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Montag, April 29, 2024
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    Nach dem Militärputsch in Niger: droht ein neuer Stellvertreterkrieg in Afrika?

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    Nach dem Militärputsch vom 26. Juli spitzt sich die Situation in einem der ärmsten Länder der Welt zu – mehrere afrikanische Staaten drohen mit einer Intervention, andere stellen sich an die Seite der Putschisten. Über die Rolle von Armut, Uran, Neokolonialismus und dem Wettkampf der imperialistischen Mächte in Afrika – Ein Kommentar von Gillian Norman.

    Am 26. Juli übernahmen bei einem Militärputsch in westafrikanischen Niger Soldat:innen der Präsidentengarde die Macht. Den zuvor regierenden Präsident Mohamed Bazoum setzten sie nach eigener Aussage wegen einer schlechten Regierungsführung und Sicherheitslage ab. Eine sogenannte Militärjunta – also eine Gruppe von hohen Militäroffizieren – hat nun die Funktionen der Regierung übernommen.

    Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hatte nach dem Putsch mit einer Militärintervention gedroht und ein Ultimatum gesetzt, das am Sonntag ablief. Unter anderem vom Nachbarland Algerien, das nicht zur ECOWAS gehört, gab es allerdings Einwände dagegen. Die Militärjunta Nigers begann am Montag nach Ablauf des Ultimatums den Luftraum zu sperren und bereitet sich auf eine mögliche Intervention vor. Die Gründe für die sich nun zuspitzende Situation sind vielfältig, haben aber doch eine gemeinsame Ursache.

    Armut in Niger

    Niger zählt zu einem der ärmsten Länder der Welt. Trotz der großen Rohstoffvorkommen liegt das Land im „Human Development Index“ der Vereinten Nationen auf Platz 189 von 191. Große Teile der Bevölkerung haben mit Mangelernährung zu kämpfen, nur die Hälfte hat Zugang zu sauberem Trinkwasser und nur 16% kann angemessene Sanitäreinrichtungen nutzen.

    Gleichzeitig wächst die Bevölkerung jährlich um 400.000 Menschen. Zwischen 2002 und 2021 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner:innen von 12 auf 25 Millionen. Besonders Kinder sind von der schlechten wirtschaftlichen Situation betroffen. Ein Drittel der unter Fünfjährigen ist unterernährt und die Kindersterblichkeit liegt bei 11,5 Prozent.

    Zu der absoluten Armut des Landes kommt auch eine große relative Armut. So leben 40 Prozent der Menschen unter der nationalen Armutsgrenze, die sowieso schon weit unter der Armutsgrenze imperialistischer Staaten wie Deutschland oder Frankreich liegt. Für die schlechte wirtschaftliche Lage in Westafrika werden von der Bevölkerung auch ausländische Imperialisten verantwortlich gemacht.

    “Antiwestliche” Stimmung in der Bevölkerung und bei Putschisten

    Erst 2022 war es zu einem Militärputsch in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso gekommen. Dort intensivierten sich danach aber die Kämpfe zwischen islamistischen Kräften und der militärischen Führung.

    Laut deutschen Geostrategen gibt es in Niger eine „antiwestliche Stimmung, die die Regierung unterdrücken wollte“. Diese Repression kam letztendlich aber den Putschisten zu Gute, die die Stimmung in der Bevölkerung ausnutzten und damit auch ihre eigenen Interessen legitimieren.

    In der Berichterstattung über den Militärputsch in Niger wurde immer wieder betont, dass dies die „einzige Demokratie“ in der Region sei und der Putsch dem einen großen Schaden zugefügt hat. Während sich das Interesse an den Entwicklungen in den westafrikanischen Staaten sonst eher zurückhält, zeigt sich zurzeit eine besondere Aufmerksamkeit. Ein Grund dafür ist die wichtige geostrategische Situation der Sahelzone.

    In westafrikanischen Ländern wie Niger, Mali und Burkina Faso gibt es einen großen internationalen Machtkampf um den politischen und ökonomischen Einfluss. Der imperialistische Block der NATO mit – in diesem Fall – Frankreich und Deutschland an der Spitze steht in einem Kampf mit dem imperialistischen Block um China und Russland, wobei es wiederum innerhalb der beiden Blöcke gegensätzliche ökonomische Interessen gibt.

    Frankreichs Interessen in Westafrika

    Frankreichs Energiesektor ist im Gegensatz zu anderen Ländern der EU unabhängiger von fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas. Trotzdem werden Rohstoffe benötigt, vor allem der Brennstoff Uran, der für die Kernspaltung genutzt wird. Daher war eigentlich geplant, die Militärpräsenz in Niger weiter zu erhöhen.

    Gegen Migration und für Uranvorkommen: EU will Militärpräsenz in Niger erhöhen

    Um den ökonomischen Einfluss abzusichern hat Frankreich noch immer mehr als eintausend Soldat:innen in Niger stationiert. Auch im benachbarten Mali war Frankreich mit mehreren tausend Soldat:innen vertreten, wurde nach dem Militärputsch jedoch aus dem Land gedrängt.

    Der offizielle Grund für die Einsätze war und ist die Bekämpfung islamistischer Terrormilizen in der Sahelzone. Diese oberflächliche Begründung ist zwar nicht falsch, jedoch ist der Grund für die Bekämpfung der Milizen nicht eine Befreiung der Bevölkerung, sondern die Angst, dass die eigenen Produktionsketten eingeschränkt werden könnten.

    Der französische Atomkonzern Orano besitzt drei große Uranminen im Niger, wozu auch das zweitgrößte Uranvorkommen der Welt gehört. Die Profite, die von französischen Unternehmen mit der Uranförderung gemacht werden, fließen allerdings größtenteils direkt ins imperialistische Zentrum nach Frankreich. Doch auch dort konzentrieren sich die Profite weiter in den Händen weniger Kapitalist:innen, während die Armut unter Arbeiter:innen steigt.

    Eine eigene militärische Intervention Frankreichs ist aufgrund der wirtschaftlichen Situation im eigenen Land derzeit mit hohen Kosten verbunden, da ein Einsatz große zusätzliche Ausgaben für das Militär bedeuten würde. Bei einer sich zuspitzenden Situation könnte dies allerdings trotzdem in Betracht gezogen werden, da die Sicherung des Zugangs zu den nigerischen Uranvorkommen durchaus relevant für die Wirtschaft Frankreichs ist.

    Als ersten Schritt hat Frankreich nun aber die „Entwicklungshilfen“ für das Nachbarland Burkina Faso eingestellt, da dessen Militärregierung sich hinter die Militärregierung in Niger gestellt hatten.

    Kommt es zu einem neuen Stellvertreterkrieg?

    Der abgesetzte Präsident Bazoum erklärte vor wenigen Tagen: „Ich schreibe dies als Geisel. Niger wird von einer Militärjunta angegriffen, die versucht, unsere Demokratie zu stürzen, und ich bin nur einer von Hunderten von Bürgern, die willkürlich und unrechtmässig inhaftiert wurden“. Damit richtete er sich vor allem an die westlichen Imperialisten und forderte diese auf, dabei zu helfen, die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen.

    Die nun herrschende Militärjunta, die vor allem vom russischen Imperialismus unterstützt wird, bat dagegen die faschistische Wagner-Gruppe, die auch schon die Putschisten in Mali unterstützt, um Hilfe.

    Wie die ECOWAS in den kommenden Tagen reagieren wird, bleibt abzuwarten. Sollten die benachbarten Staaten allerdings in Niger einmarschieren, könnte ein neuer Stellvertreterkrieg im Interesse der verschiedenen imperialistischen Staaten entstehen. Leiden würden dadurch besonders die Arbeiter:innen, deren Armut sich weiter verschärfen würde.

    • Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

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