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Gewalt gegen Geflüchtete: Morde an der Grenze zwischen Saudi-Arabien und Jemen

In einem Bericht wirft die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ dem Königreich Saudi-Arabien vor, gezielt äthiopische Geflüchtete zu ermorden. Nicht nur Saudi-Arabien, sondern auch die großen imperialistischen Staaten wie die USA oder Deutschland nehmen tote Geflüchtete zur Sicherung der eigenen Interessen immer wieder billigend in Kauf.

„They fired on us like rain“, zu Deutsch in etwa: „sie ließen Schüsse auf uns regnen“ – Diese, aus einem Interview mit einem äthiopischen Geflüchteten entnommene Aussage ist der Titel eines Berichts von Human Rights Watch über zahlreiche getötete Geflüchtete an der Grenze zwischen Saudi-Arabien und dem Jemen. Dort sollen zwischen März 2022 und Juni 2023 hunderte von Geflüchteten von saudischen Grenzschützer:innen gezielt erschossen worden sein. Saudische Grenzsoldaten haben offenbar auch Sprengstoffwaffen eingesetzt und Menschen aus nächster Nähe erschossen, darunter auch Frauen und Kinder. Andere Geflüchtete wurden schwer verletzt und vorsätzlich verstümmelt.

Human Rights Watch wertete für den Bericht Interviews mit 38 äthiopischen Geflüchteten aus, die versucht hatten, Saudi-Arabien vom Jemen aus über den Landweg zu erreichen. Zusätzlich wurden rund 350 Bild- und Videomaterialien von versuchten Grenzübergängen gesichtet und analysiert. Der Bericht lässt den Schluss zu, dass die Tötungen auch derzeit noch weitergehen. Das saudische Königshaus hingegen weist die Anschuldigungen als haltlos zurück.

Tatsächlich sind die nun durch den Bericht bekannt gewordenen Tötungen von Geflüchteten nur eine Fortführung der jahrelangen und gewaltvollen saudischen Politik gegen äthiopische Einwander:innen. Im Jahr 2020 waren durch Videoaufnahmen die unwürdigen Haftbedingungen für „illegale“ äthiopische Einwander:innen in Saudi-Arabien öffentlich und sichtbar geworden. Bereits 2013 war es demzufolge zu einer Welle von Gewalt und Inhaftierungen gegen äthiopische Gastarbeiter:innen gekommen.

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Gewalt an Grenzen ist im Imperialismus keine Ausnahme

Der Bericht wird momentan in vielen deutschen Medienhäusern aufgegriffen und mit einiger Empörung weiter verbreitet. Ein besonderes Augenmerk wird vielerorts darauf gelegt, dass Saudi-Arabien besonders in diesem Sommer mit massiven Investitionen in die eigene nationale Fußballliga und mit der Verpflichtung von mehreren international bekannten Fußballstars zu unsagbar hohen Summen das eigene Image weltweit aufzupolieren versucht. Damit lenkt das Land auch von den eigenen Gewalttaten, etwa hier an der Grenze, ab.

Die saudische Einwanderungspolitik mit gewalttätigen Mitteln ist aber keine Ausnahmeerscheinung. Tatsächlich folgt die Politik des Königreichs der gleichen Logik wie die Einwanderungspolitik in anderen großen imperialistischen Ländern, zum Beispiel den USA und Deutschland. Nach dieser Logik werden die eigenen Grenzen selektiv abgeschottet und Migrant:innen auf dieser Grundlage in ein streng hierarchisch gegliedertes System der Arbeitsteilung einsortiert.

In Saudi-Arabien heißt das, dass Top-Fachkräfte – zum Beispiel aus westlichen Ländern oder China – einige Vorzüge genießen, um ihre Expertise für die saudischen Konzerne und deren wirtschaftliche Großprojekte nutzbar zu machen. Millionen von Arbeitsmigrant:innen aus Südostasien werden hingegen streng kontrolliert ins Land gelassen, um die notwendigen alltäglichen Arbeiten im Königreich zu verrichten. Besonders äthiopische Geflüchtete werden jedoch trotz des großen saudischen Bedarfs an Arbeitsmigrant:innen zur Abschreckung gezielt getötet, um die eigenen nationalen Grenzen intakt zu halten und die Kontrolle über die Migration zu behalten und zur Schau zu stellen.

Nach dem gleichen Muster kommt es auch in den USA immer wieder zu Erschießungen und bewusst unterlassenen lebensnotwendigen Hilfeleistungen. Durch unmittelbare Gewaltanwendung – darunter auch Schusswaffengebrauch, Kollisionen mit Fahrzeugen, unterlassene Hilfe, außerdienstliche Morde oder andere Maßnahmen – sind so bereits 278 Migrant:innen seit 2010 an der amerikanisch-mexikanischen Grenze bei Zusammenstößen mit US-Grenz-Schützer:innen ums Leben gekommen.

Doch auch in Europa werden Tote an den EU-Außengrenzen in Kauf genommen, um die Migration zu kontrollieren: Im Mittelmeer sind derzeit allein im laufenden Jahr bereits über 2.000 Geflüchtete während des Versuchs, europäisches Festland zu erreichen, ertrunken. Seit dem Jahr 2014 sind es damit heute schon mehr als 27.000 Geflüchtete, die im Mittelmeer ums Leben gekommen sind.

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