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Montag, April 29, 2024
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    Parteitag der Linken: So sucht die Partei den Weg aus der Krise

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    Der Austritt von Sahra Wagenknecht verschärft die Krise, in der die Linkspartei seit Jahren steckt. Auf dem Parteitag wurde jetzt nach Auswegen und einer neuen Richtung gesucht. In Zukunft möchte die Linke sich deswegen unter anderem stärker auf soziale Bewegungen orientieren und so durch Aktivist:innen den Mitgliederschwund aufhalten. Kann die Linke damit die Krise überwinden? – Ein Kommentar von Rudolf Routhier.

    Trotz des Versuchs, es nicht so oft offen anzusprechen, schwebte der Austritt von Sahra Wagenknecht vor wenigen Wochen über dem am 12. November begonnenen Parteitag der Linken. Dies wurde spätestens klar, als der Kandidat um den Parteivorsitz, Bijan Tavassoli, in seiner Rede erst Wagenknecht lobte, dann seinen Parteiaustritt erklärte und schließlich von Sicherheitsleuten aus dem Saal geführt wurde.

    Seit Jahren schon steckt die Partei in der Krise: sinkende Mitgliederzahlen, sinkende Wahlergebnisse und selbst innerhalb der politischen Widerstandsbewegung – als deren Finanzierer und organisatorisches Rückgrat die Partei in vielen Gegenden oft fungierte – nimmt der Einfluss stetig ab. Mit dem Austritt einiger ihrer bekanntesten und führenden Mitglieder sehen viele das endgültige Aus für die Partei.

    Spaltung der Linkspartei – neue Wagenknecht-Partei in Gründung

    Doch so einfach aufgeben möchte die Linke nicht. Auf ihrem Parteitag folgte der Versuch eines neuen Anfangs. So wirkte es zu mindestens in vielen Reden. Ihre Vision für die Zukunft stellt die Partei in dem Beschluss “Die Linke: Eine laute Stimme für Gerechtigkeit, Frieden und Antifaschismus“ vor.

    Dass für die Partei schwere Zeiten angebrochen sind, wird dort angesprochen. Kritisiert wird, dass „unser öffentliches Bild immer wieder von Zerstrittenheit geprägt“ war. Auch wird der Austritt der Fraktion um Sahra Wagenknecht als „parteischädigend“ bezeichnet. Dabei sei die Linke – so der Beschluss – in Zeiten von Krieg, Klimakrise, Militarisierung, Teuerung und reaktionärer Migrationspolitik wichtiger denn je. Aus der Krise will sie nun gestärkt hervorgehen und „die Linke als demokratisch-sozialistische Partei stärken und weiterentwickeln“.

    Raus aus der Krise, rein in die Bewegung

    Wie ihr Mitglieder das erreichen wollen, illustrieren sie dort ebenfalls. Die Lösung, zu der die Linke – ähnlich wie viele von Krisen zerrüttete Parteien und Organisationen vor ihnen – gekommen ist, lautet: rein in die außerparlamentarischen Bewegungen. Durch aktive Arbeit in den Gewerkschaften sowie in sozialen Bewegungen wie der Umwelt- oder Geflüchtetenbewegung wolle man wieder Kontakt zu den Bürger:innen aufbauen, um „verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen“.

    Erste Schritte dahin wurden sogar schon getan: Mit Carola Rackete wurde eine Aktivistin – vormals Kapitänin der Sea Watch 3, einem Boot das im Mittelmeer Geflüchtete rettet – zur Kandidatin für die Europawahl gekürt. Die Rede der Gewerkschaftlerin Stella Merendino zeigt das andere zukünftige Standbein der Partei: ein stärkerer Fokus und ein Zurückgewinnen des Einflusses in den Gewerkschaften und Betrieben.

    Eine Verbindung von sozialer Bewegung und Gewerkschaften will die Linke nun in der Praxis mit dem Beitritt zum Bündnis „Wir fahren zusammen“ erreichen. Dieses Bündnis der Gewerkschaft ver.di und Fridays for Future zielt darauf ab, Gewerkschaftspolitik und die Klimabewegung zu verbinden. Die Linkspartei erhofft sich so vermutlich, ihren Einfluss in der normalerweise von SPD beziehungsweise den Grünen dominierten Gewerkschaften und bei Fridays for Future auszubauen. Als oftmals erste Anlaufstelle für politisch engagierte und fortschrittliche Arbeiter:innen und Jugendliche scheint die Einflussnahme in diesen Organisationen eine bewährte Methode zu sein, engagierte Mitglieder für die Basisarbeit zu gewinnen.

    Neue Strecke, gleiches Ziel

    Da lässt es sich schon vermuten: eine inhaltliche Neuorientierung steht für die Partei nicht auf dem Programm. Stattdessen bleibt sie ihrem alten Profil von Symptombekämpfung und Reformen, gepaart mit stellenweise antikapitalistischer Rhetorik treu. So wird zwar in dem besagten Beschluss der Kapitalismus beispielsweise als Verursacher des Klimawandels benannt – eine Lösung bleiben Die Linken neben der altbekannten Forderung einer Reichensteuer jedoch schuldig.

    Auch beim Wohnungsbau und der katastrophalen Mietsituation in vielen Städten wird die Lösung immer noch bei Verstaatlichungen im Kapitalismus gesucht. Dass dies in der Praxis kaum durchsetzbar ist und große Verbesserungen der Lage fraglich sind, zeigt unter anderem die Initiative “Deutsche Wohnen & Co. enteignen”. Diese wollte den Rückkauf privatisierter Wohnungen im von der Linken mitregierten Berlin durchsetzen und war mit ihrem Volksentscheid erfolgreich.

    An anderer Stelle wird die berüchtigte Systemfrage dann völlig ausgeklammert: Dass die Regierung die angekündigte Verkehrswende nicht durchführt, wird zur alleinigen Schuld des zuständigen FDP-Ministers erklärt und die Asylrechtsverschärfung zur Schuld des „Drucks der extremen Rechten“. Anstelle einer tieferen Analyse des Staats und seiner Funktion im Kapitalismus werden Einzelpersonen als Sündenböcke präsentiert, die wir schließlich einfach abwählen können.

    Dabei müsste doch gerade die Linkspartei wissen, dass weder Abschiebungen noch Wohnungsbau oder Klimakrise einfach durch Wahlen gelöst werden können. Zeigen sie dies doch schließlich immer wieder in den Bundesländern wie Berlin oder Thüringen, wo sie Teil der Regierung sind oder sogar den Ministerpräsidenten stellen.

    Die Linken bleiben bei Symptombekämpfung

    Ähnliches findet sich auch im Beschluss zum Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt innerhalb der Linkspartei. Zwar wird das Patriarchat im Kapitalismus zu Recht als ausgehend von der Ausbeutungen von Frauen durch die unbezahlte Reproduktionsarbeit analysiert. Doch was wir jetzt dagegen tun können, bleibt so mysteriös wie unerwähnt. Stattdessen wird ausführlich ein Konzept im Umgang mit sexualisierter Gewalt vorgestellt, das mit seinen emanzipatorischen Räumen, kollektiven Verantwortungsübernahmen und Awareness-Teams nicht ausreicht, um die Ursachen der Probleme anzugreifen.

    So lang der Text auch ist, so vage bleibt er dann auch – nicht nur in der zentralen Frage, wie wir das Patriarchat auch außerhalb der Linkspartei bekämpfen und schließlich zerschlagen können, sondern auch bei der Frage, was passiert, wenn sich ein Täter jeder Verantwortung entzieht (wie es in Fällen sexualisierter Gewalt an der Tagesordnung ist): Es werden einzig und allein nicht näher spezifizierte „weitreichendere Maßnahmen“ angekündigt. Es bleibt also der Interpretation der Verantwortlichen überlassen, wie und ob Täter Konsequenzen zu spüren bekommen.

    Auch die restlichen Beschlüsse weichen von diesem Schema nicht ab: So werden ein Ende des PKK-Verbots und der Waffenlieferungen an die Türkei, ein Stopp der Kürzungen im Bereich Soziales, Gesundheit, Bildung und Erziehung, Wohnen und ÖPNV, eine Übergewinn- und Vermögensteuer sowie die Einhaltung der Klimaziele und ein Ende der Schuldenbremse gefordert.

    An und für sich sind das großenteils zwar unterstützenswerte Forderungen, doch eine konkrete Betrachtung fehlt. Zentrale Faktoren wie der Zusammenhang zwischen der Militarisierung und den Kürzungen im sozialen Bereich oder Waffenlieferung bleibt mehr oder weniger ausgeblendet. Für eine Partei, die sich selbst rühmt, „die Eigentumsfrage zu stellen“, sollte eine offene Kritik der derzeitigen Kriegsvorbereitungen und des dahinterstehenden Kapitalismus an erster Stelle stehen. Doch sucht man sie auf dem Parteitag der Linkspartei vergebens.

    Der Kampf gegen Krieg und Militarismus muss sich gegen jeglichen Imperialismus richten!

    Allerdings, ein spezieller Krieg wird von ihr dann doch scharf und ausführlich kritisiert: der in Israel und Palästina. Mit ihrer Forderung nach einem Waffenstillstand positioniert sich die Partei zwar links von allen anderen Parteien – aber eben nur ein kleines Stück. Mag der Text, verglichen mit den Haltungen der meisten anderen Parteien, auch fortschrittlich wirken, so ist er geprägt von dem Versuch, sich möglichst nicht eindeutig zu positionieren.

    Zwar werden die faschistische Regierung in Israel sowie der Genozid in Gaza kritisiert, der palästinensische Widerstand wird jedoch überwiegend mit der Hamas gleichgesetzt. Damit wird dem bewaffneten Widerstand gegen israelischen Imperialismus und Apartheid jegliche Legitimität abgesprochen. Es bleibt bei unkonkreten Forderungen nach Verhandlungen und Reformen, die angesichts der Situation in Palästina so nichtssagend wie realitätsfern wirken.

    Grundprobleme ungelöst

    Insgesamt zeigt der gesamte Beschluss ebenfalls, dass aus dem Austritt der Wagenknecht-Fraktion keine oder zu mindestens nicht die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Internen Differenzen durch halbherzige Stellungnahmen aus dem Weg zu gehen, mag für eine gewisse Zeit funktionieren, auf Dauer jedoch nicht.

    Es bleibt abzuwarten, ob das neue Konzept der Linkspartei den Mitglieder- und Wähler:innenschwund tatsächlich aufhalten oder sogar umkehren kann. Doch selbst bei Erfolg bleiben zentrale Grundprobleme der Partei ungelöst: Inmitten der sich zuspitzenden Krisen bleibt die Linke mit ihrer Beibehaltung des Reformismus hinter den Ansprüchen der Zeit und auch den Wünschen vieler fortschrittlicher Menschen zurück.

    So bleibt auch die Frage, wie die Linke überhaupt erst in solch eine Notlage geraten konnte, weitestgehend unbeantwortet oder wird zur alleinigen Schuld der „internen Streitigkeiten“ um die Wagenknecht-Fraktion erklärt. Dauerhaft wird sich die Partei so nicht stabilisieren können. Die Symptome zu bekämpfen und die Krankheit zu ignorieren, ist kein Erfolgskonzept. Das gilt sowohl für Krieg, Krise und Klimawandel als auch für das eigene Dilemma der Linkspartei.

    • Perspektive-Autor seit Sommer 2022. Schwerpunkte sind rechter Terror und die Revolution in Rojava. Kommt aus dem Ruhrpott und ließt gerne über die Geschichte der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

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