Der Deutsche Bauernkrieg wird in deutschen Schulbüchern oftmals nur am Rande gestreift. Dabei können seine Erfahrungen auch unter den heutigen Bedingungen noch eine Inspiration für die Widerstandskraft von Unterdrückten sein. Éric Villard gibt uns in seinem 2019 erschienenen Buch „Krieg der Armen“ einen lebendigen Eindruck. – Eine Buchrezension von Johann Khaldun.
Die deutsche Geschichte ist arm an erfolgreichen Revolutionen. Als der deutsche Kommunist Friedrich Engels seine Geschichte des deutschen Bauernkriegs (1524-1526) als „des großartigsten Revolutionsversuchs des deutschen Volks“ schrieb, tat er das auch, um darauf hinzuweisen, dass ebenfalls „das deutsche Volk seine revolutionäre Tradition“ hat.
Beim deutschen Bauernkrieg handelte es sich um eine revolutionäre Erhebung vor allem des Bauerntums gegen die jahrhundertelange Herrschaft des Großgrundbesitzes, gegen die Fronwirtschaft und die Knechtung durch die Kirche. Ideologisch drückte sich diese gewaltige Revolution, die vor allem Thüringen und Sachsen umfasste, in einem Kampf verschiedener Ausprägungenen des Christentums aus. Die Vorhut der Bauern und der damals kaum vorhandenen Arbeiter:innenklasse bildete Thomas Müntzer. Seine Bibelinterpretation näherten sich schon fast schon in den dem Atheismus und mit seinem Hass auf die Herrschenden der feudalen Ordnung konnte er sich durch wortgewaltige Reden das Ohr der Unterdrückten erobern.
Die Arbeit von Engels ist bedeutend und reich an Einsichten und bringt Thomas Müntzer als den großen revolutionären Anführer der Bauern und der damals noch winzigen Arbeiter:innenklasse wieder ins Bewusstsein.
Doch Engels’ Text kann uns nicht die emotionale Erfahrung dieser Klassenkämpfe ersetzen. Dafür gibt es die Literatur. Und hier haben wir das Glück, dass uns der französische Autor Éric Vuillard mit seiner Erzählung über die Bauernrevolutionen und ihre Anführer im frühneuzeitlichen Europa zu einer solchen Erfahrung mit seinem Buch „Krieg der Armen“ aus dem Jahr 2019 verhilft.
Das Buch Villards bietet in oft bildgewaltigen Beschreibungen einen Eindruck nicht nur von Thomas Müntzer, sondern auch von der Unterdrückung, der die Bauern ausgesetzt waren. Außerdem erzählt es von gesellschaftlichen Voraussetzungen dieser Revolution wie etwa dem Buchdruck, die dem Wort Müntzers eine bisher unmögliche Reichweite verliehen. Und von den Kämpfen, Siegen und Niederlagen der Bauern.
Aber Villard erweitert den Rahmen des Bildes auch um vergleichbare Kirchenreformer und Bauernführer in Europa wie John Wycliff, John Ball und Wat Tyler in England oder Jan Hus in Böhmen. Er schafft es so, in wenigen genauen Worten ein beeindruckendes Panorama der historischen Bewegung zu zeichnen, die in Müntzer vorerst gipfelte. Villards Fokus liegt dabei deutlich auf dem deutschen Bauernkrieg, der aber durch die Einbettung in den europäischen historischen Kontext in seiner allgemeinen Bedeutung genauer fasslbar wird.
Das Volk denkt auch
Als Martin Luther 1517 die Reformation – also die kirchliche Erneuerungsbewegung – lostrat, gab er einer antifeudalen gesellschaftlichen Bewegung die ideologischen Mittel, die bald schon über die Absichten Luthers selbst hinauswuchsen. Denn Luther war kein Freund der Bauern, sondern vor allem des Bürgertums.
Verängstigt durch die Radikalität der Bäuer:innen flüchtete er sich in die Arme der feudalen Reaktion und wurde zum eifernden Konterrevolutionär. Es war nicht zuletzt die revolutionäre Führung der Bauernschaft und der erst entstehenden Arbeiter:innenklasse durch Thomas Müntzer, die Luther zu dieser Reaktion trieb. Für Müntzer waren die Bauern keine tumben Gewaltmassen sondern die Träger der Vernunft und des Fortschritts.
Villard teilt Luthers Angst vor den Bauern und Arbeitern nicht. Er teilt die Einstellung Müntzers, wenn er schreibt: „Vernunft und Reinheit sind für die Armen, vor ihnen gerät Müntzer in Wallung, hier brennt seine Wunde aufs Neue. […] Und dieses Volk stinkt, es murrt, aber es denkt auch“ (S. 10, 36).
Angelehnt an die große Sprachmacht Müntzers schreibt Villard in seiner Erzählung über dessen Antrieb: „Ihn erleuchten die grünen Blätter, der Pferdemist, die Blattern, die Wolken, der große Ameisenhaufen der Städte und seine Befreiungsideen, ihn erleuchten die zertrampelten Felder, die Meiereien und Besitztümer, die ausgerissenen Weinreben, die Steuer, die Abgaben, die kränkenden Spitznamen, die Sensen, Pfähle und Lanzen, ihn erleuchtet das breite Grinsen des kranken Tiers, der zerrissene Vorhang, der Windstoß, die Werkstatt die Routinearbeit und die Unmengen von Tatsachen, ja, Gott erleuchtet ihn, aber damals ist Gott die wirkliche Narben der Handel mit Wellen, „ein von Enttäuschungen und Betäubungen geschwärztes Bündel.” (S. 41f)
Nicht zuletzt aufgrund dieser Positionierung auf der Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten, unterscheidet Villard auch deutlich den deutschen reaktionären Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) und Müntzer voneinander. Er weist auf den Einfluss hin, den Müntzers Sprachgewalt auf Nietzsche geübt haben mag, vergisst dabei aber nicht, dass die beiden grundverschiedene Klassenpositionen vertraten.
So war Nietzsche ein Mann der Herrschenden, der die Massen verachtete. „Doch Müntzer ist ein Mann der Tat, was er schreibt, reißt ihn mit. Er empfindet keine Verachtung für das Gewöhnliche. Müntzer ist Narzisse und Distel, Brennnessel und Pflanzensaft. Er zitiert Daniel: ‘Alle Macht dem Volk.’ Nietzsche ist weit entfernt.“ (S. 44).
Gewalt ist nicht gleich Gewalt
Weil Villard dieses Vertrauen in die Unterdrückten hat, weil er sie versteht, versteht er auch ihre Gewalt. Er ist kein abstrakter Moralist, der Gewalt rundheraus ablehnt und damit den Unterdrückten dieser Welt den Widerstand verbietet. Vielmehr sieht er die Notwendigkeit, ja die Gerechtigkeit, die in der revolutionären Gewalt liegt. So schildert er die Kämpfe der Bauern in krasser Sprache, die jedoch nicht einfach abstößt, sondern mitreißt.
„Wütend zerren die Bauern die Richter aus den Betten, schleifen sie auf den Marktplatz und köpfen sie. Das Wetter ist schön.“ (S. 19). Sätze wie diese sind kein Ausdruck von Zynismus, keine einfache, moralisierende Kontrastierung. Das Wetter ist schön, weil die Unterdrückten sich erheben, „[…] weil mehr Brot und Freiheit nur zu haben sind, wenn man sie an sich reißt.“ (S. 63). Das ist eine Haltung, wie wir sie heute allzu selten bei Schriftsteller:innen finden.
Statt sich über die revolutionäre Gewalt der Bäuer:innen aufzuregen, macht Villard mit seinem Buch deutlich, wogegen sich diese Gewalt richtet. Und er weist auch auf andere, verborgene Formen der Gewalt hin. Beispielsweise die Gewalt, die uns die bürgerliche Geschichtsschreibung antut, wenn sie uns ein falsches Bild unserer Geschichte zeichnet, uns damit demoralisiert und so der Hoffnung und des Bewusstseins unserer eigenen revolutionären Geschichte berauben will.
Gegen Ende seines Buches lehnt Villard die gängigen Erzählungen über die letzten Tage Müntzers als gezielte Mythenbildung ab. Er sei vor der Reaktion geflohen, habe seinen Ideen abgeschworen, sei vor den Fürsten zu Kreuze gekrochen. „Ich glaube kein Wort davon. Diese verbrecherischen Legenden beugen den Abtrünnigen erst den Kopf, wenn ihnen die Sprache genommen wurde. Sie sollen nur in uns die Stimme klingen lassen, die uns quält, die Stimme der Ordnung, die uns letztlich so teuer ist, dass wir ihren Mysterien erliegen und ihr unser Leben ausliefern“ (S. 61f).
Darin liegt eben diese tiefere Einsicht in die Gewalt, die uns auch durch Geschichtsschreibung angetan werden kann. Villards Buch ist damit auch ein bewusster Gegenschlag gegen die bürgerliche Geschichtsschreibung, wenn auch in der Form der historischen Erzählung.
„Wünschenswert ist nur der Sieg“
In der deutschen Presse wurde dieses kleine, mitreißende Buch teilweise mit der Warnung vor seinem marxistischen Einfluss besprochen, teilweise aber auch als Verteidigung der Demokratie gelesen. „Einfache, auch grobe Gestalten werden zu Handelnden heroischer Größe, ein epischer Atem durchzieht den Text – linksdemokratische Gänsehautliteratur“, schreibt Niklas Bender leicht angewidert in seiner Rezension in der FAZ vom 27. Juni 2020, bevor er sich über die klare Klassenlinie als Schwarz-Weiß-Denkerei zwischen „böse[n] Fürsten gegen gute Bauern“4 beschwert.
Das Buch ist tatsächlich eine Verteidigung der Demokratie, besonders in Zeiten, wo selbst die bürgerliche Demokratie allerorten abgebaut wird. Aber das Buch ist mehr. Müntzer war nicht einfach der Anführer einer bürgerlich-demokratischen Revolution gegen die feudale Unterdrückung. Was ihn besonders macht und warum nicht er, sondern Luther von der bürgerlichen Geschichtsschreibung gefeiert wird, ist seine proletarische Stoßrichtung. Die deutschen Rezensenten haben das durchaus erkannt – und sich daher über Villards sympathisierende literarische Darstellung beschwert.
Es steckte in Müntzer bereits der Sozialismus. Und wer über ihn schreibt, der schreibt genau deswegen über ihn. So auch Villard, der daher sein Buch mit den folgenden Worten schließt, die den Horizont der deutschen Journaille leider schon übersteigen: „Die Jugend ist ohne Ende, das Geheimnis unserer Gleichheit unsterblich, und die Einsamkeit sagenhaft. Das Martyrium ist eine Falle für alle Unterdrückten, wünschenswert ist nur der Sieg. Ich werde von ihm erzählen.“ Wir sollten uns von dieser revolutionären Zuversicht inspirieren lassen.