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Donnerstag, Mai 2, 2024
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    „Wir“ sollen kriegstüchtig werden? – Nicht mit uns!

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     Wir müssen kriegstüchtig werden“, „Wir brauchen einen Mentalitätswechsel“ – Verteidigungsminister Boris Pistorius will in Zeiten von Krieg und Krise einen Wandel sehen. Im Militär, in der Politik, in der Gesellschaft. Doch egal, ob Politiker:innen die deutsche Aufrüstung in ihren Worten diplomatisch oder harsch verpacken, die Frage bleibt: Wer soll mit diesem „wir“ gemeint sein? – Ein Kommentar von Konstantin Jung

    Vor 19 Monaten schlug Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner ausgerufenen „Zeitenwende“ noch sanftere Töne an – doch die Regierung scheint in Sachen Kriegsrhetorik langsam aber sicher offensiver zu werden. Am Sonntagabend forderte Verteidigungsminister Boris Pistorius in der ZDF-Sendung Berlin direkt einen „Mentalitätswechsel“ und mehr Wehrhaftigkeit. Außerdem sollen „wir … kriegstüchtig werden“, „die Gefahr eines Krieges in Europa“ sei wieder Realität geworden.

    Mit letzterem hat er vermutlich recht. Das zeigen etliche sich verschärfende zwischenimperialistische Konflikte weltweit, teils näher an den europäischen Grenzen, teils weiter weg. Natürlich zeigt das auch der Blick auf die Ukraine, von wo sich nach der russischen Invasion im vergangenen Frühjahr wohl noch am ehesten ein europaweiter Krieg ausbreiten könnte. Zeuge dessen ist letztlich auch die Aussage eines Wolodymyr Selenskyjs, der vor dem Hintergrund der Zuspitzung des Nahost-Konflikts erneut vor einem dritten Weltkrieg warnte.

    Geschenke für die Kapitalist:innen – wir müssen zahlen

    Und natürlich: Da will – oder muss – der deutsche Staat gehörig mitspielen, um auch künftig seine Entscheidungsmacht über die Aufteilung der globalen Absatzmärkte zu sichern. Dass er dazu auch jetzt schon bereit ist, zeigen umfassende Maßnahmen wie das quasi über Nacht beschlossene 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr. Oder auch, dass nach Kriegsbeginn in der Ukraine in kürzester Zeit an mehreren Standorten Flüssiggas-Terminals quasi über Nacht aus der Erde sprossen.

    Im Bezug darauf üben sich „unsere“ Politiker:innen außerdem immer wieder darin, uns derartige Maßnahmen als Wohltat für „alle“ zu verkaufen. Bei der Eröffnung der LNG-Terminals sprach Scholz noch vom neuen „Deutschlandtempo“ – ein bisschen Nationalismus soll den Eindruck erwecken, wir säßen alle im selben Boot.

    Das ist in der Art erst mal keine Besonderheit – auch SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil schwadronierte erst letztes Jahr von einem Deutschland mit dem „Anspruch einer Führungsmacht”. In der selben hochfliegenden Manier fragt die Bundeswehr in ihrer neuen Werbekampagne rhetorisch: „Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen?“

    Der deutsche Staat fletscht die Zähne

    Wieder Stärke zeigen“? Zuerst möchte man sich ja fragen, wann die deutsche Armee denn das letzte Mal „Stärke gezeigt“ haben soll. Im Anbetracht dessen, dass die Bundeswehr Anfang der 1950er gezielt von ehemaligen Hitler-Faschisten aufgebaut wurde, darf wohl etwas Nostalgie für die braunen Zeiten schon mal erlaubt sein.

    Doch ganz abgesehen davon taucht in dem ekelhaften Slogan dieses kleine Wort schon wieder auf, dieses „wir“. Es legt nahe, dass eben nicht nur die Bundeswehr, sondern „wir“ als Deutschland geeint wieder Stärke zeigen, wieder kriegstüchtig werden müssen. Für die imperialistischen Großmachtambitionen des deutschen Staats braucht es scheinbar auch eine kriegsbegeisterte Bevölkerung, am besten zusammen gezurrt zu einer Nation und feindlich gesinnt gegenüber all jenen, die nicht in dieses Bild passen.

    Kriegstreiberei im Namen unserer Freiheit? – Warum wir nichts von der Aufrüstung haben

    Das betrifft jedoch nicht nur die Feinde im fernen Russland oder China, sondern kann natürlich wahlweise auch nach innen, ins eigene Land, gerichtet sein. Ein gutes Beispiel dafür sind die aktuellen Diskussionen der Ampel-Regierung über eine „neue Härte in der Flüchtlingspolitik“. Effektiv setzen Scholz sowie seine grüne und gelbe Unterstützung heute Maßnahmen um, welche die faschistische AfD schon vor Jahren gefordert hatte: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“.

    Wir müssen da nicht mitmachen!

    Bei dieser Kriegsrhetorik ist jetzt schon absehbar, welchen Kurs die deutsche Politik in den kommenden Jahren einschlagen wird. Die Folgen der kriegsorientierten Wirtschaft in Form von Inflation, Preissteigerungen und höheren Lebenshaltungskosten hat die arbeitende Bevölkerung schon zu spüren bekommen. Große Worte wie „Einheit“ oder „Zusammenhalt“ sollen jetzt über die klaffenden Klassenunterschiede in diesem Land hinwegtäuschen.

    Zum Schluss bleibt festzustellen: Dieses „wir“ der deutschen Politik, dieses „wir“ der herrschenden Klasse ist und bleibt eine Illusion, wenn es uns als Arbeiter:innen einschließen soll. Historische Beispiele, in denen die Arbeiter:innenklasse die imperialistischen Kriege beendet hat, gibt es hingegen genug. Somit bleibt am Ende klar: Nein, wir müssen nicht kriegstüchtig werden! Zumindest nicht, wenn es um die Kriege der Bonzen, die Kriege der Großkonzerne, die Kriege der Ungerechten geht.

    • Seit 2022 politisch aktiv in Sachsen. Schreibt am liebsten über Antifa und Kultur im Kapitalismus. "Es gibt kein anderes Mittel, den Schwankenden zu helfen, als daß man aufhört, selbst zu schwanken."

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