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Montag, April 29, 2024
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    Mindestlohnerhöhung besiegelt „Armut trotz Arbeit“

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    Im laufenden Jahr soll keine Mindestlohnerhöhung kommen, in den nächsten beiden Jahren sollen es jeweils auch nur Cent-Beträge werden. Die Teuerungen fressen derweil die gesamte Erhöhung und noch mehr auf. Welches Kalkül dahinter steckt und wie wir den Herrschenden einen Strich durch die Rechnung machen – ein Kommentar von Enver Liria.

    Viele Menschen haben sich gefreut, als die Pläne zur Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro die Stunde bekannt wurden. Es waren schließlich knapp sechs Millionen Menschen, die bis zur Einführung des 12-Euro-Mindestlohns noch weniger als das pro Stunde verdient haben – also etwa 16% aller Beschäftigten im Land, oder jede:r sechste Arbeiter:in. Doch die Realität brachte schnell Ernüchterung.

    Als 2015 der Mindestlohn eingeführt wurde, betrug er 8,50 Euro. Dementsprechend bekam man damals für eine Vollzeitstelle knapp 1.450 Euro monatlich. Auf diesem niedrigen Niveau bleib der Mindestlohn sehr lange, mit ein paar kleineren Erhöhungen. Seit Oktober 2022 liegt er bei 12 Euro pro Stunde oder rund 2.000 Euro im Monat brutto.

    Diese Erhöhung mag auf den ersten Blick wie ein großer Sprung wirken, sie bleibt allerdings weit hinter den Preisentwicklungen zurück. Die offiziellen Inflationsraten blieben lange Zeit im hohen einstelligen Bereich und sind es immer noch. Die sogenannte „gefühlte Inflation“, also die tatsächliche Preissteigerung, die die Arbeiter:innen tagtäglich erleben, geht weit darüber hinaus: Im Mai habe sie bei 18% gelegen – also dreimal so hoch wie die angegebene Inflation von 6,1%.

    Nun wurde eine erneute “Erhöhung” des Mindestlohns angekündigt, die in Anbetracht der Teuerungen noch viel weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Anfang nächsten Jahres soll der Mindestlohn auf 12,41 Euro angehoben werden, ein Jahr später auf 12,82 Euro.

    Zu der weiteren Verarmung der Ärmsten, kommt nun auch die Verarmung der Menschen in Ausbildungsberufen, die lange Zeit gar keine Lohnerhöhungen bekommen haben, oder wie bei den aktuellen Tarifrunden Reallohnsenkungen hinnehmen müssen.

    Ein Blick auf die Tarifgruppen verdeutlicht das Problem: Eine Bäckerin verdient derzeit in der mittleren Tarifgruppe 14,70 Euro pro Stunde, was einem Monatseinkommen von 2.426 Euro entspricht. Eine Einzelhandelskauffrau in Nordrhein-Westfalen steigt sogar mit nur 13,50 Euro pro Stunde ein. Es ist schwer zu argumentieren, warum der Lohn für eine gelernte Tätigkeit nur knapp über dem Mindestlohn liegen soll.

    Darum ist der Mindestlohn so wichtig

    Der Mindestlohn hat Auswirkungen auf alle anderen Löhne. Steigt er, steigt das generelle Einkommen der Arbeiter:innen. Deshalb ist es im Interesse der Kapitalist:innen, ihn niedrig zu halten, während es im Interesse der Arbeiter:innen ist, ihn zu erhöhen. Hier zeigt sich der grundlegende Widerspruch zwischen diesen beiden Seiten: Denn wir Arbeiter:innen müssen unsere Arbeitskraft verkaufen, um damit Lebensmittel, Miete, kulturelle Teilhabe und alles Sonstige bezahlen zu können, während die Chef:innen die Löhne so niedrig halten möchten wie möglich, ja sogar weniger zahlen wollen, als ihre Beschäftigten für die Befriedigung ihrer grundlegenden Bedürfnisse brauchen.

    Ganz konkret bedeutet diese Politik der Armutslöhne, dass für die Arbeiter:innen die Lebensqualität sinkt: Es wird weniger an gutem, gesunden Essen gekauft, anstelle von Kinobesuchen gibt es Youtube-Videos, der Urlaub in Italien fällt aus und muss dem Ausflug nach Balkonien weichen – wenn es überhaupt einen Balkon gibt.

    Hinter diesem Streit verbirgt sich die Frage: Wie wenig darf ein Mensch verdienen? Wann ist die Armut so verheerend skandalös, dass die Arbeiter:innen nicht noch weiter ausgepresst werden dürfen? Klar ist, dass auch die Ampel-Koalition mit ihrem pseudo-progressiven Auftritt nichts an dieser Abwärtsspirale ändert, sie sogar noch weiter schraubt. Es braucht dringend eine Kehrtwende! Eine echte und starke Arbeiter:innenbewegung muss sich dieses Problems annehmen und mit Streiks ausreichende, also höhere Löhne durchsetzen. Eine Arbeitszeitverkürzung ist ebenfalls längst überfällig.

    • Schreibt seit 2019 für Perspektive-Online. Lebt im Bergischen Land und arbeitet als Informatiker. Seine Kommentare handeln oft von korrupten Eliten und dem deutschen Imperialismus. Lieblingszitat: „Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden. “ (F. Engels)

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