Fünf Aktivist:innen standen in Augsburg vor Gericht, weil ihnen vorgeworfen wurde, eine Festnahme auf einer 1. Mai-Demonstration behindert zu haben. Das Gericht verhängte nun Geldstrafen. Die Verteidigung betont hingegen, dass es keine Straftat sei, Mitdemonstrant:innen nicht alleine zu lassen.
Am Mittwoch standen in Augsburg fünf Aktivist:innen vor Gericht. Die Anklage gegen sie lautete “Strafvereitelung” im Rahmen der Demonstration zum „Revolutionären 1. Mai 2022“. Unter ihnen waren zwei Jugendliche, zwei Heranwachsende und eine Erwachsene. Letztendlich wurden die jüngeren Angeklagten wegen “Strafvereitelung” und “Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte” zu insgesamt 128 Sozialstunden und Beratungsgesprächen bei der „Brücke e.V.“ verurteilt. Die erwachsene Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt.
Am 1. Mai 2022 kam es zu massiven Repressionen der Polizei gegen die Demonstration. Durchgeführt wurde der Einsatz vom bayerischen USK (Unterstützungskommando), das bekannt ist für sein Rechtsextremismus- und Antisemitismus-Problem und sein besonders hartes Vorgehen gegen Linke und Fußballfans.
Verlauf der 1. Mai-Demonstration
Den ganzen Zug über wurde die Demonstration mehrmals gestoppt mit der Begründung, dass die Seiten-Transparente einen vorgeschriebenen Abstand von mindestens 3 Metern zueinander nicht einhalten würden. Nach einem längeren Aufenthalt vor dem „Plärrer“, einem Augsburger Jahrmarkt, wo in der Demonstration einige Rauchtöpfe gezündet wurden, sah es so aus, als wären die Repressionsmaßnahmen beendet. Doch als der Rest der Versammlung sich am Helmut-Haller-Platz auflösen wollte, begannen die Polizist:innen, wahllos auf die Demonstrierenden einzuschlagen und zu schubsen.
Die verbliebenen 50 Teilnehmenden wurden gekesselt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Versammlung aufgelöst sei: unter den Demoteilnehmer:innen befänden sich Straftäter:innen. Man könne jedoch nach Hause gehen, insofern man keine Straftaten begangen habe. Auf diese absurde Ankündigung ließen sich die Teilnehmenden nicht ein und formierten sich neu.
Sichtlich überfordert reagierte die Polizei, indem sie auf der einen Seite des Kessels den Demonstrant:innen Pizza anbot, während sie auf der anderen Seite mit Knüppelschlägen Festnahmen erzwang. Doch es sollten sich weiterhin Straftäter:innen unter den restlichen Teilnehmenden befinden und so entschlossen sich alle Beteiligten, sich unterzuhaken und in geschlossener Formation als Spontan-Demonstration weiterzulaufen, um eine sichere Abreise für alle zu ermöglichen.
Nach gut 300m wurde von der Polizei ein Keil zwischen den Block getrieben und ein Teilnehmer aus dem vorderen Teil aufgefordert, sich als gesuchte Person zu stellen. Die Versammlung reagierte solidarisch und nahm den Betroffenen in ihre Mitte. Nun wurden unter Androhung von Gewalt der Demo-Zug gestoppt und den Beteiligten gesagt, dass sie sich des “tätlichen Angriffs” strafbar machen würden, wenn sie die geschützte Person nicht herausrücken würden. Nach und nach wurden dann unter Anwendung von Schmerzgriffen alle Verbliebenen abgeführt und die Personalien festgestellt. Dass das USK am Ende die Maschinenpistolen auspackte und bereit machte, vervollständigte die Drohkulisse. Erst im Nachgang stellte sich heraus, dass die Beamt:innen sich auf einen spontanen Einsatz an einem anderen Ort vorbereitet hatten.
Neuer Tatvorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
Mehr als ein Jahr später waren fünf der an der Spontan-Demonstration Beteiligten vor Gericht angeklagt. Zu dem Prozess, der erst kurzfristig für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, kamen rund 20 Personen zur solidarischen Prozessbegleitung. In dem Verfahren hatte sich schnell abgezeichnet, dass der Richter kein Interesse an einer genauen Klärung des Sachverhalts hatte. Stattdessen nahm er den spontanen Einfall des Staatsanwalts, der nun “Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” hieß, dankend als Tatbestand auf.
Auch die beiden als Zeugen geladenen Polizisten konnten (oder wollten) sich wenig erinnern und machten teils widersprüchliche Aussagen. Zum Beispiel konnten sie sich nicht mehr daran erinnern, dass mehrere Teilnehmer:innen im Anschluss der Demo auf die Polizeiwache mitgenommen wurden. Das Pizza-Angebot wurde als professionelle Polizeitaktik bezeichnet, die zu einem möglichst komplikationslosen Zugriff führen sollte. Einer der Angeklagten zweifelt nach der Verhandlung an den Aussagen der Beamten: “Wie die Polizisten das beschrieben haben, wäre jede Form der Solidarisierung gegen Angriffe der Polizei auf Demonstrationen strafbar. Wir lassen uns das nicht gefallen und sagen weiterhin: Antifaschismus ist kein Verbrechen und Solidarität bleibt notwendig!”
Sogar der Richter spricht von Unterschwelligkeit
Während die Anwältin Martina Sulzberger auf Freispruch plädierte, blieb der Richter grundsätzlich bei der Forderung der Staatsanwaltschaft und betrieb lediglich etwas Kosmetik am Strafmaß – die Staatsanwaltschaft hatte die doppelte Anzahl an Sozialstunden bzw. Tagessätzen gefordert. Dazu die Anwältin: “Ich sehe die Tatbestände rechtlich nicht verwirklicht. Der Richter selbst sprach von ‚Unterschwelligkeit‘ und hat dementsprechend bei der Erwachsenen auch die niedrigste Anzahl an Tagessätzen gewählt.” In ihrem Plädoyer hatte sie betont, dass es keine Straftat sei, seine Mitdemonstranten nicht alleine lassen zu wollen, und dass 40-50 unbewaffnete Demoteilnehmer keinen Widerstand gegen bewaffnete Vollstreckungsbeamt:innen eines USK leisten könnten.
Ähnlich sieht es auch eine der Verurteilten nach dem Prozess und sagt kämpferisch: “Das heutige Urteil bewerte ich für die angeblich begangene Straftat für völlig überzogen, übertrieben und total unverhältnismäßig und zeigt aber nur einmal mehr, dass die Justiz auf allen Seiten versucht, linken Aktivismus irgendwie zu unterdrücken. Ich denke, ich kann für alle sprechen, wenn ich sage, dass wir aus dieser Verhandlung trotz allem mit erhobenen Kopf herausgehen, uns deswegen nicht einschüchtern lassen, und dass wir dennoch auf jeden Fall weitermachen, weil selbst die Justiz und die Polizei uns nicht von der wichtigen politischen Arbeit abhalten werden.”
Einen kleinen Erfolg brachte der Freispruch dem Verfahren wegen “Sachbeschädigung durch Graffitti”, das bei einem der Angeklagten mit verhandelt wurde. Insgesamt jedoch hat der Augsburger Repressionsapparat – von Staatsschutz über USK bis Gericht und Staatsanwaltschaft – wieder einmal aufs Neue gezeigt, dass er gern besonders hart gegen fortschrittliche Kräfte vorgeht. So liegen bereits die nächsten Anklageschriften vor. Die Repression, aber auch die Solidarität sind in Augsburg noch lange nicht gebrochen.