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Lauterbach hat recht: „Praxen müssen denen gehören, die dort arbeiten“ – aber anders als er denkt

Gesundheitsminister Lauterbach will gegen den Anstieg von Investoren im medizinischen Sektor vorgehen. Die Bündelung in „Medizinischen Versorgungszentren“ durch profitorientierte Unternehmen sehen auch die Gesundheitsministerien der Länder kritisch. Kann der Vorstoß gegen die Monopolisierung erfolgreich sein? – Ein Kommentar von Gillian Norman.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will einen Riegel davor schieben, „dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen“, wie er gegenüber der BILD-Zeitung erklärte. Dabei geht es um die ambulante Versorgung von Patient:innen, bei der immer mehr Praxen in die Hände weniger Investor:innen oder Unternehmen geraten.

Denn der Gesundheitssektor – und im besonderen der Bereich der Augenheilkunde – ist für Spekulanten sehr attraktiv. Laut der ARD-Sendung Panorama wurden im Jahr 2021 mindestens hunderte Arztpraxen von Finanzinvestoren aufgekauft, die auf hohe Gewinne spekulieren – genau Zahlen gibt es aber nicht und sie könnten noch deutlich höher liegen.

Dazu bestätigte das Bundeskartellamt auf Nachfrage von tagesschau.de, dass die Zukäufe von großen Augenarztketten nicht kontrolliert wurden, da aufgrund niedriger Umsatzschwellen der einzelnen Praxen keine Bedenken wegen einer marktbeherrschenden Stellung bestünden.

Zentralisierte Versorgungszentren als Folge

Ein gängiges Vorgehen der Investoren beim Aufkaufen einzelner Praxen ist dabei, dass verschiedene Arztpraxen zu sogenannten „medizinischen Versorgungszentren“ (MVZ) zusammengelegt werden. Dort arbeiten dann meistens Ärzt:innen aus verschiedenen Fachbereichen gemeinsam unter einem Dach.

Die Ärzt:innen sind dabei jedoch nicht – wie bei Einzel- oder Gemeinschaftspraxen üblich – die Eigentümer:innen, sondern befinden sich in einem Angestelltenverhältnis. Eigentümer:innen sind große und oft internationale Finanzinvestoren. Und diese rechnen in den MVZ laut Recherchen des SWR höhere Behandlungskosten als normale Arztpraxen ab.

Die Gesundheitsministerien der Länder wollen gegen die Übernahme von Arztpraxen und Bündelung in MVZ vorgehen. Das Bundesgesundheitsministerium beschreibt die MVZ dagegen als „attraktive Form der Berufsausübung“ für junge Ärzt:innen, die von flexibleren Arbeitszeiten profitieren könnten. Außerdem würde diese Art der Organisation die Effizienz und den Informationsaustausch verbessern.

Ein reibungsloserer Ablauf im Gesundheitssektor wäre natürlich ein Fortschritt – aber führt diese profitorientierte Zentralisation wirklich zu einer besseren Versorgung der Patient:innen?

Die Krise des Gesundheitssektors

Die reale Situation im Gesundheitssektor zeigt ein anderes Bild. Immer mehr Kliniken müssen schließen und Patient:innen warten immer länger auf Haus- oder Facharzttermine oder finden aufgrund von Aufnahmestopps keine Ärzt:innen. Denn sowohl Ärzt:innen, als auch Pflegende in den Kliniken arbeiten seit Jahren an oder über der Belastungsgrenze.

Die profitorientierte Zentralisation ist auch nicht nur bei den Arztpraxen ein Problem. Immer mehr Kliniken müssen aufgrund von wirtschaftlichen Problemen schließen, da sie nur unter großen Schwierigkeiten Kredite erhalten.

Kliniken oder MVZ hinter denen große Investoren stehen haben da bessere Bedingungen und können so die Krise überstehen und danach aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung noch höhere Preise verlangen. Die Herausbildung von wenigen Monopolen ist aber natürlich kein Zufall – sondern eine Gesetzmäßigkeit im kapitalistischen System, das von Konkurrenz um Profite getrieben wird.

„Die Versorgungslage im Gesundheitswesen verschlechtert sich dramatisch!“

Gesundheitssystem ohne Profitorientierung?

Lauterbachs Vorstoß gegen den Aufkauf von Arztpraxen vorzugehen und somit der Monopolisierung entgegenzuwirken hört sich erst einmal wie ein Fortschritt an. Jedoch bleibt abzuwarten wie der angekündigte Gesetzesentwurf aussehen wird und das ganze umgesetzt werden soll.

Der Vorsitzende des Lobbyverbands Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren sagte bereits: „Keiner von uns ist darauf aus, schnelles Geld zu machen“. Und da die Lobbyverbände durch das Mitwirken in Expertengruppen gerne an den Gesetzgebungsverfahren mitarbeiten, könnte diese wahrlich glaubhafte Aussage vielleicht auch Lauterbach zum Umdenken bringen.

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Sollte der Staat aber beispielsweise die fehlenden Profite kleiner Arztpraxen mit Hilfszahlungen ausgleichen, wird das ganze von den Steuergeldern der Arbeiter:innenklasse getragen – und nicht von den Milliardenprofiten der Konzerne, die sich in Krisenzeiten bereichern. Auch das wäre für die Finanzinvestoren vermutlich verkraftbar. Dann können sie eben in der nächsten Krise, wenn die Preise explodieren, zuschlagen.

Die Forderung nach einem Gesundheitssystem, das bedürfnisorientiert und nicht profitorientiert arbeitet, gibt es regelmäßig. Doch diese Forderung wird nicht eingelöst, wenn man ein paar Arztpraxen davor bewahrt von Investoren aufgekauft zu werden.

Die Arztpraxen und Kliniken sind auf so vielen Ebenen an das profitorientierte System gebunden – sei es die Anschaffung neuer Technik, der Kauf von Medikamenten, die Bezahlung von Arbeitskräften oder der Kauf oder die Anmietung von Räumlichkeiten. Das Gesundheitssystem kann also nicht abgetrennt des kapitalistischen Systems existieren.

Praxen müssen denen gehören, die dort tatsächlich arbeiten!

Gegen die Unterbezahlung von Praxisangestellten oder Pflegekräften müssen wir natürlich trotzdem kämpfen. Genauso auch dafür, dass Patient:innen schneller Termine bekommen und dass alle Notwendigen Behandlungen von den Krankenkassen übernommen werden.

Die Aussage Lauterbachs, dass die Praxen denen gehören sollen, die dort tatsächlich arbeiten, hört sich natürlich auch erst einmal richtig an. Er meint damit aber nur, dass die Praxen den gut bezahlten Ärzt:innen und nicht irgendwelchen Finanzinvestoren gehören sollen. Dass ein paar mehr Menschen in einer Arztpraxis arbeiten, die genau so mitbestimmen sollten, hat er dabei mal schnell vergessen.

Doch auch eine Art „genossenschaftliches“ Modell in welchem die Mitarbeiter miteigentümer:innen ihrer Praxis würden reicht nicht – denn das Gesundheitssystem ist so umfassend, dass es eine systematische Planung und Organisierung benötigt, damit alles opitimal ineinander greift.

Denn nur, wenn die Produktion von Technik und Medikamenten, der Besitz von Immobilien und auch der Staat vergesellschaftet und unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter:innen ist, kann das Gesundheitswesen bedürfnisorientiert arbeiten.

Gillian Norman
Gillian Norman
Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

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