Lohnunterschieds aus. Aber die schwache Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands kommt nicht von ungefähr: sie wurde im Laufe der Annexion der DDR ab 1990 bewusst umgebaut. – Ein Kommentar von Fridolin Tschernig

    Das ifo Institut aus Dresden veröffentlicht regelmäßig Aufsätze, Studien und Forschungsergebnisse über die wirtschaftlichen Besonderheiten Ostdeutschlands. Der Artikel vom 5. August dieses Jahres von Jannik Nauerth und Johan Pflanz aus der neusten Zeitschrift des Instituts beschäftigt sich ganz grundsätzlich mit der Frage, welche Lohnunterschiede durch die Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands bedingt sind – und welche nicht.

    In dem Aufsatz werden zuerst die wirtschaftlichen Kennzahlen definiert. Herangezogen werden hier die Arbeitslosenquote, der Industrieanteil, der Anteil an Großunternehmen, Wiedervermietungsmieten, Ländlichkeit, Frauenerwerbsquote und der Demografie-Indikator.

    Diese Faktoren werden dann mit den Verhältnissen in den Bundesländern verglichen, die ehemals zur BRD gehörten (Westdeutschland). Dabei kommt heraus, dass es heute in den Bundesländern der ehemaligen DDR (Ostdeutschland) mehr Arbeitslose, weniger Industrie, einen kleineren Anteil an deutschen Großunternehmen, mehr ländlich geprägte Regionen, eine höhere Frauenerwerbsquote und weniger jüngere im Vergleich zu älteren Arbeiter:innen gibt.

    Hierbei ist das lokale Preisniveau zu beachten, das in Ostdeutschland niedriger ist als in Westdeutschland. Das bedeutet, dass die Arbeiter:innen dort für weniger Geld mehr kaufen können, das Geld also höhere Kaufkraft besitzt. Allerdings wissen auch die kapitalistischen Chef:innen in ostdeutschen Unternehmen darum und zahlen den Arbeiter:innen daher weniger Lohn – ein kapitalistischer Teufelskreis.

    Durch eine Vergleichsrechnung des Ostdurchschnitts mit westdeutschen Kommunen arbeiten die Autorinnen die Bedeutung dieser Faktoren für den Lohn einzelner Arbeiter:innen heraus. Das Ergebnis: Ähnlichkeiten zum Ostdurchschnitt existieren zum Beispiel in Bottrop, Mönchengladbach, Cochem-Zell oder Nordfriesland.

    Laut ifo Institut sind mehr als die Hälfte des Lohnunterschieds „auf strukturelle Unterschiede wie den Industrieanteil oder die durchschnittliche Betriebsgröße“ zurückzuführen. Die strukturellen Faktoren sind also bedeutend für das Lohnniveau in Ostdeutschland.

    Woher kommt diese „andere Wirtschaftsstruktur“?

    Es scheint immer realitätsfern, wenn man so abstrakt über „eine andere Wirtschaftsstruktur“ redet. Ganz plastisch bedeutet sie nichts anderes, als dass es in einem großen Teil von Deutschland signifikant weniger Industrie, weniger Arbeitsplätze und mehr Armut gibt.

    Wenn wir uns die angeführten Faktoren anschauen und einen Blick zurück werfen, dann erkennen wir sehr schnell, an welchem Punkt in der Geschichte sich diese Faktoren rapide verändert haben: Anfang der 1990er. Das war die Zeit, in der die Treuhand alles wirtschaftlich Relevante aus der DDR an große BRD-Monopole verscherbelte.

    Am 1. Juli 1993: Der Arbeiterkampf vom Kaliwerk Bischofferode – gegen die „Treuhand“ von BASF und BRD

    Die wirtschaftliche Annexion der DDR

    Die Treuhandgesellschaft, also die Institution, die das gesamte Kapital der DDR abwickelte, also verkaufte, wurde 1990 noch von einer DDR-Regierung mitgegründet. Angeblich zu dem Zweck, dass die Bevölkerung der DDR auch wirklich einen Anteil am Staatseigentum abbekäme. In der Praxis hat sich dann gezeigt, wofür die Treuhand ein wirklich effektives Werkzeug war: Zum Ausverkauf und der wirtschaftlichen Übernahme der DDR.

    Die deutschen Monopole der 80er und 90er Jahre sahen in der Einverleibung der DDR große Chancen für sich selbst: Zum einen ging es ihnen um die Absatzmärkte in der DDR, zum anderen um jene in Osteuropa – dorthin exportierte die DDR nämlich Waren im Wert von circa 30 Milliarden DM pro Jahr.

    Nach der vollendeten Annexion der DDR war der Export deutscher Monopole nach Osteuropa um 26 Milliarden DM gestiegen und derjenige ostdeutscher Unternehmen um 25 Milliarden DM eingebrochen. Deren Absatz haben sich also die westdeutschen Kapitalist:innen praktisch einverleibt.

    Im Interesse der deutschen Kapitalist:innen

    Die Übernahme der gesamten Volkswirtschaft durch die deutschen Monopole verlief auch noch auf anderem Wege: Zum einen kann man sagen, dass die Annexion weitestgehend konkurrenzlos verlief. Nur 15% der ausverkauften Unternehmensanteile gingen nicht an deutsche Monopole. Gerade einmal 6% verblieben in Ostdeutschland.

    Zum anderen war es ein sehr billiges Unterfangen für die Kapitalist:innen, den Osten aufzukaufen. Dafür muss man sich nur die Zahlen des zu verwaltenden Vermögens der Treuhand anschauen: Während sie am Anfang über Kapital in Wert von 600 Milliarden DM waltete, hatte sie im Jahr ihrer Auflösung (1994) ein Minus von insgesamt 256 Milliarden DM.

    Das heißt: faktisch wurde Kapital in Höhe von 850 Milliarden DM fast ausschließlich an die deutschen Monopole verschachert. Dazu kamen noch die Ersparnisse der DDR-Bürger:innen, die sich westdeutsche Versicherungen, Banken etc. aneigneten und ihrem Kapital zuschlugen. Auf den Ausverkauf folgten große Konsequenzen für die Wirtschaft im Osten. Die deutschen Kapitalist:innen entschieden nach eigenem Profit-Kalkül, was verkauft wird.

    Am Ende des Übernahmeprozesses hatten die ostdeutschen Regionen große Teile ihrer Industrie verloren. Ihre Produktion stellte sich zu einem Großteil auf Konsumgüter um, oder die ostdeutschen Unternehmen und die Arbeiter:innen in den Betrieben wurden zum verlängerten Arm gesamtdeutscher Monopole. Die konkreten Konsequenzen davon können wir bis heute beobachten, wie der Beitrag des ifo zeigt.

    Vereinigter Widerstand

    Dieser Prozess der Einverleibung war ein großer imperialistischer Triumph der deutschen Kapitalist:innen. Die Arbeiter:innen in Deutschland im Allgemeinen hatten davon gar nichts und speziell die ehemaligen DDR-Bürger:innen waren verschärften Lebensbedingungen ausgesetzt. Bis heute ziehen sich die Konsequenzen dieses Raubzugs.

    Daher wurden die Feierlichkeiten um den „Tag der deutschen Einheit“, also dem Feiertag des deutschen Imperialismus, auch heute, 30 Jahre später, von klassenkämpferischen Organisationen nicht unbeantwortet gelassen. In Berlin, Magdeburg oder Hamburg fanden beispielsweise Aktionen statt, die auf das Leid, aber auch den Kampf der Arbeiter:innenklasse im Zuge von imperialistischen Raubzügen aufmerksam machten. Das gilt für heute genauso wie für damals.

    Afrika ausplündern im Kampf gegen den russischen Imperialismus?

    • Seit 2022 Autor bei Perspektive. Schreibt als Studierender aus Sachsen insbesondere internationalistisch über die Jugend, Antimilitarismus und das tagespolitische Geschehen. Vorliebe für Gesellschaftsspiele aller Art.

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