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Sonntag, April 28, 2024
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    Kein gesichertes Recht auf körperliche Selbstbestimmung im Kapitalismus

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    Heute ist der “Safe abortion Day”, der internationale Tag für sichere und legale Abtreibungen. Ein konsequenter Kampf um körperliche Selbstbestimmung wird antikapitalistisch sein müssen. – Ein Kommentar von Elodie Fischer

    Im Juni 2022 wurde der Paragraph 219a gestrichen, der Gynäkolog:innen verbot, öffentlich darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Diese große Errungenschaft, die den Betroffenen Informationsmöglichkeiten und Zugänglichkeit zu medizinischer Versorgung erleichtert, ist jedoch nicht das Ende des Kampfes um körperliche Selbstbestimmung.

    Seit dem 15. Mai 1871, also seit über 150 Jahren, ist in Deutschland der Paragraf 218 in Kraft, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert. Abtreibungen werden im deutschen Strafgesetzbuch direkt nach Tötungsdelikten gelistet und bleiben rechtswidrig, auch wenn sie unter bestimmten Indikationen nicht unter Strafe gestellt werden. Führt die schwangere Person ein Beratungsgespräch bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle durch und findet die Abtreibung vor der 14. Schwangerschaftswoche statt, bleibt der Schwangerschaftsabbruch straffrei. Die körperliche Selbstbestimmung Schwangerer wird also weiterhin maßgeblich durch drohende Kriminalisierung und Auflagen eingeschränkt.

    Ohne Recht auf Abtreibung keine Frauenbefreiung

    Versuche, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einzuschränken, sind eng verwoben mit der Unterdrückung der Frau. Indem der Frau das Recht auf körperliche Selbstbestimmung genommen wird, wird sie automatisch in die Rolle der Unterdrückten, der Hausfrau und Mutter gedrängt. Uns Frauen werden die Hausarbeit, die Kindererziehung und die Sorgearbeit wie selbstverständlich auferlegt. So bedingen sie, dass Arbeiter:innen am nächsten Tag wieder ihrer Arbeit nachgehen werden. Indem die häusliche und die Care-Arbeit unbezahlt sind, kann der Lohn der Arbeitenden zusätzlich niedrig gehalten werden. Der Kapitalismus profitiert also davon, dass Frauen unterdrückt und die traditionelle Rolle der Hausfrau, Mutter oder Pflegeperson übernehmen müssen.

    Dabei sind es nicht nur Frauen, die schwanger werden können. Auch LGBTI+ Personen, wie etwa trans Männer oder nicht binäre Menschen sind von Einschränkungen durch das Abtreibungsrecht betroffen. Regelungen zu Hormontherapien und anderen medizinischen Behandlungen schränken sie darüber hinaus in ihrem Recht auf körperliche Selbstbestimmung ein.

    Das „Selbstbestimmungsgesetz“ hat seinen Namen nicht verdient

    Keine ausreichende medizinische Versorgung

    Die rechtliche Einschränkung von Abtreibungen hat auch Einfluss auf die ärztliche Versorgung in Deutschland: In der medizinischen Ausbildung wird zwar endlich über ethische Fragen des Schwangerschaftsabbruchs diskutiert, die verschiedenen Vorgehensweisen müssen jedoch nicht verpflichtend gelehrt werden und sind demnach meist auch nicht prüfungsrelevant. Während der Staat Betroffene im Stich lässt, haben sich deshalb selbstorganisierte Initiativen von Studierenden und Gynäkolog:innen gebildet, die Workshops zum Thema veranstalten, wie die Gruppe “Medical Students for Choice”.

    Bei anderen Formen der medizinischen Versorgung ist es für Ärzt:innen meist verpflichtend, die hilfesuchende Person zu behandeln. Doch auf Grund der immer noch gültigen Rechtslage in Deutschland kann Gesundheitspersonal die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs verweigern. Immer weniger Ärzt:innen und Klinken führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2003 – also vor 20 Jahren – etwa 2.050 Stellen in Deutschland gemeldet, die Abtreibungen durchführten. Ende 2020 waren es nur noch 1.150 – das Angebot hat sich also fast halbiert. Dies führt dazu, dass Betroffene oft weite Strecken für die Abtreibung in Kauf nehmen müssen, was weitere Schwierigkeiten mit sich bringt: sie müssen gegebenenfalls Betreuung für Kinder oder ihre pflegebedürftigen Eltern organisieren, haben Verdienstausfall und benötigen unter Umständen eine Begleitperson – zusätzlich kann sich nicht jede Person, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen will, ihrem Umfeld anvertrauen. Im auf Profit ausgerichteten Gesundheitssystem fallen zudem Kosten von 350 bis zu 600 Euro für die Betroffenen an, die persönlich zu entrichten sind.

    In der über 100.000 Einwohner großen Stadt Trier gibt es beispielsweise keine einzige Klinik, die Abtreibungen durchführt. Ungewollt Schwangere müssen über 100 Kilometer ins benachbarte Bundesland Saarland fahren, um einen Abbruch durchführen zu lassen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Kliniken mit gynäkologischer Abteilung in Trier in katholischer Trägerschaft sind.

    Reaktionäre Abtreibungsgegner gefährden hart erkämpfte Reformen

    Immer wieder protestieren Abtreibungsgegner:innen vor Kliniken und schüchtern Schwangere und dort arbeitende Gesundheitsfachkräfte ein. Die als Beratungsstelle getarnten Abtreibungsgegner von “Pro Femina” bieten eine kostenlose Schwangerschaftsberatung an, drängen dann jedoch die Ratsuchenden dazu, die Schwangerschaft fortzusetzen. Sie stellen keine staatlich anerkannten Beratungsscheine aus, sind jedoch aufgrund ihres Namens leicht zu verwechseln mit der deutschlandweiten und anerkannten Beratungsstelle “Pro Familia” und haben so bereits über 30.000 Frauen “beraten”. 

    Auch in anderen Ländern, ob in den USA oder Polen, werden hart erkämpfte Rechte für körperliche Selbstbestimmung wieder zunichte gemacht. Reformen können immer wieder rückgängig gemacht werden, wenn reaktionäre Politiker:innen und Richter:innen an die Macht kommen. Ein gesichertes Recht auf körperliche Selbstbestimmung kann es nur im Sozialismus geben, wenn die medizinische Versorgung nicht auf Profit ausgelegt ist, der Kapitalismus nicht weiter von der mehrfachen Ausbeutung von Frauen profitiert und das Patriarchat konsequent weiter bekämpft wird.

    28. September: Internationaler Tag für sichere und legale Abtreibungen

    • Perspektive-Autorin seit 2023, politisiert über Palästina-Aktivismus. Schreibt vor allem über Frauen- und Arbeiter:innen-Kämpfe. Studiert und arbeitet im Kulturbereich in Berlin, gibt gerne Buchempfehlungen.

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