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Sonntag, April 28, 2024
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    Karlsruhe: Bundesverfassungsgericht prüft Beschwerde von Leipziger Journalisten wegen verletzter Pressefreiheit

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    Nachdem der Journalist Marco Bras dos Santos 2019 von der Besetzung eines Tagebaus in der Lausitz berichtet hatte, wurde er von der “Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft” wegen Hausfriedensbruchs angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun möchte er in Karlsruhe sein Recht auf freie Berichterstattung selbst einklagen.

    Die “Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft” (MIBRAG) ist ein fester Bestandteil der fossilen Infrastruktur in der Region der Lausitz. Um genau dort ein Zeichen für den sofortigen Kohleausstieg zu setzen, hatte das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ zu Blockadeaktionen und zivilem Ungehorsam aufgerufen. Im November 2019 blockierten dann über 1.000 Aktivist:innen große Bereiche des Areals und störten damit die Abbauprozesse im Tagebau.

    Im Nachhinein hat der Konzern einige Aktivist:innen und auch Medienschaffende angezeigt, die sich mutmaßlich zum Zeitpunkt der Massenaktionen im Tagebau „Vereinigtes Schleenhain“ befunden haben sollen. Dazu gehörte auch der Leipziger Journalist Marco Bras dos Santos, der sich im Nachgang einem Gerichtsverfahren stellen musste, in dem ihm Hausfriedensbruch vorgeworfen wurde.

    Erstes Gerichtsverfahren

    Bereits kurze Zeit nach der Aktion in der Lausitz begann für den Journalisten das Verfahren am Amtsgericht Borna. Trotz des Schutzes journalistischer Berichterstattung – der normalerweise immer greift, wenn es um Ereignisse von öffentlichem Interesse geht – ließ das Gericht die Anklage zu.

    Dos Santos äußerte sich daraufhin in einer Pressemitteilung des Aktionsbündnisses “Ende Gelände“: „Im Journalismus reicht es nicht, Pressemitteilungen von Polizei und Konzernen abzuschreiben. Wir Journalist*innen müssen […] uns ein eigenes Bild machen. Dass Medienschaffende dafür von Energiekonzernen mit Klagen überzogen werden, zeugt von einem antidemokratischen Verständnis. Eine demokratische Gesellschaft ist ohne Pressefreiheit nicht denkbar.“

    Diese Entwicklungen sind noch drastischer, wenn beachtet wird, dass nicht nur dos Santos, sondern auch zahlreiche weitere (Foto-)Journalist:innen, außerdem die damalige Pressesprecherin von „Ende Gelände“, sowie zwei Landtagsabgeordnete ebenfalls von der MIBRAG angezeigt wurden.

    Marco Bras dos Santos wurde daraufhin am 2. Dezember 2022 zu zehn Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Diese Entscheidung wurde von vielen Seiten scharf kritisiert: Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union erklärte u.a.: „Die MIBRAG kann sich nicht dem gesellschaftlichen Dialog entziehen, indem sie die Berichterstatter*innen über die Umweltproteste kriminalisiert.“ Dos Santos selbst erklärte in Nachgang, dass er das Urteil selbst nicht akzeptiere und weitere Schritte einleiten werde.

    Klage vor dem Bundesverfassungsgericht

    Nun hat es der freie Journalist geschafft, eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, in der das Vorgehen gegen ihn als Einschränkung der Pressfreiheit kritisiert wird.

    In der Klageschrift seines Anwalts heißt es, dass es sich im Falle des vorangegangenen Verfahrens um einen juristischen Einschüchterungsversuch gehandelt habe, dessen einziger Zweck es gewesen sei, kritische Stimmen nicht zuzulassen. Eine solche Vorgehensweise wird auch als „SLAPP“ (Strategic Lawsuits against Public Participation) bezeichnet.

    Abhöraktionen gegen die „Letzte Generation“ – auch Pressefreiheit betroffen

    „Dabei handelt es sich um eine Konzern-Strategie, die Kritiker*innen einschüchtern und Kritik aus der Öffentlichkeit verbannen soll“, heißt es in einer Pressemitteilung von „Ende Gelände“ am vergangenen Donnerstag. Elementare Grundrechte würden somit weitgehend ausgehebelt, so das Aktionsbündnis weiter.

    Die Durchsetzung der eigenen Konzerninteressen sei somit der primäre Grund für die Anklage, wodurch der eigentliche Tatvorwurf nur als juristisches Mittel genutzt wird. Dafür nähmen die Unternehmen in der Regel eine eventuelle Verletzung der Pressefreiheit in Kauf.

    Repression gegen Medienschaffende – Einzelfall oder System?

    Ein hartes Vorgehen gegen kritische Berichterstattung hat in vielen Bereichen bereits eine lange Tradition. Dabei werden die „SLAPP“- Verfahren nicht ausschließlich von den betroffenen Konzernen initiiert, wie kürzlich in Griechenland deutlich wurde. Dort wurden mehrere Medien und Medienschaffende, die wegen unzulässiger Überwachung durch die Regierung recherchierten, von einem engen Berater des Premierministers verklagt. Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ forderte der Regierungsangestellte einen Schadensersatz in Höhe von 150.000 und 250.000 Euro.

    Am 12. Juli  endlich begannen in Brüssel Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der EU-Kommission über eine allgemein gültige Richtlinie zur Bekämpfung von SLAPPs.

    Ein Entwurf der Kommission, der vorsieht, dass offensichtlich unbegründete SLAPPs schnell vom Gericht abgewiesen werden können, wurde vom EU-Rat jedoch vorerst blockiert. Die Verhandlungen darüber, derartige Verfahren innerhalb der EU zu erschweren, werden sich somit vermutlich noch über längere Zeit hinziehen. Dabei bleibt ebenso fraglich, ob am Ende eine gestärkte Pressefreiheit steht.

    Die „Coalition Against SLAPPs in Europe“ (CASE), ein Zusammenschluss von NGOs und Rechtsexpert:innen, erforscht schon seit längerem diese Art von Gerichtsverfahren und ihre Wirkung. Eine von ihnen veröffentlichte Studie, in der insgesamt 570 Fälle von „SLAPP“- Verfahren zwischen den Jahren 2010 und 2021 ausgewertet wurden, weist dabei auf eine deutliche Entwicklung hin: Wurden im Jahr 2012 in ganz Europa nur zwölf solcher Fälle sichtbar, waren es 2021 bereits 111 – ein Anstieg von über 900%. Die Zielpersonen dieser Verfahren sind in den meisten Fällen Journalist:innen, die häufig frei schaffend sind und somit wenig juristischen Beistand von außerhalb erwarten können. Von allen 570 Fällen richteten sich allein über 300 Anklagen gegen unabhängige Journalist:innen.

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