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Montag, Mai 20, 2024
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    Wie sind die Angriffe auf bürgerliche Politiker:innen einzuschätzen?

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    In den letzten Wochen mehren sich die Angriffe auf Politiker:innen in Deutschland. Verschärft sich der Terror von rechts? Was steckt dahinter? Und wie sind die Angriffe aus revolutionärer Perspektive einzuschätzen? – Ein Kommentar von Felix Zinke.

    In den letzten Wochen ist es wiederholt zu Angriffen auf Politiker:innen der bürgerlichen Parteien, speziell auf die SPD und Grüne, gekommen.

    In Dresden griffen vergangenen Freitag vier junge Männer den Europa-Abgeordneten der SPD, Matthias Ecke, an. Das Landeskriminalamt LKA geht dabei von „rechtsextremen Motiven“ aus. Am Dienstag war in Dresden eine Grünen-Politikerin attackiert worden, während sie Wahlplakate anbrachte. Sie sei von einem Mann beiseite gestoßen und von einer Frau bespuckt worden, teilte die Polizei mit. Ebenfalls die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt war vor einer Woche in Ostbrandenburg nach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und an der Abfahrt gehindert worden.

    In Berlin wurde am Dienstag die Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) von einem 74-jährigen Mann in der Stadtteilbibliothek Rudow laut Polizei „von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt“ angegangen. Der Täter sei nach Polizeiangaben schon früher im Rahmen des „Staatsschutzes und der Hasskriminalität“ auffällig geworden.

    Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die unlängst ein gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen die Arbeiter:innenbewegung am 1. Mai und gegen palästina-solidarische Gruppen allgemein angeordnet hatte, rief aufgrund der „erhöhten Gewaltbereitschaft und der Angriffe auf die Demokratie“ eine außerordentliche Konferenz der Innenminister:innen der Länder ein.

    Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Michael Stübgen (CDU), sprach von einer  „wachsenden Verrohung der Gesellschaft“. Auch der „Angriff auf Polizisten“ sei Teil dieser Gleichung. Diese versuchten doch lediglich, die „Demokratie“ vor ihren Feinden zu schützen. Die Gesellschaft müsse jetzt zusammenhalten, so auch die Regierungsspitzen von SPD und Grünen.

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    Hufeisen zur Verteidigung ihrer  Demokratie

    Damit wird der altbekannten „Hufeisen-Theorie” weiter Vorschub geleistet. Zum einen wird die explizit faschistische Bedrohung nicht als solche benannt. Zum anderen wird die Gewalt, die in den allermeisten Fällen von der Polizei selbst ausgeht, kurzerhand umgekehrt: Seit wann sind Polizei und Staat die Opfer?

    Antifaschist:innen und Revolutionär:innen, die sich gegen die faschistische Bedrohung durch AfD & Co. zur Wehr setzen, oder jene, die Polizeigewalt erfahren und sich zum Teil dagegen wehren, stellen also dieselbe Gefahr dar wie Faschist:innen.

    Schnell spielen die sonstigen Differenzen zwischen den bürgerlichen Parteien keine Rolle mehr: Zum Erhalt ihrer Klassenordnung werden auch gerne Sozialist:innen mit Faschist:innen und Polizeigewalt mit Widerstand gleichgesetzt.

    All das rechtfertigen die Herrschenden dabei im Namen der Verteidigung ihrer (bürgerlichen) „Demokratie“. Hinter diesem Vorwand wird nun schon seit einigen Jahren die Militarisierung der BRD nach innen und außen vorangetrieben – und begünstigt damit die „Verrohung der Gesellschaft“, Parteien wie die AfD inklusive.

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    So ist es nicht verwunderlich, dass die ersten Reaktionen der bürgerlichen Politik weitere Gesetzesverschärfungen bzw. die Neueinführung von Gesetzen sein sollen. Diese sollen allerdings nur Angriffe auf sich selbst (als vermeintlich besonders schützenswerte, „obere Schicht” der Gesellschaft) von nun an härter unter Strafe stellen. Eine Klassenpolitik par excellence.

    Die Angriffe auf uns kommen vom Staat und von rechts

    Währenddessen hat uns dieselbe Klassenpolitik in den vergangen Jahren angesichts des sich weiter entwickelnden rechten Terrors auf uns und unsere Klassengeschwister schutzlos sitzen lassen. Denn faschistische Angriffe sind ebenso wenig ein neues Phänomen wie Polizeigewalt und Polizeimorde. Sie passieren regelmäßig gegen Menschen mit Migrationshintergrund, LGBTI+-Personen, Frauen, Menschen mit Behinderung und fortschrittliche Arbeiter:innen: Halle, Hanau, Celle – alles keine Einzelfälle!

    Dabei agieren staatliche und faschistische Kräfte leider oft genug Hand in Hand: Faschistische Netzwerke wurden nachweislich vom Verfassungsschutz mit aufgebaut (wie im Fall des NSU). Zudem werden immer wieder rechte Netzwerke und Unterstützungskreise innerhalb des bürgerlichen Staatsapparats (wie der Polizei) aufgedeckt. Und stehen diese nicht letztlich unter den Fittichen von Parteien wie SPD, Grüne und CDU?

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    Die Geister, die sie riefen – die werden wir los!

    Die bürgerliche Politik heuchelt uns vor, uns zu beschützen. Dabei sichert sie sich nur selbst ab. Und das alles, während sie mittels der „Staatsgewalt“ gegen politisch fortschrittliche Kräfte (z.B. gegen Lina E. und viele Palästina-Proteste) immer repressiver vorgeht und mittels ihrer Staatsapparate faschistische Gruppen aufbaut und schützt. Dass sich diese Kräfte inzwischen stark genug fühlen, die regierenden Parteien offen anzugreifen, steht ganz in deutscher Tradition – frei nach Goethe: Die Geister, die sie riefen, werden sie nun nicht los.

    Faschistische Angriffe auf Politiker:innen gipfelten bereits 2019 im Attentat auf Walter Lübke (CDU). Und natürlich werden diese zunehmen, wenn auch in ihrer Form variieren. Dies äußert sich in den aktuellen Angriffen und spricht für das gewachsene Sicherheitsgefühl faschistischer Kräfte im bröckelnden Stadium der bürgerlichen  Demokratie in der BRD.

    Warum interessiert sich niemand für den Mord an Walter Lübcke?

    Die bürgerlichen Politiker:innen wollen ihre schwankende Ordnung natürlich stützen, sie profitieren ja als herrschende Klasse davon. Daher rüsten sie sich auf und verkaufen uns das als Schutz unserer „Demokratie“. Doch dass wir in einer bürgerlichen Demokratie leben, die nur den Herrschenden in die Karten spielt und den Kapitalist:innen das Geld in die Taschen spült, wird heute immer offensichtlicher.

    Weder die EU-Wahlen noch Landtagswahlen: keine:r der bürgerlichen Vertreter:innen wird uns vor dem wachsenden Faschismus schützen können. Denn dieser ist ein Nebeneffekt der kapitalistischen Widersprüche. Angesichts der aktuellen Zuspitzung der Krisen wird daher auch der Faschismus in Deutschland an Stärke gewinnen.

    Dagegen kann uns als Arbeiter:innen nur der antifaschistische Selbstschutz helfen – und durchaus auch die Offensive: Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand angegangen, in Dresden ein Infostand der AfD stark beschädigt. Und Ende Juni ist AfD-Parteitag in Essen.

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