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Zeitung für Solidarität und Widerstand

„Die Repression ist unsere Kampfbedingung und die Solidarität ist unsere Waffe“

Im Mai 2022 verboten die Berliner Behörden einige Demonstrationen für die Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfs. Mehrere Organisationen beschlossen daraufhin, sich den Verboten zu widersetzen und ihre Demonstration trotzdem durchzuführen. Nun hat das so entstandene Bündnis eine Analyse der Geschehnisse im Mai veröffentlicht und ein Aktionswochenende in Berlin durchgeführt. – Ein Interview mit Hadid vom „Revolutionären Solidaritätsbündnis“.

Wie hat sich das „Revolutionäre Solidaritätsbündnis“ gegründet?

Als dieses Jahr in Berlin die Palästina-Demonstrationen rund um den palästinensischen Gedenk- und Kampftag am 15. Mai, dem „Nakbatag“*, verboten wurden, haben sich einige Gruppen getroffen und eine Entscheidung getroffen: Diese Verbote nehmen wir nicht hin, wir holen uns den Nakbatag zurück. Nachdem wir uns in den Tagen und Nächten vor dem 15. Mai oft getroffen und beraten haben, führten wir am Nakbatag dann trotz der angeordneten Verbote und trotz eines massiven Polizeiaufgebots in Berlin-Neukölln eine Demonstration durch. Natürlich wollte uns die Polizei von diesem offenen Zeigen unseres Widerstands abhalten und hat uns nach einiger Zeit gestoppt, unsere Personalien aufgenommen und uns mit Strafen gedroht. Auch anderen Neuköllner:innen ging es an dem Tag so, viele wurden willkürlich von der Polizei drangsaliert, einige sogar festgenommen, einfach nur weil sie sich den Verboten nicht beugten und palästinensische Symbole zeigten.

Dass wir es geschafft haben, gemeinsam trotz alledem eine Demo durchzuführen und unseren Protest gegen die Repression und unsere Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes zu zeigen, hat uns viel Mut gemacht. Nach diesem ersten wichtigen Schritt haben wir aus diesem Grund auch beschlossen, gemeinsam weiterzumachen. Wir haben zum Beispiel offene Treffen veranstaltet und konnten so Einigen, die am Nakbatag von der Polizei an- und festgehalten wurden, ein wenig von der Angst und Ungewissheit nehmen. Denn viele fragten sich: Was passiert jetzt? Bekomme ich großen Ärger? Gar eine Strafe? Steht am Ende mein Aufenthalt in der BRD auf dem Spiel? Wir haben stets versucht, dann eine Sache in den Vordergrund zu stellen: Wir dürfen uns jetzt nicht einschüchtern lassen, wir dürfen nicht klein beigeben, wir müssen weiter kämpfen und unsere revolutionäre Politik auf die Straße bringen.

*„Nakba“ bedeutet Katastrophe und bezieht sich dabei auf die Flucht und Vertreibung von arabischen Menschen aus Palästina. Dieser Ereignisse wird alljährlich am 15. Mai gedacht.

Warum habt ihr an diesem Wochenende, rund sechs Monate nach dieser Aktion im Mai, noch einmal ein Aktionswochenende gemacht?

Oft ist es ja so, dass nach einer Demo schnell wieder Alltag einkehrt, alle gehen nach Hause und viele der Botschaften, die auf der Demo noch laut verkündet wurden, verschwinden dann – da müssen wir ehrlich sein – schnell wieder aus dem Bewusstsein. Der Nakbatag und unser kleiner Erfolg gegen die Repression dieses Jahr war aber etwas Besonderes für viele von uns, denn wir haben an diesem Tag ein Stück weit unsere Gewohnheiten und unsere eigenen Ängste überwunden. Schnell stand deswegen auch fest, dass es uns um mehr geht, als nur um diesen einen Tag im Jahr, sogar um mehr als um den palästinensischen Befreiungskampf – die Repression, die wir hier erfahren haben, ist Ausdruck des ganzen unterdrückerischen Systems, in dem wir leben.

Zu dem Wochenende gehörte auch eine Diskussionsveranstaltung. Um was ging es da?

Bei dem Aktionswochenende jetzt ging es uns auch darum, diesen Gedanken bis zum Ende zu denken. Deswegen haben wir einen Diskussionsabend veranstaltet, bei dem wir uns mit Vertreter:innen von Gruppen aus dem Bündnis und weiteren eingeladenen Gruppen, die noch nicht aktiv im Bündnis waren, ausgetauscht und gemeinsam überlegt haben, was der Kampf gegen die Repression in diesem Staat eigentlich alles bedeutet, was dazu gehört, was wir leisten müssen. Während dieser Diskussionen wurde sehr deutlich, dass wir, wenn wir in diesem Staat unsere ständige Unterdrückung und Ausbeutung beenden wollen, permanent gegen die herrschende Klasse werden kämpfen müssen. Repression, also die Gesamtheit der unterdrückerischen Maßnahmen – von psychischem Druck über Verleumdung in den Medien bis hin zu Haft und Abschiebung – werden dann zu unserem Alltag gehören. Die Repression ist also unsere dauerhafte Kampfbedingung, aber gleichzeitig haben wir mit unserer Solidarität auch eine starke Waffe dagegen.

Ihr habt am Samstag auch eine Demo veranstaltet. Welche Botschaft wolltet ihr senden?

Bei der Demonstration, die wir am Samstag als Teil eines Aktionswochenendes organisiert haben, wollten wir dann auch auf der Straße ganz deutlich zeigen, dass wir den Kampf gegen die Repression nicht nur an einem Tag im Jahr führen können, sondern jeden Tag. In den Redebeiträgen des Bündnisses haben wir deswegen auch betont, dass wir uns jeden Tag neu entscheiden, uns dem unterdrückerischen deutschen Staat und dem ausbeuterischen System, in dem wir leben, zu widersetzen. Uns war wichtig, diese Botschaft gerade in Berlin-Neukölln, einem Ort, der immer wieder als Problemviertel und Brennpunkt bezeichnet wird, selbstbewusst zu senden: Wir kämpfen zusammen mit den Passant:innen, mit den Anwohner:innen und mit den Arbeiter:innen für ein besseres Leben. Zu diesem Kampf haben wir während der Demonstration immer wieder eingeladen, und wir haben uns sehr über alle diejenigen gefreut, die sich direkt der Demo angeschlossen haben. Vor allem haben wir aber immer wieder betont, dass wir alle unsere Ängste vor Strafe und den uns unser Leben lang eingetrichterten Gehorsam überwinden müssen, damit wir überhaupt auf die Straße gehen und uns für unsere Interessen stark machen. Wir haben auch klar gemacht, dass wir keine Ausnahme darstellen: Auch wir haben Angst, auch wir verzagen, auch wir zweifeln. Aber unsere Stärke liegt in der Geschlossenheit und in der Organisation. Und das Gute ist, dass bei den meisten unserer Organisationen jede:r mitmachen kann.

Ihr habt vor kurzem auch eine Analyse der Geschehnisse im Mai in Berlin veröffentlicht. Neben der Repression gegen die Palästina-Solidarität geht ihr darin auch auf die Kriminalisierung der Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf sowie die Unterdrückung von anti-kapitalistischem Protest und der kommunistischen Bewegung ein. Wieso gehören diese Dinge für euch zusammen?

Die kurze Antwort darauf ist: Weil ein Angriff auf Teile der revolutionären Bewegung nie nur einer einzelnen Person oder einer einzelnen Gruppe gilt, sondern immer uns allen. Die längere Antwort geben wir in der Analyse. Wir schreiben darüber, dass  -unabhängig davon, ob wir uns für den palästinensischen, den kurdischen oder einen anderen anti-imperialistischen Befreiungskampf auf der Welt stark machen, gegen die kapitalistische Ausbeutung in Deutschland selbst kämpfen, das Patriarchat stürzen wollen oder Solidaritätsarbeit für politische Gefangene machen- unsere Kämpfe miteinander verbunden sind, weil wir uns letztendlich hier alle gegen das Gleiche zur Wehr setzen: die Unterdrückung durch den deutschen imperialistischen Staat. Und gerade dann, wenn wir das erkennen, wenn wir uns wirklich verbünden und diese Kämpfe gemeinsam führen, sind wir auch eine Gefahr für den Staat. Die Repression gegen unsere Bewegung zeigt uns manchmal sogar, dass der Staat das sogar schneller erkennt, als manche aus unseren eigenen Reihen.

Momentan rüstet der deutsche Staat wieder auf, nicht nur was die Schlagkraft der Bundeswehr angeht, sondern auch im „Innern“. Was kommt in Bezug auf Repressionen demnächst auf uns zu?

Ja, zur Zeit sehen wir, wie wieder die Zügel angezogen werden, und gerade in Berlin soll momentan vor allem eines herrschen: Ordnung. Einerseits müssen wir erkennen, dass die Repression in Deutschland noch bei Weitem nicht so offen und unverstellt gegen uns vorgeht wie in anderen Ländern. Noch haben wir hier die Möglichkeit, uns relativ offen treffen und auf der Straße zeigen zu können. Und das müssen wir nutzen! Andererseits dürfen wir aber nicht die Augen davor verschließen, dass auch in Deutschland bereits heute politische Gefangene in Isolationshaft sitzen und antifaschistische Aktivist:innen gezielt mit dem Paragraphen 129 des Strafgesetzbuch als Terroristen deklariert und weggesperrt werden. Wir sehen auch, wie schnell zum Beispiel Sozialproteste wie jetzt gerade im heißen Herbst ideologisch durch den deutschen Staat bekämpft werden. Und wir sehen auch, wie der Antisemitismus-Vorwurf gezielt ideologisch eingesetzt wird, um große Teile nicht nur der revolutionären, sondern zum Beispiel auch der gemäßigten Klimabewegung zu kriminalisieren. Können wir genau sagen, wie Repression zukünftig aussieht? Nein. Aber wir wissen, dass der Staat sicherlich nicht weniger unterdrückerisch werden wird.

Was kann ein Bündnis wie das Revolutionäre Solidaritätsbündnis in diesem Zusammenhang anbieten?

Dadurch, dass uns zum Beispiel auch der Verein Rote Hilfe unterstützt, können wir direkt von Repression Betroffene relativ schnell an beratende und unterstützende Strukturen verweisen. Das ist aber nicht unser Hauptanliegen. Wir wollen weiterhin kämpferisch unsere politische Antwort auf die Repression vertreten und dafür Bewusstsein schaffen, dass die beste Reaktion auf Repression immer ist, weiter revolutionäre Politik zu machen. Denn eins ist klar: Vorbei ist es mit der Repression sowieso erst, wenn die Herrschenden entmachtet sind und wir ein System aufgebaut haben, in dem wir unsere eigenen Interessen als Arbeiter:innen, Frauen, Jugendliche, LGBTI+ und Migrant:innen durchsetzen können.

Kontakt zum Revolutionären Solidaritätsbündnis: rev_soli@proton.me

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