Das Medienecho zur angeblichen „Scharia-Polizei“ in Neuss hat das Ziel, unsere Klasse durch Rassismus zu spalten. Gegen diese Stimmungsmache hilft uns Klassenbewusstsein. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.
Für die Bild-Zeitung war es ein gefundenes Fressen: Nach den Berichten über einige muslimische Schüler, die in Neuss Klassenkamerad:innen einschüchterten und fundamentalistische Glaubenspraktiken durchsetzen wollten, titelte das Springer-Blatt: „Scharia-Eklat“. Im Focus hieß es gar, dass die muslimischen Jugendlichen vorgehabt haben sollen, Mitschüler:innen zu steinigen.
Was war geschehen? In einem – von der Schule selbst zu keinem Zeitpunkt als Krise eingeschätzten Zeitraum im vergangenen Jahr – hatten drei Oberschüler versucht, ihre strengen islamischen Auslegungen anderen Schüler:innen aufzudrängen.
Als dieser Vorfall, der von der Schule an staatliche Anti-Extremismus-Programme gemeldet worden war, nun öffentlich wurde, nutzten Polizei, NRW-Innenminister Reul und diverse Medienhäuser dies, um das Verhalten der Jugendlichen zu skandalisieren und ein Exempel zu statuieren. Die Botschaft: Die Gefahr, dass muslimische Jugendliche unser Zusammenleben und unseren Staat gefährden, ist real und muss bekämpft werden!
Es kommt sicherlich nicht selten vor, dass in Schulen Jugendliche dominant auftreten und ihre Ansichten – ob politisch oder religiös – anderen aufdrücken wollen. Dass nun aber ausgerechnet dieser Fall von muslimischen Jugendlichen so viel Aufmerksamkeit erhält, liegt an dem riesigen Reservoir an rassistischen Ressentiments, das hiermit erneut bedient wird.
Immer schwingt in den Berichten mit, dass nicht nur einige wenige Jugendliche, sondern der Großteil muslimischer Jugendlicher „unseren“ Werten entgegenstehe. Der Islam wird sodann nicht als Religion, sondern als Feindbild diskutiert – und als Bedrohung von außen auf „uns alle“. Nicht selten heißt es dann, „wir“ müssten dagegen zusammenhalten.
Das Spiel mit der Angst vor dem Islamismus
Heißt das nun, es gibt eigentlich gar keine Gefahr durch den Islamismus? Nein. Denn sofort werden bei den Berichten aus Neuss natürlich Assoziationen an die Scharia-Polizei von 2014 wach – damals hatte der bekannte Fundamentalist Sven Lau mit einigen weiteren Personen in Warnwesten die Wuppertaler Innenstadt in Aufruhr versetzt.
2014, als der IS in Irak und Syrien auf dem Vormarsch war und seine Schreckensherrschaft aufbaute, wirkte die Scharia-Polizei auf deutschen Straßen furchteinflößend auf viele, weil sie die Methoden des IS direkt vor die eigene Haustür brachte. Zwei Jahre später, mit dem Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, wurden für viele die Befürchtungen wahr, dass die Islamist:innen nun auch in Deutschland kämpfen würden.
Neben diesen realen Ereignissen schürten reaktionäre Kräfte und Faschist:innen die Ängste immer weiter und beschworen geradezu einen Kulturkampf zwischen dem westlichen Abendland und dem Islam. In ihrem Spiel mit der Angst vor dem Islamismus nutzen die Faschist:innen auch derzeit geschickt die Berichte aus Neuss aus, um die generelle rassistische Stimmung gegen Muslim:innen anzuheizen. Schließlich lassen sich so auch die neuen Abschiebepraktiken deutlich besser legitimieren – wer kann schon etwas dagegen sagen, potenzielle Gefährder abzuschieben?
Klassenbewusstsein gegen Rassismus
Gerade jetzt, in Zeiten von Krieg, Krise und sich zuspitzendem Klassenkampf wird das Feindbild Islam besonders benötigt: Der fortwährende Kulturkampf der Faschist:innen, dem sich längst große Teile der bürgerlichen Lager angeschlossen haben, hat das Ziel, „uns“ in Deutschland zu “einen”.
„Wir“ – das hieße dann: Kapitalist:innen und Arbeiter:innen Hand in Hand, das hieße Klassenversöhnung, das hieße, die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse vergessen machen. Um es klar zu sagen: Dieses „Wir“ ist nichts mehr als ein Täuschungsmanöver der Ausbeuter:innen.
Angesichts des wachsenden Nationalismus in Deutschland und der anhaltenden – sich wahrscheinlich noch weiter zuspitzenden – rassistischen Hetze gilt es, diese Tatsache uns allen ins Gedächtnis zu rufen. Die Angstmacherei vor den Islamist:innen lenkt uns letztlich davon ab, dass die deutschen Kapitalist:innen ebenso zu unseren Feinden gehören.