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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Wie viele Menschen tötet die deutsche Polizei jedes Jahr wirklich?

Polizeigewalt ist in Deutschland keine Seltenheit, sondern ein strukturelles Problem. Allein in diesem Jahr wurden in Deutschland fünf Menschen durch Schüsse aus einer Dienstwaffe ermordet. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt zehn. Die Dunkelziffer für Polizeimorde liegt dabei weitaus höher, denn die Behörden wissen nicht, wie viele Menschen sie töten. – Ein Kommentar von Olga Goldman

Was sich anhört wie ein schlechter Witz, ist leider in Deutschland Realität: Jeden Monat sterben Menschen während oder nach Polizeieinsätzen. Viele dieser Fälle erreichen höchstens die Lokalpresse oder erscheinen gar nicht in den Medien, wenn keine Schusswaffen im Einsatz waren oder der Tod erst Tage später eintritt.

Keine Kontrolle polizeilichen Handelns

Eine Recherche von Zeit Online zeigt, dass allein im Jahr 2022 insgesamt mindestens 19 Menschen bei oder nach Polizeieinsätzen starben. Aus 9 Bundesländern fehlten vollständige Zahlen. Die meisten Bundesländer konnten zudem nur Angaben über Tote durch Schüsse aus einer Dienstwaffe machen. Es sterben jedoch mehr Menschen durch Pfefferspray, Schläge, Taser oder in Gewahrsam als durch Schüsse. Eine wirkliche Kontrolle polizeilichen Handelns ist also unmöglich.

Selbst wenn Schusswaffen zum Einsatz gekommen sind, wird gegen Polizist:innen oft nur wegen „Körperverletzung“ ermittelt und nicht etwa wegen „Mords“ oder „Totschlags“. Ermittlungen danach verlaufen oft im Sand, falls sie überhaupt zugelassen werden. Polizist:innen schützen schließlich Polizist:innen. Meistens ist auch Monate später noch unklar, was genau am Tatort passiert ist. Das zeigt auch der Fall von Bilel G. aus Herford.

Institutionelle und persönliche Willkür

Bei einer Verkehrskontrolle wegen Fahrens ohne Führerschein am 3. Juni in Bad Salzuflen schossen sechs Polizisten 36-mal auf den 19-jährigen Bilel. Acht Kugeln trafen den Jugendlichen direkt. Er ist nun brustabwärts querschnittsgelähmt und befindet sich aktuell in der Reha. Gegen Bilel wird wegen „versuchten Mordes“ ermittelt. Angeblich soll er mit hoher Geschwindigkeit auf die Polizisten zugerast sein. Auch gegen Bilels Mutter wurde ein Verfahren wegen „Dulden des Fahrens ohne Fahrerlaubnis“ eingeleitet, da Bilel am 3. Juni, eine Woche vor seiner Führerscheinprüfung, mit ihrem Auto unterwegs war. Der Solidaritätskreis „Bilel Herford“ fordert Aufklärung und ruft zum Widerstand auf.

„Es gibt keinen Grund, der in irgendeiner Weise 34 Schüsse auf einen unbewaffneten Jungen rechtfertigen könnte. Und wir zweifeln an der offiziellen Version der Polizei, deswegen muss der Fall vor allem unabhängig aufgeklärt werden und nicht von einer anderen Polizeibehörde. Und selbstverständlich fordern wir staatliche Unterstützung für Bilels Familie.“, sagt Marla Winter, aktiv im ­Solidaritätskreis Bilel Herford, im Gespräch mit junge Welt.

Am 15. Juli hatte das Bündnis bereits eine erste Demonstration in Herford organisiert, die durch die Polizei nur wenige hundert Meter vom Startpunkt zum Stopp gezwungen worden war. Für den 7. Oktober um 15 Uhr am Bahnhof Herford ist nun eine weitere Demonstration geplant.

Auch im August waren in Duisburg und Hagen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Männer im Rahmen von polizeilichen Einsätzen getötet worden. Zunächst erschoss die Polizei in Duisburg einen Mann, der angeblich mit einem Messer auf sie zulief. In Hagen wurde ein Mann über vier Stunden nach seiner Festnahme leblos in seiner Zelle aufgefunden. Angeblich keine Hinweise auf Fremdeinwirkung.

In beiden Fällen organisierten ebenfalls sozialistische Jugendorganisationen Proteste. So rief in Duisburg „Young Struggle“ zum Protest auf und in Hagen die „Internationale Jugend“.

Die Polizeigewalt ist Teil des Systems

Wohin das Auge in den aktuellen Nachrichten auch schaut: Polizist:innen, die mit äußerster Gewalt gegen Menschen in psychischem Ausnahmezustand vorgehen. Polizist:innen, die menschenverachtende WhatsApp-Nachrichten verschicken, den Nationalsozialismus und den Holocaust verherrlichen, sich über Vergewaltigungen und Menschen mit Behinderungen amüsieren, den Tod eines geflüchteten Kindes verhöhnen. Polizist:innen, die vor der Demo noch Kokain ziehen, um sich „bereit“ zu machen und dann vehement gegen politischen Protest vorgehen.

Es ist kein Zufall, dass sich der Charakter der Polizei, als zentraler Gewaltapparat der herrschenden Klasse im Inneren, in Krisenzeiten deutlicher zeigt. Es gilt standhaft zu bleiben und dagegenzuhalten! Wir dürfen uns nicht von diesem Polizeistaat einschüchtern lassen, sondern müssen noch entschlossener unseren Widerstand organisieren.

 

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