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Montag, April 29, 2024
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    Der Höhenflug der AfD: Falsche und echte Alternativen

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    Wahl aus Protest gegen die Regierung oder alles Nazis? Der parlamentarische Erfolg der AfD wirft erneut die Frage auf, mit welchen Mitteln Faschist:innen die Menschen an sich ziehen und wie unsere Alternative als klassenkämpferische Arbeiter:innen aussehen muss. – Ein Kommentar von Ivan Barker

    Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung aus SPD, Grünen und FDP wächst. Wurde mit der Bundestagswahl 2021 zwar nach acht Jahren die „Große Koalition“ aus CDU und SPD abgelöst, führt die neue „Ampel“ doch den alten Kurs weiter: Politik für die Interessen der deutschen Großkonzerne, wie man sie gerade an der Kürzungspolitik sehen kann, während die Rüstungsausgaben hochgefahren werden.

    Die nachlassende Zustimmung für die Regierung führt aber nicht automatisch dazu, dass arbeiterfreundliche Kräfte erstarken. Stattdessen profitiert vor allem die „Alternative für Deutschland“ (AfD). Seit ihrer Gründung 2013 als Partei rechts von CDU und CSU, die ihren faschistischen Charakter immer offener zeigt, hat sie es längst geschafft, sich in der politischen Landschaft zu etablieren. Das bestätigen zuletzt ihre hohen Umfragewerte von 20 Prozent und die Wahl des ersten AfD-Landrats im Thüringer Landkreis Sonneberg.

    Woher kommen die 20 Prozent?

    In Reaktion auf diese Erfolge überschlagen sich die Erklärungsversuche, wie es so weit kommen konnte. Gerade die 2024 anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen leiten den Blick nach Ostdeutschland. Hier waren die Wahlergebnisse der AfD in der Vergangenheit bereits am höchsten und auch heute erreicht sie hier ihre stärksten Umfragewerte.

    Einen Erklärungsansatz meint eine Studie des an der Universität Leipzig angesiedelten “Else-Frenkel-Brunswik-Instituts” gefunden zu haben. Aus einer Befragung von 3.546 Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern wird die Schlussfolgerung gezogen, dass „soziodemografische Faktoren“, also zum Beispiel die Höhe des Einkommens, „nur geringen Einfluss auf die rechtsextreme Einstellung“ hätten. Stattdessen würde die „größte Erklärungskraft in der Analyse […] eine Verschwörungsmentalität und der Wunsch nach autoritärer Unterwerfung“ bieten.

    Auch wenn der Hinweis auf psychologische Faktoren im Prinzip richtig ist, wird der Zusammenhang mit der Entwicklung der Lebenslage weiter Teile der Bevölkerung mit dieser Aussage verklärt: Wirtschaftskrisen und imperialistische Kriege führen heute nicht nur genauso zur Verarmung von Arbeiter:innen und Kleinbürger:innen wie vor 100 Jahren, sondern bedrohen auch immer mehr die gewohnte Lebensweise von vielen. Die diesbezügliche Angst bei den Menschen, die sich z.B. auch in einer Sehnsucht nach starken Führern äußern kann, nutzen die Faschist:innen aus und sprechen sie an. Dabei liegt ihre Ursache aber letztlich in der Funktionslogik des Kapitalismus, der Wirtschaftskrisen und Kriege gesetzmäßig hervorbringt. Dies herauszustellen war und bleibt eine zentrale Aufgabe für fortschrittliche Kräfte.

    Auch die herrschende Kapitalist:innenklasse muss Antworten auf die Nöte der Arbeiter:innen finden, um deren wachsende Wut einzufangen und ihre eigene Stellung zu sichern. In der Geschichte hat sich gezeigt, dass dort, wo dies mithilfe von Parlamenten und bürgerlicher Demokratie nicht mehr gelingt, das Kapital oft auf eine faschistische Terrorherrschaft setzt: Sind die Faschist:innen erst an der Macht, fungieren sie als die aggressivsten Vertreter:innen des Finanzkapitals, also des mächtigsten Teils der Kapitalist:innenklasse, unterdrücken die Arbeiter:innenbewegung und rüsten zum Krieg.

    Für oder gegen „die Eliten“?

    Auch die AfD vertritt offen und radikal kapitalistische Interessen: Ihre eigene Darstellung als „Anti-Eliten-Partei“ ist nichts weiter als Etikettenschwindel, um auch die ausgebeuteten Teile der Bevölkerung für sich zu gewinnen. So tritt sie zum Beispiel ein für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr, die Wiedereinführung der Wehrpflicht und den Einsatz der Armee im Innern. Sie versucht gleichzeitig, mit ihrer Hetze gegen Migrant:innen, Geflüchtete und vor allem Muslim:innen ebenso wie gegen LGBTI+-Personen verschiedene Teile der Arbeiter:innenklasse gegeneinander aufzuhetzen.

    In der aktuellen Situation, die durch Klimawandel, den Krieg um die Ukraine und kapitalistische Wirtschaftskrisen geprägt ist, versteht sie es, die dadurch hervorgerufenen Nöte vieler Menschen aufzugreifen. Ihr Erfolg dabei kommt nicht plötzlich, sondern ist das Ergebnis einer langjährigen, strategischen Propagandaarbeit entlang den beschriebenen inhaltlichen Linien. Auch sind nicht plötzlich viel mehr Menschen weit nach rechts gerückt – das Wähler:innenpotential für faschistische Parteien wurde schon früher auf ca. 20 Prozent in Deutschland geschätzt.

    Der Unterschied der AfD zu anderen faschistischen Parteien besteht darin, dass sie es schaffen, dieses Potential zu heben und besonders rechte Teile der anderen Parteien von sich zu überzeugen. Dafür sorgt allein schon ihr Spitzenpersonal: So war zum Beispiel Alexander Gauland, früherer Fraktionsvorsitzender und heute Ehrenvorsitzender, jahrzehntelang ein führender Funktionär der hessischen CDU und von 1987 bis 1991 sogar Leiter der Hessischen Staatskanzlei.

    An der Basis spielt ihnen die Krise des bürgerlichen Parteiensystems noch mehr in die Hände: CDU, SPD, FDP und Grüne waren in den letzten Jahren alle an Regierungen beteiligt und führten die für die Kapitalist:innen notwendigen Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse durch. Dadurch scheint es ein Leichtes, alle Probleme auf die jeweilige Regierung zu schieben. So wird das Abwälzen der Kosten für die Umstellung der Energieversorgung des deutschen Kapitals auf die Arbeiter:innenklasse nach Darstellung der AfD zu einem „grünen Kulturkampf“, wobei es sich eigentlich um Klassenkampf von oben handelt.

    Gleichzeitig erhält die AfD Schützenhilfe aus den anderen Parteien: Innerhalb der Linkspartei etwa hat Sahra Wagenknecht die Hetze der AfD gegen Geflüchtete faktisch übernommen und erhält dafür Applaus von Höcke und Co. CDU-Chef Merz kündigte großspurig an, die AfD „halbieren“ zu wollen und ist ihr stattdessen inhaltlich nach rechts nachgelaufen. Wie lange die CDU ihre „Brandmauer“ gegen die AfD noch aufrecht erhält, bleibt abzuwarten. Wobei diese bereits einige Löcher hat: Auf kommunaler Ebene stimmt die CDU besonders oft gemeinsam mit der AfD ab.

    Gemeinsam gegen den Faschismus

    Die AfD hat die Fähigkeit, reale Probleme unserer Klasse aufzugreifen, in ihren „Lösungen“ aber gleichzeitig unseren Interessen direkt entgegen zu handeln. Deswegen sind nicht alle ihrer Wähler:innen Nazis, auch wenn die Partei faschistisch ist. Anstatt uns als Antifaschist:innen daraufhin die falschen, einfachen Auswege zu suchen, indem wir keinen Unterschied zwischen AfD-Sympathisant:innen und gefestigten Neonazikader:innen machen, müssen wir den Kampf gegen ihren Einfluss in der Gesellschaft aktiv führen.
    Hysterie ist angesichts der steigenden Umfragewerte heute genauso unangebracht wie 2017, als die AfD erstmals in den Bundestag einzog. Ihre politische und organisatorische Stärkung über die Jahre ist trotzdem auch ein Zeichen der Schwäche linker Organisationen, die es nicht ausreichend geschafft haben, dem etwas entgegenzusetzen.

    Dabei kennen wir eine reale Alternative zum Kapitalismus – den Sozialismus. In einer Gesellschaft, in der die Arbeiter:innen die Wirtschaft in ihrer Hand halten und planen, gibt es weder Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit noch die Notwendigkeit, andere Länder in Kriegen zu unterwerfen und sie auszurauben. Für Spaltung und Konkurrenz gibt es keinen Platz, wenn die solidarische Zusammenarbeit aller Teile unserer Klasse durch das System nicht mehr unterdrückt, sondern gefordert wird.

    Um den Sozialismus zu erkämpfen, müssen wir heute selbst aktiv werden. Der Kapitalismus, trotz all seiner Krisen, entlarvt sich vor den Augen der Menschen nicht komplett von selbst. Wer nach Auswegen sucht, muss von uns angesprochen, erreicht werden. Wir als klassenkämpferische Arbeiter:innen müssen die richtigen Erklärungen für die Ursachen steigender Preise liefern, bevor die Faschist:innen ihre Märchen verbreiten. Wir müssen diejenigen sein, die gemeinsam mit Migrant:innen für höhere Löhne kämpfen, anstatt uns anhand unserer Herkunft spalten zu lassen. Wir dürfen nicht müde werden, klarzustellen: Ein System, das darauf beruht, möglichst großen Profit für ein paar wenige Menschen auf Kosten der großen Mehrheit zu erzielen, wird niemals eine wirkliche Lösung anzubieten haben. Denn zu ihm gehören Konkurrenz, Spaltung nach Geschlecht, Herkunft und Nationalität, Kriege zur Unterwerfung anderer Länder, Ausbeutung und Unterdrückung.

    In Organisationen, in denen wir gemeinsam Kämpfe gegen Angriffe auf unsere Klasse führen, in denen wir gemeinsam lernen und uns weiterentwickeln, können wir auch schon heute zeigen, wer unsere Freund:innen und wer unsere Feinde sind: Nicht unser migrantischer Kollege oder unsere arbeitslose Nachbarin, sondern es sind die Banken und Konzerne.
    Den Faschismus wirklich verhindern werden wir aber erst können, wenn wir auch den Kapitalismus von der Erde gefegt haben. Dafür müssen alle Vertreter:innen der Banken und Konzerne weg, egal welches Kürzel oder welche Farbe sie tragen. Als Arbeiter:innen unser Schicksal eigenständig in die Hand zu nehmen, mag zwar wie ein weit entfernter Traum klingen, ist aber näher an der Realität als alle Geschichten, die Faschist:innen unseren Klassengeschwistern versuchen aufzutischen. Sind wir davon überzeugt und kommen in die Lage, auch andere davon zu überzeugen und mitzunehmen, dann werden wir zu jeder Zeit gemeinsam Schritte in Richtung Sozialismus gehen können.

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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